Erlangen - Inmitten der flirrenden Nachmittagshitze wird die Bühne im Schlossgarten regelrecht gerockt: Nora Gomringer trägt ihren Bachmannpreis-Siegertext "Recherche" vor. Eine Verstörungskomödie, die zwischen irrem Tempo und Nachdenklichkeit changiert. Dichtgedrängt sitzt und steht das Publikum um das Podium, erfreut sich an der lebendigen Performance, an der sichtbaren Sprachlust der fränkischen Lokalmatadorin. Keine Lesung bietet die Bamberger Lyrikerin, sondern eine Aufführung mit ständigem Perspektivwechsel.

"Ich würde es nie wieder machen", sagt die 35-Jährige auf die Frage des Moderators Dirk Kruse, wie es denn beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb war. Die vier Tage in Klagenfurt seien großer Stress für alle Teilnehmer gewesen, eine große Aufregung, auch eine Entzauberung. "Ich dachte, als Lyrikerin würde ich nie eine Einladung erhalten. Als ich dann doch kommen sollte, habe ich den Text extra für den Wettbewerb geschrieben." Die selbstbewusste Autorin gibt zu, Angst vor dem Urteil der Jury gehabt zu haben. Nun aber stehe sie in einer großen Reihe: "Der Preis ist größer als man selbst."

Als Protagonistin für ihren Text hat sich Nora Gomringer die Schriftstellerin Nora Bossong ausgewählt, um eine Identitätsverschiebung zu erreichen. "Natürlich habe ich sie vorher gefragt, ob sie einverstanden ist", erzählt Gomringer. Sie war es. Als Überraschung holt der Moderator Nora Bossong mit aufs Podium. "Wenn ich schon mal die Chance habe, den Bachmann-Preis zu gewinnen, warum sollte ich Nein sagen?", sagt diese lachend. "Ich denke ja inzwischen selber schon manchmal, dass ich den Preis gewonnen habe." Die "doppelten Noras", wie Kruse sie nennt, beschließen spontan, bald einen Text gemeinsam zu schreiben.

So heiß wie am Wochenende war es beim Poetenfest noch nie. 34 Grad im Schatten, am Himmel keine Wolke. Gleichwohl sind weit über 12 000 Besucher zur 35. Auflage des viertägigen Literaturfestivals gekommen, um den Lesungen und Gesprächen der über 80 Schriftsteller und Kritiker zu lauschen und um über das Gehörte zu diskutieren.

Ein Höhepunkt ist das Porträt über Alice Schwarzer. Moderatorin Verena Auffermann stellt die Kämpferin für die Frauenrechte so vor: "Diese mutige Frau hat unser aller Leben in den vergangenen 40 Jahren verändert. Sie hat uns anderen Frauen gesagt: Seid auch mal mutig!" Die von Schwarzer verfassten Biografien stehen im Mittelpunkt: Sie hat Marion Gräfin Dönhoff, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Satre oder Romy Schneider über Jahre begleitet. "Menschen interessieren mich einfach", erzählt Alice Schwarzer. "Man kommt nicht weiter, wenn man keine Fragen stellt." Geschrieben habe sie nur selten über ihre Idole, sondern lieber über Menschen, denen sie mit mehr Distanz begegnen konnte. "Wie steht es mit der neuen Frauenbewegung?", will Auffermann wissen. Der Feminismus, für den sie stehe, sei gerade mal 40 Jahre alt, sagt Schwarzer. "Was wir erreicht haben, ist nicht gesichert. Wir müssen darum kämpfen, dass das Erlangte bleibt", sagt die 72-Jährige.

Die Schriftstellerin Dana Grigorcea hatte als 13-Jährige ein prägendes Erlebnis: Michael Jackson trat 1992 zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt Bukarest auf, von vielen Menschen schon sehnsüchtig erwartet. Als er aus seinem Hubschrauber stieg, rief er der Menge zu: "Hallo Budapest." Mit Witz und Charme erzählt die junge Autorin im Roman "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" von ihren Kindheitserinnerungen im kommunistischen Rumänien. Sie hat dafür heuer den 3sat-Preis in Klagenfurt erhalten. "Ich erzähle von meiner Kindheit mit mildem Blick", sagt sie. Man lache über die Begebenheiten, aber eigentlich seien sie grausam. "Es ist ein politisches Buch. Ich habe es für die Freiheit geschrieben."

Der Preis ist größer als man selbst.

Nora Gomringer zum Bachmann-Preis