Längst lässt die Literaturgeschichte mildernde Umstände für ihn gelten. Absolution erteilte sie Gottfried Benn für die allerdings nicht eben lässliche Sünde, sich 1933 unter die Gefolgsleute des Nationalsozialismus eingereiht zu haben. Den emigrierenden Schriftstellern warf der Dichter im Rundfunk vor, sie begriffen nicht, dass eine zur Weltherrschaft ausersehene Rasse nur aus "furchtbaren und gewaltsamen Anfängen" erwachsen könne. Bald freilich wurde ihm klar, dass er's bei der braunen Intelligenzia mit eher "schwachen Denkern" zu tun habe. Ein umso stärkerer, anpassungsunwilliger Kopf wie der seine passte nicht ins Konzept völliger Gleichschaltung. Für einen wie ihn, einen Propagandisten des expressionistisch verzerrten Menschenbilds, hatten die Nazis bald keine Verwendung mehr: 1938 untersagten sie die Veröffentlichung seiner Gedichte, Prosastücke und Essays. Hatte der gelernte Arzt doch schon in anstößig sezierenden Frühwerken wie den "Morgue"-(Leichenhaus-)Gedichten von 1912 die Zivilisation als Stätte der Fäulnis gegeißelt. Heute vor 125 Jahren im brandenburgischen Mansfeld geboren, formulierte Benn vor, während und nach den Weltkriegen einen radikal kulturkritischen, Gott leugnenden, nur in der Kunst Sinn findenden Nihilismus. Sich und seinem Schaffen sprach er, nicht zu Unrecht, Ausnahmerang zu und zog sich nach dem Untergang der Hitler-Diktatur auf die wohlfeile Position des erhaben Unbeteiligten zurück: "Ich hatte persönlich keine Veranlassung, Berlin zu verlassen, ich lebte von meiner ärztlichen Praxis und hatte mit politischen Dingen nichts zu tun." Nach 1945 bedurfte die arg ramponierte Kulturnation dringend bedeutender Persönlichkeiten und sprach Gottfried Benn rasch frei. 1951, fünf Jahre vor seinem Tod in Berlin, verlieh sie ihm als Erstem den Büchnerpreis, die höchste deutsche Literaturauszeichnung. Ein "einfacher" Autor ist er allerdings nicht. Über Schwierigkeiten bei der Lektüre tröstete der Poet indes selbst hinweg: "Gedichte und Verstehen haben nichts miteinander zu tun."