Hof – Eben ist, erhaben, festlich und in farbiger Vielfalt der Register, ein Präludium von Nicolaus Bruhns verklungen. Da kann der Dichter gar nicht anders als die große Heidenreichorgel der St. Michaeliskirche rühmen: Ein „unglaubliches Instrument“ nennt sie Robert Schneider, und Johann Sebastian Bach – literarisch-musikalisches Zentrum dieses Nachmittags – preist er als „unglaublichen Denker“, in dessen Kunst sich „Ratio und Gefühl“ in „perfekter Balance“ vereinen.

Nach diesem allen, nach Lebensbuntheit, nach Verstand und Herz im Gleichgewicht, strebt der prominente Autor selbst. „Ich bin Romantiker“, bekannte Schneider, als er am Sonntag zur Eröffnung der Heidenreichtage (und auf Einladung des Hofer Dekanats und der Buchhandlung Grau & Cie.) in der Stadtkirche vor gut und gern 220 Zuhörern vorlas, aus seinem jüngsten, im September 2007 erschienenen Roman „Die Offenbarung“. Darin erzählt er – um eines seiner Lieblingswörter aufzugreifen – eine „unglaubliche“ Geschichte, „etwas Kauziges, Komisches mit durchaus ernstem Anspruch“; hier sieht sich der 47-jährige Österreicher nah beim hochfränkischen Romantiker Jean Paul, auch wenn er ihn, leider, Schoh Pohl nennt.

Mit Orgelspiel wie mit dem Jahr 1992 hat Schneiders Biografie eng zu tun. Nicht als Schriftsteller, sondern als Musiker und Organist begann der gebürtige Bregenzer seine künstlerische Laufbahn. 1992 dann brachte Reclam in Leipzig seinen – international bald fulminant erfolgreichen – Debütroman „Schlafes Bruder“ heraus, worin ein beinah zauberisch begabter vorarlberger Dorfbursche durch schier unirdische Tastenkunst Wunderwirkungen entfaltet. Ins selbe Jahr 1992 führt nun das neue Buch, nach Naumburg diesmal und neuerlich zu einer kuriosen Hauptfigur. Jenem Enthusiasten – Jakob Kemper, gelernter Bürstenmacher und mittelmäßiger Musikus – gelingt ein Sensationsfund: Im Körperinneren der Wenzelsorgel fällt ihm eine Urschrift Bachs aus dessen letzten Lebensjahren in die Hände, ein Endzeit-Oratorium nach der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes. Ein Mysterium: Wer in der Partitur blättert, taucht in Bilder seines eigenen Lebens, in Erlittenes, Verdrängtes, Verschuldetes ein; er liest darin „eigentlich über sich“.

Anschauungsmaterial

Robert Schneider liest lebhaft und spannend, prononciert und pointiert. Seinen dürftigen Helden kann er ganz gut leiden, hält aber Distanz und mokiert sich schon mal über ihn. Für Schneider, der mit leichtem, sympathischem Österreicher-Akzent vorträgt, ist Sprache Anschauungsmaterial; einen ausgeprägten Personalstil darf er nicht beanspruchen: Meist sachlich-neutral, seltener poetisch-untergründig schreitet die Prosa voran – und verliert, bei aller Eigenwilligkeit und Spannung der Ereignisse, neben den sich dazwischenschiebenden Orgelkompositionen an Eigenglanz. Kantor Georg Stanek verzichtet in einer magisch-stillen „b-a-c-h“-Improvisation auf bloß bebildernde Effekte und lässt sich lieber aufs Atmosphärische, Mysteriöse, auf die Unglaublichkeit des Manuskriptfunds ein. Mit einem Bach-Choral (BWV 740) scheint er gemessenen Schrittes Jakob Kempers Entdeckerruhmgier und Aufregung beschwichtigen zu wollen; und setzt mit einem Präludium (BWV 552/I) einen gutmütigen, fast launigen Schlusspunkt, was wohl aufs „Komische“, „Kauzige“ des Stoffes verweist.

Der übrigens ist so ganz neu nicht. Schon 1867, im viel gelesenen Gartenlaube-Roman „Das Geheimnis der alten Mamsell“, fantasierte die weiland Erfolgsautorin Eugenie Marlitt über eine nicht minder geheime Bach-Handschrift. Eine Oper war’s damals, eine „Operette“ des Altmeisters gar, und nicht um das Ende der Welt ging’s darin, nur, so unglaublich das klingt, um „Die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung des Bierbrauens“.

Weitere Orgelkonzerte am 1. und 8. Februar (jeweils 17 Uhr).