Hof – „Sie wünschen – wir spielen Ihre Lieblingsmelodien.“ Zu Dampfradios Zeiten standen derlei Devisen über Schlagersendungen für die bürgerbrave Familie. Mag sein, dass dies Motto seit einiger Zeit Tobias Hofmann inspiriert, den Musikchef des Stadttheaters Ingolstadt. Eine andere Bezugsquelle für seine Konzepte dürften die landauf, landab gefeierten „Liederabende“ des unermüdlich einfallsreichen Franz Wittenbrink sein, etwa „Nacht-Tankstelle“, „Sekretärinnen“ oder „Männer“; mit ihnen feierte das Theater Hof Triumphe. Doch wozu für teure Aufführungsrechte bezahlen, wenn man’s genauso gut selber hinkriegt.

Genauso gut? Der „Schlagerabend“, mit dem die Oberbayern am Mittwoch nach Hof zu den Theatertagen reisten, erweist, wie schwer das ist. „Irgendwo, irgendwann“: Der Titel deutet an, dass sich der Arrangeur und Regisseur auf Vergangenes besinnt. Nicht zum ersten Mal tat er’s: Mit „Abends, wenn die Lichter glüh’n“ nahm er sich bereits Liedgut der deutschen Zwanziger und Dreißiger vor. Im Gespräch mit dem „Donaukurier“ träumte er davon, „mal durch das ganze Jahrhundert zu gehen – das wäre die logische Konsequenz“. Fürs neue, zweite Kapitel schritt er folgerichtig weiter zu den Schlagern der 1950er- und 1960er-Jahre.

Und wechselte von der kleinen Bühne auf die große. Denn mit beträchtlichem Aufwand vollzieht die sich stetig vermehrende Szenerie von Ausstatterin Katrin Busching nach, wie die nachkriegsdeutsche Tristesse friedensfreudig mehr und mehr unter der Buntheit des Aufschwungs verschwindet. Alles boomt, Bau und Babys, Freizeitfreuden, schicke Kleider. „In der Bar fängt für mich das wahre Leben an“, singt eingangs lebenslustig eine Sekretärin, während sie vor einem tankstellenähnlichen Bier- und Limo-Ausschank mit Edward-Hopper-Anmutung ihr Pausenbrot aus der Blechbüchse mampft. So wie die Menschen putzt auch die Bar sich zunehmend leuchtend heraus. Aus Laufkundschaft werden Stammgäste, die blau auch mal außer Rand und Band geraten.

Und aus Kindern werden Leute. Schon als Rotzgöre kräht Anneliese – Antje Rietz, die 2001 und 2002 in Musicals auf der Hofer Bühne stand und jetzt als Diseuse beeindruckt –, sie wolle „keine Schokolade. Ich will lieber einen Mann.“ Zwar fragen drei kurzhosige Einfaltspinsel bei Bardame Dolores (Olivia Wendt, grazil, aber robust) nach: „Hamse nich ne Frau für mich?“ Doch Anneliese wählt, während sie sich umständlich die Spange aus den Zähnen puhlt, einen scheuen Leisetreter (Richard Putzinger): Der liest sein linkisches Liebesgeständnis von einem Zettel ab – sicheres Zeichen dafür, dass sie ihn „um den Finger wickeln kann“. Dann „kommt das Wirtschaftswunder“: mit Hochzeitskleid und -feier, Peter Alexanders „Badewannen-Tango“ vor der Brautnacht, mit Häuschen und Gärtchen, Konjunktur und VW-Käfer, Staubsauger-Ballett und Baströckchen-Fantasien von einem Urlaub auf Hawaii.

Für ein Theater ohne eigene Musiksparte eine ehrgeizige Produktion. In puncto Satzgesang erlaubt sich das Schauspielensemble keine Schwachheiten. Imponierend finden sich die Darsteller noch durch die komplexen Harmonien anspruchsvoller Bearbeitungen. Als kleine, runde Episoden stehen die eine und andere Szene unterhaltsam für sich, und auch Annelieses Paarbildung, Paarung und Szenen einer Ehe taugen zu harmlosem Amüsement.
Nur verringert sich das Vergnügen umso mehr, je ungezügelter Tobias Hofmann im Graben seine (prima) Kombo aufspielen lässt. Ihrer übertriebenen Druckkraft entspricht das klamottige Overacting, zu dem er seine Akteure verleitet hat – das dann aber, in arg ausführlichen stillen Pausen mit stummem oder erstarrendem Spiel, schläfrig zum Erliegen kommt. Den Liedern wie dem Spiel geht durch das extreme Auf und Ab der latente rote Faden flöten: der fließende Rhythmus. So stockend bis schwunglos verlief der Aufschwung nicht. Schon gleich zu Beginn geschieht viel zu lange viel zu wenig. Dabei lehrt jedes Radiowunschkonzert, wie man den Schlagerfreund erobert: mit einem Hit gleich als Entree.
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Am Freitag bei den Theatertagen:
# Amahl Khouri: „She He Me“. Studio, 19.30 Uhr.
# Nach William Shakespeare: „Die Widerspenstige“. Großes Haus, 19.30 Uhr.