Ein Verdammungsurteil: "Heute", schreibt "Kindlers neues Literaturlexikon" über Ernst Wiechert, "heute gehört er eher zu den vergessenen Autoren." Mit höherer Billigung sozusagen braucht der einheimische Leser den am 18. Mai 1887 in Ostpreußen geborenen deutschen Dichter im Jahr seines 125. Geburtstags nicht zu kennen. (Über Arthur Schnitzler, der nebenbei heute vor 150 Jahren zur Welt kam, würden die Nachschlagewerke so nicht zu urteilen wagen - noch nicht.) Wie aber kommt's, dass einer wie Wiechert mit der Zeit aus dem Kulturgedächtnis fiel? Zunächst ließen ihn die Nationalsozialisten gern gelten, meinten sie doch, aus einigen Stoffen und dem Stil des Schriftstellers eigenes völkisches Blut- und Boden-Gedöns herauszuhören. Schließlich aber gipfelte Wiecherts humanistische Haltung offen in Widerspruch. Als Kritiker der braunen Kulturpolitik hatte er bereits Angriffe der Medien auf sich gezogen, als er im März 1938 Partei für den in ein Konzentrationslager verschleppten Pastor Martin Niemöller ergriff. Nur Monate später sah sich Wiechert in Buchenwald interniert, wo er nun selbst Zeuge des brutalen KZ-Systems wurde. In "Der Totenwald" berichtete er 1946 davon; und teilte mit, Joseph Goebbels persönlich habe ihm mit "physischer Vernichtung" gedroht. So fügte er sich denn - scheinbar; immerhin schilderte er 1942 in seinem Bestseller "Das einfache Leben" ein Utopia der inneren Freiheit. Nach dem Weltkrieg ehrte ihn die konservative Intelligenz als Protagonisten der literarischen Opposition und als moralische Instanz. Doch mit dem schlagartig einsetzenden Schuldverdrängungsprozess unter seinen Landsleuten konnte sich der Autor nicht abfinden und emigrierte 1948 in die Schweiz. Der Leser heute wird Wiecherts Prosa schwer genießbar finden. Schon ins Jahr 2000 passten ihr raunender Romantizismus und ihre mystische Fortschrittsfeindlichkeit nicht mehr. Dennoch erinnerte damals, im Jahr seines 50. Todestages, die Deutsche Post noch einmal mit einer Sondermarke an den bereits Vergessenen.