Selb - Die Nacht vom Samstag zum Sonntag war kalt. Unglaublich kalt. Zumindest für die verwegenen Besucher, die sie im Zelt verbracht haben. Ein Glück, dass die passende Gewandung für solche Anlässe wie das Mittelalterfestival auch aus dicken Filzjacken und Fellen besteht. Am Sonntagvormittag hatte auch der Wettergott ein Einsehen und die Sonne spitze eine zeitlang hinter den Wolken hervor - eine gute Gelegenheit für die Gäste, sich ein bisschen aufzuwärmen. Heute endet das zehnte Festival Mediaval, und ihnen stehen noch zahlreiche Highlights bevor. Keine Zeit also für steife Glieder.

Am Samstagabend hatten unter anderem die Musiker von In Extremo ihrem Publikum noch ordentlich eingeheizt. Das Gastspiel ihm Rahmen der "Quid pro quo"-Tour genossen aber offenkundig auch die Herren auf der Bühne, während davor die Meute tobte, tanzte und vor allem sang: Selbst bei der mittelalterlichen schwedischen Ballade "Herr Mannelig" erwiesen sich die tausenden Besucher als erstaunlich textsicher. "Es ist schön, endlich mal in Selb aufzutreten", bekannte Sänger Michael "Das letzte Einhorn" Rhein. Jubel war ihm dafür gewiss, womöglich auch vonseiten der Veranstalter. Die Ansage adelt das Festival durchaus.

Anerkennung erfährt es schon seit Jahren in der Szene. Besucher aus halb Europa versammelten sich auf dem Goldberg, in den Straßen rundherum war kaum ein Parkplatz zu finden. Veranstalter Bläcky Schwarz schätzte am Samstagabend, dass die Marke von 30.000 Besuchern geknackt werden könnte, "über alle vier Tage verteilt". Aber selbst wenn "nur" 10.000 Menschen gleichzeitig in die Hände klatschen und miteinander singen, erzeugt das eine Gänsehaut.

Gänsehautmomente gab es reichlich bei diesem Jubiläumsfestival; nicht nur auf der Bühne, wo zahlreiche Bands ihre eigenen Jubiläen feierten und neue CDs vorstellte. Wer die Menschen abends an den Lagerfeuern erlebt hat, selbst ein wenig auf Gitarre, Flöte oder Okarina spielend, der konnte ahnen, was für ein guter Geist über diesem Ort weht. Da werden Freundschaften geschlossen, auch zwischen den Händlern und Künstlern. Die Musiker von Omnia zum Beispiel, die heute Abend das Festival ausklingen lassen werden, sind inzwischen von der Festival-Crew und der Stadt so angetan, dass sie immer wieder kommen - dem Vernehmen nach auch schlicht, um im Fichtelgebirge ein paar Tage Urlaub zu machen.

Friedlich sind die Menschen hier, auch wenn sie Hörnerhelme tragen, fiese Pestmasken und lange Schwert-Attrappen. Kinder flitzten allerorten zwischen Wikingern, Piraten und anderen nicht ganz finsteren Gestalten umher. Zum Beispiel in der "Black Stage", der neuen Attraktion, in deren Inneren eine nostalgische Geisterbahn zum Durchspazieren lockte. Die liebevoll kostümierten Gespenster erwiesen sich als ganz charmant.

Lernen konnte man auch etwas; ein üppiges Workshop-Programm lockte Wissbegierige zu Schnupperstunden an der Drehleier oder dem höfischen Gesellschaftstanz vergangener Jahrhunderte. Harte Fakten präsentierte der anerkannte Mediävist Professor Rudolf Simek, zurecht Träger einer Ehrendoktorwürde. In launigen Vorträgen trennte er moderne Mythen von geschichtlich Belegbarem, etwa über die Wikinger. Und am frühen Sonntag servierte er seiner "treuen Morgengemeinde" im Literaturzelt ein ganzes Arsenal von Trollen zum Frühstück: richtige und moderne, wie sie Regisseur Peter Jackson nach Tolkien und die Spielwarenindustrie hervorgebracht haben.

Gut besucht waren nicht nur die Lesungen, sondern auch die Wettkämpfe: Bei den Highlandgames jubelten die Menschen dem Sieger zu, Markus aus Wiesbaden, der in blauer Regenjacke angetreten war, und die authentischen Schotten in ihren Quilts ganz schön alt aussehen ließ. Und beim Tauziehen in der Goldbergbucht verwies das Team der Organisatoren die Piraten auf den letzten Platz, Heimspiel hin oder her.

Musikalisch erwarten heute noch Dikanda, Elfenthal, Pampatut und Omnia ihr Publikum. Und auch Jongleure, Magier und Co. sind noch bis 22 Uhr zu erleben, ebenso die obligatorische "Schalcht um die Goldbergbucht" um 19 Uhr. Es gibt noch Tageskarten.