Hof Gemeinsamer Kampf gegen das Stigma

Lisbeth Kaupenjohann
Sie standen den Fragen des Publikums Rede und Antwort (von links): Martina Heland-Gräf vom Landes- und Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, Klaus Bernhardt, der für die Angehörigen psychisch Kranker in Hochfranken sprach, und Dr. Lothar Franz, Leiter der Bezirksklinik Rehau. Foto: Lisbeth Kaupenjohann

Ist die Psyche krank, wird das Leben schwierig - auch für die Angehörigen. Es fehlt an Ärzten in der Region. Noch andere Hürden sind zu nehmen.

 
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Hof - Das Verhältnis zwischen Patienten, Ärzten und Leistungsträgern ist nie einfach. Aber besonders problematisch ist es, wenn es um psychische Erkrankungen geht. In ländlichen Gebieten wie in Hochfranken fehlt es an zeitgemäßen Strukturen, was die medizinische Hilfe betrifft. Das ist deutlich geworden zum Auftakt der Hochfränkischen Wochen der seelischen Gesundheit. In der Kulturkantine des Theaters Hof schilderten Betroffene ihre Erfahrungen. Eingeladen hatte das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit Hochfranken. Dr. Lothar Franz, Leiter der Bezirksklinik Rehau, stellte seine Sicht der Dinge dar und gab den Vertretern von Patienten und Angehörigen in Vielem recht: Es sei wichtig, auf Augenhöhe miteinander zu reden und sich gemeinsam für bessere Verhältnisse einzusetzen.

Martina Heland-Gräf aus Neustadt bei Coburg arbeitet sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene im Vorstand des Verbandes Psychiatrie-Erfahrener. Als Erfolg wertete sie, dass der Verband in Bayern inzwischen in fast allen Fachgremien vertreten ist. Dennoch habe es die Selbsthilfe immer noch schwer. Heland-Gräf ging näher ein auf die Verhandlungen um ein neues Gesetz, das psychisch Kranke sozial und gesundheitlich stützen soll. Hier stünden die Interessen unterschiedlicher Ministerien gegeneinander. Es gehe um medizinische Hilfen und eine bessere Reha sowie um arbeitsfördernde Maßnahmen und Ausbildung auf der einen Seite, um rechtliche Absicherung und Fragen der Kostenübernahme auf der anderen. "Die Patienten brauchen eine bessere Prävention und rechtlichen Beistand. Psychische Krankheiten dürfen nicht länger stigmatisiert werden", forderte Heland-Gräf. Sich in der Selbsthilfe zu engagieren, sei wichtig: "Gemeinsam sind wir stark!"

Wie stark die Familien der Patienten betroffen sind, schilderte Klaus Bernhardt aus Naila. Er engagiert sich im Verein Angehöriger psychisch Kranker Hochfranken. Eindringlich schilderte er die Krankengeschichte seines Sohnes, der im Gymnasium gute Noten hatte, Musik und Sport liebte, sich dann aber immer mehr in sich zurückzog und mit 17 Jahren erstmals in eine psychische Klinik musste. Das Abitur schaffte er dann doch, begann ein Chemiestudium, machte den Bachelor, scheiterte aber während des Master-Studiums erneut. "Immer neue Klinikaufenthalte vermindern das Selbstwertgefühl, fördern Frust und Sucht - es kommt zu einer Spirale nach unten", gab Bernhardt zu bedenken. Die ganze Familie leide mit. Viele Fragen blieben unbeantwortet: Warum gerade unser Sohn? Wird er richtig behandelt? Wie geht es weiter? Wird er je auf eigenen Füßen stehen können? Das Familienleben sei nicht mehr planbar. Stimmungsschwankungen belasteten das Klima. Als Eltern nicht helfen zu können, sei unerträglich. Anderen Menschen fehle es an Verständnis. "In Sachen Inklusion gibt es hier noch viel zu tun", betonte Bernhardt. Wichtig sei, dass Patient, Eltern und Ärzte besser zusammenwirken.

Das Gesundheitswesen sei im Umbruch, betonte Dr. Franz. Dass dieser Sektor immer stärker ökonomisiert werde, mache die Sache nicht leichter. Aber die Bedeutung der Selbsthilfe habe man inzwischen erkannt. Klar sei auch, dass das geplante Krankenhilfegesetz noch lange nicht in trockenen Tüchern sei. Es fehle an Personal. Die pauschale Vergütung erlaube keine ausreichend intensiven Gespräche, die Versorgungsstrukturen müssten verbessert werden. "Wir haben hier noch viele Baustellen." Dabei leide jeder Dritte in seinem Leben einmal an einer psychischen Störung. Diese nähmen schneller zu als jede organische Krankheit. Doch sie würden nicht wie diese akzeptiert, es fehle an Verständnis und fachlicher Hilfe. Auch sei es schwer, Ärzte in die Region zu bekommen.

In der Diskussion regten Zuhörer an, dass Ärzte Angehörige besser informieren sollten. Allerdings warnte Martina Heland-Gräf auch davor, Patienten zu nötigen, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Ohne die Hilfe von Familie und Freunden gehe es allerdings auch nicht. "Das ist immer eine Gratwanderung." Was den geplanten mobilen Krisendienst betrifft, so gebe es den bislang nur in Oberbayern. In Oberfranken funktioniere derzeit auch noch kein Notruf rund um die Uhr. Die mobilen Teilhabe-Beratungsstellen seien beantragt, doch sei die Finanzierung noch ungeklärt. "Sie könnten gerade auf dem Land sehr hilfreich sein", betonte Heland-Gräf. Als eine gute Sache bezeichnete Dr. Franz die Gesundheitsregion plus. Aber auch hier stehe man noch am Anfang. Er lobte das ehrenamtliche Engagement von Angehörigen und Betroffenen. Das Thema betreffe jedermann. Auch Demenzkranke seien psychisch krank. Sie würden zum Großteil daheim versorgt. "Wären sie alle heimpflichtig, würde unser Gesundheitssystem zusammenbrechen."

Die Senioren-Theatergruppe "Reifezeit" drückte in humorigen Einaktern auf ihre Weise aus, vor welchen Anforderungen die Psyche im "ganz normalen" Alltag steht. Musikalisch umrahmte den Abend Wojciech Miazga.

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