MARBACH – „Thomas Manns Schreibtisch“: So überschrieb einer der gewitztesten Köpfe der Frankenpost, der im vergangenen Jahr erschütternd früh verstorbene Michael Knopf, die Arbeit, die ihm bravourös das Journalistik-Diplom eintrug. Nicht so sehr um das, was der Großdichter schrieb, geht es darin, als darum, wie er es tat – um besondere Methoden und alltägliche Gewohnheitsmuster der Kreativität.

So also lässt sich übers Schreiben schreiben. In Marbach hingegen wird sichtbar, wie Dichten geht; oder besser: was dazu gehört. Unterm orakelhaften Titel „Ordnung. Eine unendliche Geschichte“ führt das (zum Deutschen Literatur-Archiv gehörende) Literaturmuseum der Moderne auf der Schillerhöhe in die Buchhalterarbeit der Buchschreiber ein.

Als Kuratorinnen stöberten Heike Gfrereis und Helga Raulff in Schaffens- und Lebenszeugnissen von Schreibkünstlern wie Schnitzler und Walser, Rilke und Jean Paul, Hesse und Rühmkorf, Kästner und Kirsch … Gezeigt werden Ordnungssysteme, mit denen sie und ihresgleichen versuchten, der Zufälligkeit der sie überfallenden Idee Herr zu werden; hinter Glas versammelt sind Erinnerungsmittel, die dafür sorgen sollen, dass Augenblickseindrücke ihre Flüchtig- und Beiläufigkeit verlieren.

Und es erweist sich: Nicht allein der Schreibtisch macht die Dichterklause zum Büro – zu einem Ort der Disziplin und Akkuratesse. Denn Chaos vermögen die Wenigsten fruchtbar zu machen. Aufräumen, Archivieren ist Pflicht: Wer mit Einfällen umgeht, muss sie in Mappen und Möbeln sammeln, aufbewahren, vorhalten für spätere Verwendung; wer auf der Eingebung eines Moments die Großarchitektur eines Romans errichten will, muss Pläne ausbreiten. Wer aus Erlebtem schafft, muss die Notizen darüber horten, Zettel bündeln, Vermerke ablegen; noch was einer verwirft, braucht seinen Speicher: In Uralt-Ordner etwa hat Peter O. Chotjewitz „Jugendscheiße und nicht realisierte Projekte“ entsorgt.

Beruhigend aber erhält sich die Kluft zwischen der Kunst selbst und ihrer Verwaltung: In den Vitrinen der Schau sind zwar papierne Spreng-Sätze für Geistesblitze zu besichtigen; verborgen indes bleibt ihre Zündung durch den geheimnisvollen Funken der Inspiration.

Ein Funken, der sich fortzeugt. Dem Zusammentreffen mit leibhaftigen Menschen und der wirklichen Welt zwar verdankt ein Autor seinen Stoff, doch ebenso der Begegnung mit Literatur. „Erst lesen. Dann schreiben“ lautet darum der Rat, den Stephan Porombka und Olaf Kutzmutz als Editoren eines gleichnamigen Taschenbuchs all denen erteilen, die am Schreibtisch sitzend nicht wissen, wie loslegen. Sie konstatieren: Viele, die Schreiber sein wollen, lesen zu wenig; und sie wissen, „dass große Autoren immer auch große Leser“ waren – produktive Leser: solche, die der Lektüre mit Lust frönen, doch zugleich bei jeder Seite hellwach durchleuchten, „was da eigentlich mit den Wörtern passiert“.

Übers Schreiben schreiben 22 Autoren; die Herausgeber luden sie ein, Vorbilder preiszugeben. John von Düffel bekennt sich zu Joseph Conrad, Daniel Kehlmann zu Vladimir Nabokov, Robert Gernhardt (sein Text lief an seinem Todestag ein) zu Lichtenberg. Ungewohnte Einblicke in die Werkstatt, ins Handwerk eröffnen sie alle: Kenntlich wird, wie sie lernten, einen Stoff zu entwickeln, eine Situation zu umreißen, Figuren zu charakterisieren, Dialoge zu führen. Nicht um Stilkopien geht es ihnen, sondern darum, zu begreifen, wie man’s macht – und was sie auf keinen Fall machen wollen.

Wie sodann aus grauer Theorie eigenes Schaffen grünt – das offenbaren, in einem anderen Sammelband, 92 Erzähler und Lyriker beiderlei Geschlechts, die dem Aufruf Renatus Deckerts folgten, sich auf „Das erste Buch“ zu besinnen. Die Liste der Debüts reicht von Ilse Aichingers „Größerer Hoffnung“ (1948) bis zum Erscheinungsjahr 1995 mit Ulrike Draesner oder Lutz Seiler. Manch einer schlägt, wie Alexander Kluge, die alten Sachen mit Selbstachtung auf. Etliche indes machen ihrem Widerwillen in Verrissen Luft, lassen Ängstlichkeit spüren, sparen nicht mit Vorwürfen gegen sich. Die lauten vielfach: Naivität, Unmündigkeit, Selbstüberschätzung, Wort-„Durchfall“ (Günter Grass). Viel jugendliche Erregung, kaum Erfahrung: Wie in der Liebe, so hat in der Literatur das „erste Mal“ seine Peinlichkeiten.

Fast unumgänglich, bei solcher Lektüre auch an Friedrich Schiller, den Marbacher Literatur-Patron, zurückzudenken: an seinen Erstling „Die Räuber“; und an seinen Schreibtisch. Der übrigens stand, 1942 zum Schutz vor feindlichen Bomben aus Weimar ausgelagert, für mehr als ein Jahr im KZ Buchenwald, wo ihn Häftlinge nachbauten. So wurde das Möbel selbst, nicht nur das an ihm entstandene Werk, zu einem Denkmal für Geschichte und Kultur.

Ausstellung: Bis zum 21. Oktober, dienstags bis sonntags 10 bis 18, mittwochs bis 20 Uhr.

Stephan Porombka, Olaf Kutzmutz (Hg.): Erst lesen. Dann schreiben. Luchterhand, 271 Seiten, kartoniert, 8 Euro.

Renatus Deckert (Hg.): Das erste Buch. Suhrkamp, 356 Seiten, kartoniert, 10 Euro.