Hof Grausamkeit des "guten Todes"

Grausamkeit des "guten Todes" Quelle: Unbekannt

Der Historiker Norbert Aas spricht über Euthanasie im Dritten Reich. Dem perfiden System fallen Tausende zum Opfer.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Schwarzenbach an der Saale - Ein freundlicher älterer Herr hält einen Vortrag und entschuldigt sich ein ums andere Mal für seine "zu alltäglichen" Ausdrücke. Zu salopp, zu alltagssprachlich muss man umgehen mit den Begriffen, sagt er. Sein Thema: Euthanasie im Dritten Reich. "Sonst erträgt man die Schwere der Fakten nicht", erklärt er. Die Zuhörer schweigen und verstehen, tief betroffen von den menschlichen Abgründen, die sich auftun, wenn man dem Bayreuther Historiker Dr. Norbert Aas folgt. "Kaum zu ertragen", lautet das Fazit am Ende der Diskussion.

Der Verein gegen das Vergessen hatte ihn zu diesem Vortrag in Schwarzenbach an der Saale eingeladen, um daran zu erinnern, dass die Gedenkstätte "Langer Gang" seit elf Jahren besteht. "Euthanasie", betont der Referent, "heißt eigentlich guter Tod." Historisch gesehen gründet die Absicht, unwertes Leben zu vernichten, darauf, dass viele starke und gute Menschen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges geblieben waren. Die neuen Machthaber wollten wieder ein "gesundes" Volk, sie wollten es züchten. Dazu kam die Kostenrechnung. Sie besagte, dass die Volksgemeinschaft für Betreuung und Pflege von Menschen mit Behinderungen viel - zu viel - Geld aufbringen muss. Geld, das das Nazi-Regime lieber für Kriegsvorbereitungen ausgeben wollte. Sogar in Schulbüchern und Ratgebern für Mütter wurde darauf hingewiesen. "Das ganze Volk wurde auf ein fürchterliches und perfekt organisiertes Verbrechen eingestimmt", erklärt der Referent. Mit einem hinterhältig geschickt formulierten Hinweis gab Hitler den Auftrag zu einem möglichen "Gnadentod" an die Verwaltung und die Ärzte weiter.

In ganz Deutschland und Österreich, in Konzentrationslagern, Dörfern und Städten wurden daraufhin Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Problemen erfasst und "euthanasiert". Unauffällig gelegene Gebäude wurden zu diesem Zweck umgebaut. Es entstanden Gaskammern und Krematorien.

Rasch gingen die Nazis daran, durchorganisiert und mit klaren Absichten "unwertes Leben" zu vernichten und die Leichen zu verbrennen. Dazu gehörte auch die geplante Irreführung der Angehörigen. Von Verlegungen zur "besseren Betreuung" war dann die Rede, über die Todesursache und den Zeitpunkt des Todes wurden sie im Unklaren gelassen. Das Regime erfand Standesämter und schrieb Trostbriefe an Eltern und Geschwister.

Als das Treiben der Öffentlichkeit auffiel und die Gerüchte nicht mehr zu überhören waren, wurde die aktive Euthanasie scheinbar verboten. Man ging dazu über, die Menschen in den Einrichtungen, in denen sie betreut wurden, verhungern zu lassen, sie mit Überdosen totzuspritzen oder akute Erkrankungen nicht zu behandeln. Dass man diejenigen, deren Arbeitskraft noch benötigt wurde, zwangsweise sterilisierte, war ein weiterer Auswuchs der Eugenik.

Dr. Norbert Aas hatte das Archiv der Heil- und Pflegeanstalt in Bayreuth durchforscht. Er greift in seinem Vortrag einige berührende Einzelschicksale heraus. Zehn Jahre lang ging er den Namen von Menschen nach, die in Schloss Hartheim bei Linz umgebracht worden waren. Akribisch sind Listen geführt worden, nicht alle wurden vernichtet. Auch in Hartheim hat man - wie überall - erst Jahrzehnte nach dem verbrecherischen Unrecht begonnen, sich zu erinnern und sich erinnern zu wollen. Immer noch stößt der Historiker auf neue Fakten.

Ein Teil der Menschen, an die in den Gedenkstätten erinnert wird, hatten ihre Heimat in Oberfranken. Sie wurden in den Heil- und Pflegeanstalten Kutzenberg, Bayreuth, Ansbach, Himmelkron oder Neuendettelsau betreut. Die mörderische Aktion, kurz "T 4" genannt - in Berlin, Tiergartenstraße 4 befand sich die Verwaltung -, machte nicht vor kleinen Kindern halt, nicht vor Greisen, nicht vor Künstlerinnen und Künstlern, auch nicht vor ehemaligen Soldaten, die psychisch oder körperlich behindert aus dem Krieg heimgekommen waren.

Schloss Hartheim, Haus Sonnenstein bei Pirna, Hadamar, Bernburg und Grafeneck sind heute Gedenkstätten. Geschätzt 70 000 Menschen wurden dort umgebracht, jung und alt. Die meisten Täter und Helfer kamen ohne Strafe davon, einige wenige setzten ihrem Leben selbst ein Ende. Die Menschen, die zum Beispiel in dem Dorf Hartheim Widerstand leisteten und mit Handzetteln Aufklärung forderten, waren dagegen rasch denunziert, angeklagt und hingerichtet worden.

Das ganze Volk wurde auf ein fürchterliches und perfekt organisiertes Verbrechen eingestimmt.

Dr. Norbert Aas, Autor und

Referent in Schwarzenbach

Opfer

Die Opfer der Rassenhygiene waren Menschen, die körperlich oder geistig behindert waren. Auch sogenannte "Asoziale" fielen durch das Raster, es handelte sich um Bettler, Homosexuelle, Alkoholiker, Sinti und Roma oder auch sexuell freizügige Frauen.

Autor

Bilder