Aus so genannten kleinen Verhältnissen kam er – und brachte es zum aufgedonnerten Star der New Yorker Intellektuellen-Schickeria. Die ließ ihn fallen, als er sie, durch intimste Enthüllungen, seinerseits verriet. Noch keine 60, starb Truman Capote 1984 einen abseitigen Tod: ein ramponierter Junkie unter den struppig-ergrauten Gefiederresten des gewesenen Paradiesvogels. Der exzentrisch bunte Lärm, den der Autor um sich machte, ist lang verhallt – umso feiner schillern die Klänge seiner bewundernswerten Prosa.

Auf Deutsch bringt der Verlag Kein und Aber sie heraus. In der auf acht Bände berechneten Werkausgabe versammelt der Band „Baum der Nacht“ alle Erzählungen des großen Fabulierers und subtilen Stilisten, chronologisch geordnet und durchweg in Neuübersetzungen.

Mit der Dramaturgie einer unaufwändigen, doch unwiderstehlichen Spannung besticht Capote ebenso wie durch seine Witterung für atmosphärische Valeurs, durch die Finesse seiner Formkunst. So verschachtelt er zwei Geschichten beziehungsreich doppelbödig in seiner letzten Erzählung, „Wüste“ (1975) – einer von insgesamt sechs kürzeren Texten, die jetzt erstmals übertragen vorliegen.

Überraschend häufig interessiert sich Capote, der Selbstdarsteller der Großmannssucht, für kleine Leute, kleine Verhältnisse, für die Versteckten, Skurrilen, lässlich Lasterhaften, für Enttäuschung, Verlust und Angst. Schon dem Neunzehnjährigen gelang mit „Miriam“ eine bezwingende Studie der Isolation und des Identitätsverlusts. Oft gerät der Alltag, dem seine Figuren unauffällig angehören, aus den Fugen, wie unter einem fremden, nicht zu kontrollierenden, unheimlichen „Plan“. Bei aller nüchternen oder staunenden Weltzugewandtheit kommt die Poesie nicht zu kurz: In pastelligen, nur selten sentimentalen Farben trägt er sie auf, bringt sie mit ausgefeiltem Understatement, in surrealen Metaphern wundersam zum Klingen. Umso fasslicher, geradezu handgreiflich umarmt er in drei autobiografischen Erinnerungen Miss Sook, die „Freundin“ seiner Knabentage, eine versponnene, keineswegs einfältige Altjungfer: Sie gab dem Jungen zu verstehen, das Weisheit sich aus Kindlichkeit nährt.

Sonst bleibt Capote eher in unvoreingenommener Distanz zu seinen Figuren; sogar zu den Antihelden seines berühmtesten Buchs „Kaltblütig“, das gleichfalls neu übersetzt die Werkausgabe bereichert. „Non-fiction“: Journalistisch nichts als den Fakten verpflichtet, macht Capote mit zwei Alltags-Tagedieben bekannt, die 1959 in Kansas eine Farmersfamilie ausrotteten – Kleinkriminelle im Grunde, indes teuflisch begabt mit einer Gewaltbereitschaft von exzessiver Gleichgültigkeit. Fesselnd vermittelt der Autor zwischen seiner insistierenden Neugier aufs vollkommen Böse und der Unaufgeregtheit so genannter Objektivität: unbedingt beteiligt in jedem Augenblick. MICHAEL THUMSER

Baum der Nacht. 445 Seiten.

Kaltblütig. 535 Seiten.

Beide Bücher beim Verlag Kein und Aber, gebunden, jeweils 22,80 Euro.