Regnitzlosau/Leupoldsgrün Ein Vierbeiner auf gefahrvoller Odyssee

Rainer Maier

"Samu" läuft weg und streunt acht Wochen lang durch Hochfranken. Einer Tierschützerin aus Leupoldsgrün gelingt es, das scheue Tier einzufangen.

 
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Regnitzlosau/Leupoldsgrün - "Samu" lebt gefährlich. Der schwarz-weiße Mischlingsrüde rennt in Panik an der Bundesstraße 303 an der Leitplanke entlang, keinen Meter von der Fahrbahn entfernt, auf der immer wieder schwere Sattelschlepper an ihm vorbeidonnern. Eine Frau aus Tröstau sieht den herrenlosen Hund nahe der Luisenburg-Abfahrt bei Wunsiedel und hält. Sie hat selbst Hunde, sogar eine Leine hat sie im Auto.

Auf Facebook hat die Frau gesehen, dass ein paar Tage zuvor in Regnitzlosau ein Hund entlaufen ist. Aufgrund des geposteten Fotos ist sie sich sicher: Das hier ist "Samu". Der Rüde hat mittlerweile die Straße überquert, läuft in den Wald Richtung Breitenbrunn. Die Frau samt Leine hinterher. Sanft redet sie dem Hund zu, kommt bis auf fünf Meter an ihn heran. Doch "Samu" ist scheu und ängstlich. Er lässt sich nicht packen, weicht immer wieder zurück.

Die Frau informiert ihren Mann, der sich mit ein paar Hunde-Goodies auf den Weg macht, und die Wunsiedler Polizei. Doch als die Streife und der Ehemann eintreffen, ist "Samu" verschwunden. Keine Spur mehr von ihm im Wald an der B 303 und im kniehohen Gras der Wiesen.

Zehn Tage ist "Samu" da schon, in der Region unterwegs, auf sich allein gestellt. Insgesamt acht Wochen lang werden ihn Tierfreunde überall in Hochfranken suchen. Regelmäßig wird der Hund gesichtet. In Selb. In Helmbrechts. In Konradsreuth. In Wölbattendorf. In Münchberg. In Hof.

Zabrina Engst aus Leupoldsgrün war lange bei der Tierrettung Hochfranken aktiv. Und sie hat eine Lebendfalle, die groß genug ist für einen Hund wie "Samu". Als sie von der Suche erfährt, postet sie ihre Handynummer auf Facebook. Die Suche nach "Samu" bekommt eine neue Dimension. Genau verfolgt Engst, wo und wann der Hund gesichtet wird. "Kommunikation ist alles", sagt sie.

Jeder Hinweis ist wichtig. Möglichst schnell und möglichst exakt muss sie informiert werden, wenn sie den Hund einfangen will, bevor ihm etwas passiert. Engst hat mit sogenannten Auslandshunden schmerzliche Erfahrungen: "Viele werden aus Rumänien, Spanien oder Russland gerettet, um dann in Deutschland auf der Straße zu sterben."

Auch "Samu" ist ein Auslandshund. Er hat in Rumänien wild und verwahrlost gelebt, war dann dort im Tierheim, sollte eingeschläfert werden. Der Verein "Ein Herz für Streuner" aus München bringt ihn schließlich nach Deutschland, ein hundeerfahrenes Rentner-Ehepaar aus Regnitzlosau erklärt sich bereit, ihn aufzunehmen. Doch "Samu", ein Angsthund, misstrauisch und an Familienanschluss nicht gewöhnt, hat mit Menschen schlechte Erfahrungen gemacht. Schon am vierten Tag beißt er seine Leine durch, setzt über den niedrigen Zaun und läuft weg. Seine Straßenhund-Vergangenheit kommt ihm jetzt zugute. Er weiß, wie er sich durchschlagen kann.

Die Regnitzlosauer Rentner wollen "Samu" anfangs wiederhaben, gehen selbst den Hinweisen nach. Auch nach der Sichtung an der B 303 bei Wunsiedel kommen sie, um "Samu" zu suchen. Ohne Erfolg. Nach Wochen kommen sie zu der Erkenntnis, dass sie diesen Hund nicht sicher werden halten können. "Ein Herz für Streuner"-Vorsitzende Sandra Baumeister einigt sich mit ihnen darauf, "Samu" wieder zurückzunehmen, sollte er gefangen werden.

Zabrina Engst ist "Samu" mittlerweile immer dichter auf der Spur. Manchmal wird er mehrfach am selben Ort gesehen. "Irgendetwas muss ihn da halten", sagt sich die Tierrettungs-Expertin. Ein guter Platz für ihre Falle.

In Wölbattendorf hat sie ihn fast. Eine Kamera mit Bewegungsauslöser, die sie aufgestellt hat, fotografiert "Samu" bereits an ihrem Käfig. Doch eine örtliche Tierfreundin legt "dem armen Hund" Futter hin. Vor die Falle. Die Motivation, sich Fressen aus dem Käfig zu holen, ist weg. Andere Menschen versuchen, "Samu" zu packen. Doch der ängstliche Hund haut immer wieder ab und meidet von nun an die Stelle.

Mit Detektivarbeit und Hundeverstand kommt Engst ihm erneut auf die Spur. In der Stelzenhofstraße und in der Luisenburgstraße in Hof wird "Samu" mehrmals gesehen, ein Obdachloser füttert ihn, als der Hund dort an seinem Zelt auftaucht. Die Leupoldsgrünerin stellt ihre Falle auf. Zwei Tage später, 35 Minuten nach Mitternacht, klingelt ihr Handy: "Hundefalle" steht auf dem Display, ihr Fangkäfig meldet Erfolg.

Zabrina Engst eilt nach Hof, die Tierrettung Hochfranken hilft ihr, den verängstigten "Samu" in eine Transportbox umzuladen. Morgens um halb vier hat sie den Streuner bei sich zu Hause. "Er war fix und fertig", berichtet sie. "Er war acht Wochen lang immerzu auf der Flucht. Bei mir hat er dann eigentlich nur geschlafen."

Am übernächsten Tag schickt "Ein Herz für Streuner" ein Tier-Taxi. "Samu" wird zu einer Pflegestelle in München gebracht. Zabrina Engst bekommt von dort noch ein Foto gemailt, das den Ausreißer in der neuen Umgebung zeigt, wo ihm mit viel Geduld begegnet wird und er sich sicher fühlen kann. Später soll er dann an eine neue Familie vermittelt werden.


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