Vor zwei Wochen nahm Jens Petersen in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis entgegen; mit sechzehn Seiten aus seinem Romanentwurf "Bis dass der Tod" - um eine Tötung aus Mitleid - hatte der Arzt und Autor fünf der sieben Juroren überzeugt. Schon Petersens Romandebüt von 2005 hatte ihm Auszeichnungen eingebracht; nun wurde ihm die angesehenste für junge Schriftsteller zuteil. Und doch: "Wer ist Jens Petersen?", wollte, ohne Süffisanz, die Zeit wissen.

Wer ist Ingeborg Bachmann? So wagt sich keiner zu erkundigen, der als Leser auf sich hält. Gleichwohl bleibt in ihrer wunderbar musikalischen, bestechend bilderreichen Dichtung viel zu viel im Dunkeln für eine einfache Antwort auf die einfache Frage.

"Auf dem Grund ist Dunkelheit genug" überschreibt, jener Frage und der Dichtung der Österreicherin (Bild) angemessen, der Deutschlandfunk eine "Lange Nacht", während der Astrid Nettling für ein wenig Auf- und Erhellung sorgen will. Über Bachmanns fatale Beziehung zum Schweizer Schriftstellerkollegen Max Frisch wird zu berichten sein, über Paul Celan, über die künstlerische wie zwischenmenschliche Partnerschaft mit dem Komponisten Hans-Werner Henze; und natürlich über die Einsamkeit, die sie auch da nicht überwand.

Die literarische Welt hatte die attraktive, zur Doktorin der Philosophie promovierte Autorin schon lang und bald ganz für sich eingenommen, als sie sich 1973, erst 47-jährig, in Rom tödliche Brandverletzungen zuzog. Gerade mal 28 war sie, da räumte ihr der Spiegel eine Titelseite samt -geschichte ein; zwei Jahre zuvor hatte sie, noch nicht vielen bekannt, die "Gruppe 47" im Sturm genommen - durch die Gedichte aus "Die gestundete Zeit", durch das Artifizielle ihrer Metaphern, das schwebend Vage ihrer Schreib- und Redeweise. So stemmte sie sich faszinierend gegen die Sachlichkeit und Wirklichkeitsverpflichtung, wie die deutsche Nachkriegsliteratur sie vornehmlich verfocht.

Mit der Welt, der wirklichen, kam die Büchnerpreisträgerin des Jahres 1964 nicht eigentlich zurecht. Ihre "Zweifel, bitter und ungestillt", hat sie "Dem Abend gesagt" (so der Titel eines ihrer Gedichte). Ihre Empfindsam- und Dünnhäutigkeit waren kein abgebrüht gehegtes Kapital, das einträglich Poesie wie Zinsen trug, sondern der notwendige Boden, ohne den ihr Werk nicht hätte wachsen können.

Verletzlich versuchte sie, die Zerrissenheit der Zeit und der Verhältnisse mit der eigenwilligen Schöpferkraft ihrer Sprachgebilde in Lyrik und Erzählprosa, Hörspiel und Essay zu erfassen, auf sie hinzudeuten, ohne sie ausdeuten zu wollen. So kamen sie zustande, jene Texte, die ohne Weinerlichkeit von einem bedrängten Gemüt, von schmerzlichen Erinnerungen, schlimmen Ahnungen berichten: "Es kommen härtere Tage." Michael Thumser

"Auf dem Grund ist Dunkelheit genug": Deutschlandfunk, Samstag, ab 23.05 Uhr.