So!: Herr Schröder, wie setzt sich die Jury für den Buchpreis zusammen?

Christoph Schröder: Wir sind sieben Personen. Literaturkritiker, Journalisten, eine Buchhändlerin, ein Leiter eines Goethe-Instituts und ein Schriftsteller.

So!: Die Mitglieder der Jury werden jedes Jahr neu ausgewählt?

Schröder: Genau.

So!: 156 Romane von knapp hundert deutschsprachigen Verlagen wurden eingereicht. Welche Kriterien muss ein Roman erfüllen, damit er überhaupt eingereicht werden kann?

Schröder: Die Kriterien sind folgendermaßen: Der Verlag muss Mitglied im Börsenverein des deutschen Buchhandels oder im Schweizer oder Österreichischen Buchhandelsverband sein. Und die Romane müssen zwischen Oktober 2015 und dem 20. September 2016 erscheinen oder erschienen sein.

So!: Und welche Kriterien braucht ein Buch, damit es Chancen hat, den Preis zu gewinnen?

Schröder: Sie sagten ja schon, dass 156 Romane eingereicht wurden. Insgesamt waren 176 in der Auswahl, weil auch die Jury noch Texte nachnominiert hat. Das dürfen wir. Und dann haben wir alle gelesen. Die Kriterien? Wir alle wissen natürlich, dass es keine objektive Literaturkritik gibt. Jeder liest ein Buch auf seine Weise. Das heißt, als Kriterium bleibt übrig: Hat dem Jury-Mitglied das Buch gefallen oder nicht? Dafür hat man diese sieben Leute. Und dazu müssen wir dann auch stehen. Natürlich richten sich die Kriterien auch nach unterschiedlichen Zielgruppen. Auf der Liste sollen eben neben unterhaltsamen Titeln auch literarisch hochanspruchsvolle Titel stehen. Und ich glaube, von beidem ist auf dieser Liste auch etwas drauf.

So!: Es ist doch sicher ein sehr aufwendiger Prozess des Lesens und Sichtens?

Schröder: Ja, unbedingt. Ich habe - das habe ich heute mal geschätzt - seit März jeden Tag mindestens zwei bis drei Stunden gelesen. Und in den drei Wochen vor der Jury-Sitzung habe ich mir frei genommen und pro Tag dann zwölf bis vierzehn Stunden durchgelesen. Anders war das gar nicht zu machen. Und ich nehme an, bei meinen Kollegen war es ebenso.

So!: Wie viele Romane mussten Sie lesen?

Schröder: Wir haben uns die Bücher aufgeteilt. So, dass jeder Roman auch tatsächlich ernsthaft von der Jury geprüft werden konnte. Es waren auch Autoren dabei, die ich sowieso lesen wollte. Für manche war ich also eingeteilt. Und andere habe ich trotzdem gelesen. Man kann davon ausgehen, dass jeder Roman, bevor überhaupt eine Auswahl getroffen wurde, von mehreren Jury-Mitgliedern gelesen wurde. Außerdem standen wir ja bereits vor der ersten Jury-Sitzung permanent in einer Mail-Gruppe in Kontakt und haben uns über unsere Lektüre ausgetauscht.

So!: Und wie oft haben Sie sich getroffen?

Schröder: Persönliche Treffen sind es tatsächlich nicht allzu viele, schon aus rein logistischen Gründen. Die erste Sitzung für die Longlist war Ende Juli. Und den Preisträger ermitteln wir tatsächlich erst am Tag vor der Preisverleihung.

So!: War es schwierig, sich auf eine Longlist mit zwanzig Titeln zu einigen?

Schröder: Sagen wir mal so: Wir haben eine Zeitlang gebraucht. Einen ganzen Tag. Aber: Es gab erstaunlich wenig Dissens oder gar Streit innerhalb der Jury. Wir waren uns doch bei sehr vielen Titeln erstaunlich einig. Das muss nicht so sein, man darf auch mal streiten in der Jury. Und manchmal muss eben abgestimmt werden. Dann entscheidet die Mehrheit. Dafür sind wir ja auch sieben, also eine ungerade Zahl.

So!: Wird denn dabei auch richtig gekämpft für einen bestimmten Titel?

Schröder: Das darf ich leider nicht sagen. Klar gibt es Titel, die dem einen oder anderen Jury-Mitglied besonders am Herzen liegen. Dass er sich für den dann besonders einsetzt, liegt in der Natur der Sache. Da sind wir wieder am Anfang: Jeder liest Bücher anders und jeder hat Vorlieben für bestimmte Arten von Literatur.

So!: Wie breit ist das Spektrum auf der Longlist?

Schröder: Ungeheuer breit! Wenn man sich die Liste anschaut, die wir da zusammengebastelt haben, dann stellt man fest: Es gibt kein übergeordnetes Thema. Es ist nicht so, dass wir überbordend viele Romane nominiert hätten, die sozialkritische oder gesellschaftlich brisante Themen aufgreifen. Ich glaube, wir haben ein sehr breites Spektrum an Themen und auch an unterschiedlichen Schreibweisen.

