Graffiti sind vergänglich, doch zeitlos und international. Lange vor der Erfindung von Schrift und Papier hinterließen Höhlenmenschen, ihr Jagdwild an Felsen malend, Spuren ihres Daseins und Denkens. Desgleichen erhielten sich nicht nur Wandgemälde, sondern auch beiläufige Kritzeleien an den Mauern versunkener Städte der Antike wie Pompeji. In jüngerer Vergangenheit vertrieben sich Pennäler und Studenten die Zeit im Karzer, indem sie den Verputz ihres Haftlokals verzierten. Heute fürchten sich Haus- und Geschäftsbesitzer vor vagabundierenden Schmierern mit ihren Spraydosen - während Zeitgeschichtler bedauern, dass mit der Mauer in Berlin auch ein kolossales Farbwerk unwiederbringlicher Bilderfindungen verschwand. Ein Graffito kann Resultat hirnloser Provokation sein, Lebenszeichen oder Revier-Signatur in Form eines eigenwilligen Namenszugs - und Kunst. Wien beherbergt ein Institut für Graffiti-Forschung, darin Gelehrte, Künstler und Laien einschlägige Bilder und Schriften aus aller Welt wissenschaftlich erforschen. Und aus der Schweiz kommt jener Harald Naegeli, der heute vor siebzig Jahren geboren und in den Siebzigern als anonymer "Sprayer von Zürich" bekannt wurde. Zunächst verfolgte ihn die Justiz, sogar Interpol als Sachbeschädiger und inhaftierte ihn. Dann ließ die Kunstszene dem Aktivisten, der seit langem in Düsseldorf lebt, höhere Weihen angedeihen, seiner charakteristischen Strichfiguren wegen. Inspiriert von Nachtdunkel und drohender Strafe brachte er sie zu Hunderten in seiner Schweizer Geburtsstadt an und brandmarkte - oder schmückte - damit die Lebenssphäre einer Gesellschaft, die sich aufgeschlossenen Geschmack zuschreibt, während sie hinter geisttötendem Beton verkommt. Gegen ihn schleuderte Naegeli, wie er sagte, die "Bombe Poesie". Mittlerweile kümmern sich kommunale Behörden vereinzelt um die Erhaltung seiner für viele unerwünschten, darum oft hektisch überpinselten Kunst.