Kapitalismus und Hautkrankheiten" - was für ein Titel für einen Roman! Tatsächlich ist er für ein Sachbuch bestimmt, dem eine der Figuren im neuen Werk der Hamburger Schriftstellerin Jasmin Ramadam ihre gesamte Arbeitskraft widmet. Und das seit 20 Jahren. Der Mann, er heißt Dietrich, war Dozent, ehe ihn die Schuppenflechte befiel; er wurde sie nie wieder los. Zur gleichen Zeit wie den Beruf verlor er den Kontakt zu Ehefrau Bärbel, einer Schauspielerin: Beide trennten sich innerhalb ihres Hauses, Dietrich wohnt seither im Dachgeschoss.

An Erkrankung der Haut leidet nicht er allein. Tochter Teresa, die gern beim Film wäre, sich "wegen der Kohle" aber als Model verdingt, spürt Juckreiz, der von einem imaginären farblosen Schleimfilm ausgelöst wird. Beim Zwillingsbruder Ture wiederum treten Pusteln auf, weil ihm, wie er selbst diagnostiziert, irgendwas auf der Seele liegt. Erschwerend kommt hinzu, dass der 33-Jährige unter postkoitalen Aggressionen leidet: Nichts hasst er mehr als die Frauen, die er eben noch begehrt hat. Was die körperliche Liebe betrifft, ist Teresa als "sexy Freak ohne Tiefgang oder Manieren" deutlich besser dran. Dank ihres penetrant schönen Gesichts reicht "noch immer ein Blick und den Typen läuft das Serotonin wie Sabber im Hirn über".

Ramadams Roman erzählt die Geschichte einer schwer gestörten Familie in einer ebenfalls schwer gestörten Gesellschaft. Werbung gibt dem hautkranken Personal die Ziele vor. Das Ideal der absoluten Fitness, sinniert Dietrich, sei wohl nur ein kapitalistisches Druckmittel, um Frust und Selbsthass zu erzeugen und den Arbeitnehmer besser kontrollieren zu können. Freilich ist ihm daran gelegen, von eigener Schuld abzulenken. Die lud er auf sich, als er sich in die 13-Jährige Tochter eines befreundeten Ehepaars verliebte und sie verführte. Sein Fehltritt bildet das Zentrum des Familiengeheimnisses, das im Buch nach und nach aufgedeckt wird. Als Spannungselement setzt Ramadam auch ein Kapitalverbrechen ein, das Ture an einer schwarzen Fitness-Trainerin mit unglaublichem Körperbau begeht.

Sex und Crime also würzen diesen Unterhaltungsroman der besonderen Art. Satirischer Witz und ein scharfer Blick auf die Lebensumstände der Partygesellschaft, die bei Vernissagen und Filmpremieren kurzfristige Beziehungen knüpft, zeichnen ihn aus. Ein sprechendes Schwein, Reminiszenz an den Polit-Thriller "Under Fire", tritt auf, als Teresa im Wald einen verschwundenen Jugendfreund sucht. Der, inzwischen ein erfolgreicher Kapitalist, hat sich zum Ausstieg entschlossen, weil er den Glauben an den Grundsatz verlor, der ihn auf der Karriereleiter nach oben trieb: Geld sei die einzige verlässliche Größe. Ralf Sziegoleit

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Jasmin Ramadam: Kapitalismus und Hautkrankheiten. Tropen, 220 Seiten, gebunden, 18,95 Euro.

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