So!: Haben Sie für sich schon einen Favoriten gefunden?

Schröder: Ich habe nicht den einen Favoriten. Ich habe sehr viele Bücher, die mir gefallen. Aber Sie müssen schon Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen jetzt nicht einen Titel nenne, der mir besonders gefällt.

So!: Auf jeden Fall sind Sie zufrieden mit der Auswahl.

Schröder: Ich finde, es ist eine sehr, sehr schöne Liste. Eben auch, weil sie so ein breites Spektrum von dem abbildet, was zurzeit in deutscher Sprache so geschrieben wird.

So!: Ist es für einen Autor schon ein Erfolg, wenn er auf der Longlist steht, weil er dadurch viel stärker wahrgenommen wird?

Schröder: Ich denke schon, dass die Longlist eine gewisse Aufmerksamkeit auf diese zwanzig Titel richtet. Ich persönlich, wenn ich Autor wäre, würde mich freuen, wenn ich da dabei wäre.

So!: Wie würden Sie den Stellenwert des Deutschen Buchpreises in der literarischen Szene heute bewerten?

Schröder: Es ist ein wichtiger Preis, das glaube ich schon. Auch für die Buchhändler, denn der Deutsche Buchpreis verkauft Bücher. Und er hat das Zeug dazu, einen Bestseller zu generieren, der sonst vielleicht kein Bestseller geworden wäre. Insofern glaube ich, dass der Preis vielleicht nicht der wichtigste, aber schon ein wichtiger Preis innerhalb des Gefüges ist. Es gibt ja wahnsinnig viele Literaturpreise und -stipendien in Deutschland.

So!: Wie haben Sie Ihre Aufgabe in der Jury empfunden?

Schröder: Es war viel Arbeit. Aber es ist auch ein sehr schönes Erlebnis. Ich hatte noch nie in meinem Leben so sehr das Gefühl wie im Moment, derart gut über den Stand der deutschsprachigen Literatur informiert zu sein. Und: Ich habe wirklich Entdeckungen gemacht am Wegesrand, dadurch, dass ich gezwungen war, bestimmte Dinge zu lesen. Darüber bin ich sehr froh, denn manche Sachen hätte ich sonst nicht gelesen. Entweder, weil ich sie nicht zur Kenntnis genommen hätte. Oder, weil ich gedacht hätte, das interessiert mich nicht so. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht so ist. Ich glaube, so geht es allen Mitgliedern der Jury.

Interview: Andrea Herdegen

Kurz & knapp

Christoph Schröder, geboren 1973, hat in Mainz Literaturwissenschaft und Philosophie studiert und lebt heute als freier Kulturjournalist und Literaturkritiker in Frankfurt am Main. Er schreibt unter anderem für Die Zeit, die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung, den Deutschlandfunk und den Berliner Tagesspiegel. Zudem ist er Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt. Schröders andere Leidenschaft ist der Fußball. Seit 28 Jahren pfeift er als Schiedsrichter Spiele in den Amateurklassen. Darüber hat er selbst ein Buch geschrieben.

Der Deutsche Buchpreis

Mit dem Deutschen Buchpreis (dbp) zeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 2005 den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Verliehen wird der Preis zum Auftakt der Buchmesse in Frankfurt. Der Autor des Siegertitels erhält 25.000 Euro, die fünf anderen Finalisten bekommen je 2.500 Euro.

Die Longlist

Zwanzig Romane stehen auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2016. Es sind: "Der Weg der Wünsche" von Akos Doma, "Apollokalypse" von Gerhard Falkner, "München" von Ernst-Wilhelm Händler, "Fremde Seele, dunkler Wald" von Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Widerfahrnis" von Bodo Kirchhoff, "Skizze eines Sommers" von André Kubiczek, "Die Erziehung des Mannes" von Michael Kumpfmüller, "Drehtür" von Katja Lange-Müller, "Die Witwen" von Dagmar Leupold, "Das Pfingstwunder" von Sibylle Lewitscharoff, "Die Welt im Rücken" von Thomas Melle, "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" von Joachim Meyerhoff, "Am Platz" von Hans Platzgumer, "Ein langes Jahr" von Eva Schmidt, "Rauschzeit" von Arnold Stadler, "Weit über das Land" von Peter Stamm, "Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch" von Michelle Steinbeck, "Die Verteidigung des Paradieses" von Thomas von Steinaecker, "Weshalb die Herren Seesterne tragen" von Anna Weidenholzer, "Hool" von Philipp Winkler. Die Shortlist der sechs verbleibenden Preisanwärter wird am 20. September bekannt gegeben. Die Preisverleihung findet am 17. Oktober statt.