Der mit allen schlammigen Mississippi-Wassern gewaschene Journalist und Satiriker, gewiss eine der spitzesten Federn seiner Zeit, braucht dazu nicht einmal eine Romanfigur zu erfinden. Im Reisebericht „Die Arglosen im Ausland“ turnt er persönlich von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen.
Am 8. Juni 1867 bricht eine Reisegruppe aus New York an Bord des Raddampfers „Quaker City“ auf zu einer „Gesellschaftsreise nach dem Heiligen Land, Ägypten, der Krim, Griechenland und weiteren auf dem Wege liegenden interessanten Zielen“. Mark Twain ist als Berichterstatter mit dabei, die Depeschen, die er von unterwegs an seine Zeitung schickt, wird er später zu seinem Buch zusammenfassen.
Paris, Florenz, Rom, Neapel, Athen, Sewastopol, Konstantinopel, Ephesus, Beirut, Damaskus, Nazareth, Jerusalem, Kairo – die Liste der Orte, die Twain bei seinem ausgiebigen Abenteuer besucht, ist lang. Überall hat er akribisch genau hingesehen. Seine Beschreibungen taugen als Reiseführer oft noch heute, die Monumente, die er besucht, standen damals schon seit Jahrhunderten – ein weiteres hat sie kaum wesentlich verändern können. Und die Menschen?
An vielen seiner Reisebegegnungen lässt der große Spötter kein gutes Haar, ganze Völker werden – politisch absolut unkorrekt, aber urkomisch – kategorisch abgekanzelt. Doch immer spürt man das Schmunzeln unter dem mächtigen Markenzeichen-Schnauzbart des Erfolgsautors, der erst knapp zehn Jahre später Tom Sawyer erfinden wird und Huckleberry Finn. Mit Charme und Witz hält uns Twain doch mit den scheinbar Fremden ganz ungeniert den Spiegel vor – bis heute.
Was hat sich denn schon groß geändert? Auch in Reisegesellschaften des 21. Jahrhundert gibt es den ewigen Nörgler, den unaufhaltsam plappernden Besserwisser, den hilfsbereiten Kumpeltyp. Und bis heute trifft man auf Reiseleiter, die aus Twains Figuren geklont sein könnten. Mark Twain und seine Freunde nennen alle Fremdenführer von der ersten Station an konsequent nur „Ferguson“. Das spart die Mühe, sich immer wieder auf Neues einstellen zu müssen.
Durchgängig bemüht sich die Gruppe auch, jedem „Ferguson“ das Leben so schwer wie möglich zu machen. Rache dafür, dass man nach einer Kirche und einer Statue unweigerlich bei der dritten Station in einem Laden für Seidenstrümpfe oder einer besonders sehenswerten Teppichknüpferei landet, wo man „außergewöhnlich günstig“ traditionelle Waren erwerben kann.
„Ferguson“ in Genua kann beispielsweise mit Kolumbus gar nicht punkten, denn Twains Freunde beharren darauf, sie kämen ja gerade aus Amerika und müssten es doch wissen, falls tatsächlich ein solcher Herr den Kontinent entdeckt haben sollte. Aber davon sei ihnen nun wirklich nichts bekannt. Statt immer nur Mumien fordern sie anderswo „mal eine nette frische Leiche“ und beim zwölften zur Schau gestellten Apostel-Finger lassen sie den diensthabenden „Ferguson“ ernste Zweifel spüren.
Twain versucht sich als Sportreporter im Kolosseum („Klasse, der Löwe!“ – „Nun mal ran, Gladdy!“) und Festredner beim russischen Zaren, wird von der Cholera in Damaskus niedergestreckt in einer „Straße, die da heißt, die gerade“ und die tatsächlich immerhin „etwas gerader ist als ein Korkenzieher“. Er trachtet französischen Barbieren und ägyptischen Pyramidenkletterern nach dem Leben und versucht vergebens, im Toten Meer ein Pferd unterzutauchen.
Doch bei all den skurrilen Albernheiten, Mark Twain ist auch ein exzellenter Beobachter, erkundet voller Neugier fremde Welten, beschreibt die Stimmung eines Sommerabends ebenso plastisch wie die Gerüche einer Küche oder die Geräusche eines Marktplatzes. Da ist der alte Flunkerer peinlich genau und ganz wahrer Berichterstattung verpflichtet. Wer seine Reiselust zuhaus im Ohrensessel stillen möchte, ist mit Twains stets amüsantem Buch – dem vierten Band einer fünfteiligen Neuauflage seiner Reisereportagen und Roman- Abenteuer – gut beraten.
Mark Twain: Die Arglosen im Ausland, Insel-Verlag, 722 Seiten, broschiert, 13 Euro.