Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster wurde in den 80er Jahren durch eine „New-York-Trilogie“ bekannt, die drei experimentelle Kriminalromane umfasste. Zu diesen Anfängen kehrt der inzwischen weltberühmte Autor mit seinem neuen Buch „Reisen im Skriptorium“ (das Skriptorium ist eine mittelalterliche Klosterschreibstube) zurück.

Ein alter Mann in einem Zimmer – eine Situation wie bei Samuel Beckett. Der Mann weiß nicht, wer er ist und was er hier tut. Eine Kamera lässt ihn nicht aus den Augen. Schuldgefühle plagen ihn, es sind „Chimären“ in seinem Kopf. Er ist, sozusagen, in eine Welt geworfen, von der er nicht weiß, was sie bedeutet. Paul Auster teilt ihm den passenden Namen zu: „Wir wollen ihn Mr. Blank nennen“ – der Mann ist blank, sein Leben ist leer.

Bald stellt sich heraus, dass man den Alten einer „Behandlung“ unterzieht, auf eigenen Wunsch offenbar. Im Laufe des im Roman beschriebenen Tages tauchen mehrere Personen bei ihm auf, darunter ein Arzt, ein Anwalt und ein Ex-Polizist. Namen werden genannt (Quinn, Fanshawe, Stillman), die Auster-Leser aus der Trilogie kennen, und manche Geschichten sind wie Echos aus jenen Romanen. Auch zwei Krankenschwestern, die den Mann durch erotische Zuwendung erfreuen, spielen eine Rolle. Eine von ihnen heißt Anna Blume, wie die berühmte Dame, die Kurt Schwitters im Jahr 1919 für eines seiner Merz-Gedichte kreierte; der Text hatte Anna-Gedichte zahlreicher Kollegen zur Folge.

Mit Literatur hat es auch Mr. Blank in seinem Tagesablauf zu tun. Er vertieft sich in eine Erzählung, die als Typoskript auf seinem Tisch liegt. Da es sich um ein Fragment handelt, geben die Ereignisse – es geht um Eifersucht, Verrat und den Mord an Unschuldigen – Anlass zu mancherlei Spekulationen. „Was Genaueres“ verspricht sich Mr. Blank von einem zweiten Manuskript, das ein Deckblatt mit einem Werktitel aufweist: Es heißt „Reisen im Skriptorium“, stammt von N. R. Fanshawe und ist textgleich mit dem Buch, das wir bis dahin als neuen Auster-Roman gelesen haben.

Mr. Blank ist, als er drei Seiten des Berichts über sich selbst hinter sich hat, „nicht im Geringsten amüsiert“. Seinen Wutausbruch kontert der Autor mit der – wiederum an Beckett erinnernden – Bemerkung, dass die Lage seines unglücklichen „Helden“ hoffnungslos sei. Im Bemühen, sie zu begreifen, könne er sich „abstrampeln wie er will – er wird es nicht schaffen ... Er kann nicht sterben, nicht verschwinden, nie etwas anderes sein als die Worte, die ich auf dieses Papier schreibe.“

Mit „Schlafen Sie wohl, Mr. Blank“ und „Licht aus“ endet das Buch, das den Leser als raffiniertes Vexierspiel, als düsterer, doch zugleich amüsanter Bericht über die conditio humana in Atem hält. Übrigens: Der dritte Band der „New-York-Trilogie“ erzählt von einem spurlos verschwundenen Schriftsteller namens Fanshawe und trägt den Titel „Hinter verschlossenen Türen“.

Paul Auster: Reisen im Skriptorium. Rowohlt, 174 Seiten, 16,90 Euro.