Rehau/Berlin - Das Gedicht wurde auf Spanisch geschrieben, ist aber mühelos in alle Sprachen der Welt zu übersetzen. Auf Deutsch geht es so:

Alleen

Alleen und Blumen

Blumen

Blumen und Frauen

Alleen

Alleen und Frauen

Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer

Das Gedicht, eine sogenannte Konstellation, wurde 1953 in der Schweizer Zeitschrift "Spirale" erstmals veröffentlicht. Sein Autor, der 1977 zum Professor an die Kunstakademie Düsseldorf berufene Eugen Gomringer, wird international als Initiator der konkreten Poesie - sie macht die Sprache selbst zum Zweck und Gegenstand des Gedichts - gewürdigt. Seit 1967, als er das Amt des Rosenthal-Kulturbeauftragten antrat, lebt er in Oberfranken. Sein Zuhause war zunächst Erkersreuth, dann Wurlitz, seit dem Jahr 2000 wohnt er mit Ehefrau Nortrud in Rehau. In einem ehemaligen Schulhaus, das ihnen die Stadt zur Verfügung stellte, leiten beide das Institut für konstruktive Kunst und konkrete Poesie (ikkp).
Als Dichter und Experte für Literatur und Malerei ist Gomringer auch mit 92 Jahren noch immer gefragt. Zu den Ehrungen, die er erhielt, zählt der Poetik-Preis der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin. Der wurde ihm 2011 zuteil und hatte zur Folge, dass sein Gedicht "avenidas y flores", in der Originalsprache, in großen Lettern auf der Südfassade der Hochschule abgedruckt wurde. Nach den Worten des Autors hatten viele Menschen, die es sahen und lasen, Freude daran. Und eben darum, mit wenigen Wörtern eine positive Stimmung zu erzeugen, indem er drei bis vier schöne Sachen zusammenbrachte, sei es ihm gegangen, erklärt Gomringer gegenüber unserer Zeitung. Der Buchstabe Y sei ihm dabei wichtig gewesen, weil er nicht nur "und" bedeute, sondern schon durch seine Form eine Verbindung herstelle.

Auf die Idee, das Gedicht ganz anders zu lesen, kamen im vergangenen Jahr Studentinnen und Studenten der Hochschule, an der rund 3700 junge Leute Bachelor- und Masterstudiengänge für Soziale Arbeit, den Gesundheitsbereich sowie Erziehung und Bildung belegen. In einem Offenen Brief forderte der Allgemeine Studierendenausschuss der ASH, das Gedicht von der Fassade zu entfernen. Grund: Es verbreite "eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren". Zudem erinnere der Text "unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind". Zwar sei von Bewunderung die Rede, doch könnten "objektivierende und sexualisierende Blicke" zu "Angst vor Übergriffen" führen.

Der Akademische Senat der Hochschule beschloss daraufhin, die Fassade neu zu gestalten. Vorschläge dafür können nun bis Mitte Oktober eingereicht werden, danach soll per Online-Abstimmung entschieden werden. Nicht erfreut über diese Entwicklung ist Uwe Bettig, der Rektor der Hochschule und Professor für Betriebswirtschaftslehre. Gegenüber dem Magazin Monopol erklärte er, die Ansicht, dass Gomringers Text Frauen herabsetze, teile er "in keinster Weise". Wohl aber wirke es nun so, als solle der Autor selbst diskriminiert werden. Er bemühe sich um den Erhalt des Gedichts, eventuell mit einem erklärenden Zusatz.

Professor Gomringer hat indessen die Kritik an seinem Gedicht als "Unsinn" bezeichnet. Sein Text sei die Evokation einer Stimmung und habe mit einer Herabsetzung der Frau nicht das Geringste zu tun, sagte er gestern am Telefon. Die Entfernung von der Fassade würde aber eine Missachtung einer Literaturform bedeuten, die den Vorzug habe, dass in ihr alle Sprachen zusammenkämen. Gomringer: "Was da im Gange ist, hat vor allem mit Dummheit und einem Mangel an Bildung zu tun." Und das an einer Hochschule, zu deren Studiengängen "Erziehung und Bildung im Kindesalter" gehört.