Auf die Frage hin, wie es möglich sei, einen solchen Haufen zu bändigen, muss sie lachen. "Es macht einfach Spaß, mit denen zu singen", sagt sie schließlich. Das Wort "bändigen" komme ihr dafür nicht in den Sinn - obwohl die Masse an Sängern für die Probenarbeit durchaus Herausforderungen mit sich bringt. Während Füg mit den Damen probt, nimmt sich Kollege Stephan Strunz die Herren oft einzeln vor, bis alle Stimmen sitzen. Dann erst ist es an der Zeit, beide Gruppen zusammenzuführen. "Außerdem kümmern sich die älteren Schüler um die jüngeren und achten darauf, sie zu integrieren", erklärt die Chorleiterin. Auch das trägt dazu bei, dass das Proben mit 80 Jugendlichen nicht in Tohuwabohu ausartet.
Momentan besuchen etwa zwei Drittel der Sänger den musischen Zweig. Sie alle spielen ein Instrument, auf dem die Profis der Hofer Symphoniker sie unterrichten. "Wobei ich ein Problem damit hätte, zu sagen: Der Chor ist so gut, weil es den musischen Zweig gibt", wirft Maniana Füg ein. Es sei schon möglich, dass die musischen Schüler etwas besser vom Blatt singen können. Doch auch die Mitglieder aus dem sprachlichen und dem humanistischen Zweig der Schule seien wichtig. "Auch sie lassen sich über das Chorsingen für Musik begeistern", erklärt die Pädagogin. "Denn Musik ist etwas Urmenschliches. Und wer nicht so gut Noten lesen kann, der kann auch einfach nachsingen."
Immer im Herbst fährt der Große Chor zusammen mit dem Orchester und der Big Band der Schule in die Jugendherberge nach Plauen - um in Ruhe zu proben, abseits des hektischen Schulalltags. "Zum einen, um bewusst Stimmbildung zu üben", berichtet Füg. "Zum anderen aber auch, um über die Texte der Stücke intensiv zu sprechen." Das ist wichtig, weil im Chor Menschen verschiedener Nationalitäten und Milieus aufeinandertreffen: Da sind Katholiken, Protestanten und auch Muslime. In der Musik aber sollen sie mit einer Stimme sprechen. Gemeinsame Zeit, gemeinsames Nachdenken und Musik - das schweißt zusammen. "Wir sind auf der Probenfreizeit mit 110 Schülern unterwegs - das ist fast ein Drittel der gesamten Schule. Der Schulfamilie bringt das unglaublich viel", sagt Füg.
Manchmal tritt der Chor in reduzierter Besetzung auf. Dann etwa, wenn er denen Musik schenkt, in deren Leben es oft stumm ist: Senioren im Altenheim und Gefängnisinsassen. In der JVA Hof gestaltet er jährlich einen Gottesdienst. "Mit den Schülern da reinzugehen, ist schon beklemmend", erzählt die Chorleiterin. "Hinter dir schließt sich das Schloss und du weißt, dass du es selbst nicht wieder aufsperren kannst." Doch die Auftritte lohnen sich - für die Sänger wie für die Häftlinge: "Wir sind immer wieder überrascht, mit welcher Ruhe und Andacht uns diese Menschen lauschen", berichtet Füg. Den Schülern werde dabei bewusst, "wie viel Freude so eine Kleinigkeit wie ein bisschen Gesang bereiten kann".
Eine Erfahrung, die die Sänger auch in ihrer Persönlichkeit wachsen lässt. Mehr noch als beim Spielen eines Instruments gebe man beim Singen viel von seiner reinen Seele preis. "Das macht es so schwierig, mit jungen Menschen zu singen. Zugleich ist es jedoch so wichtig für die Menschwerdung", erklärt die Pädagogin. "Man sollte schon im Kindergarten damit beginnen." Wer singt, der atme anders und stehe anders, der wirke selbstbewusster. "Das verschafft zum Beispiel bei Referaten und Präsentationen Vorteile", weiß Maniana Füg, die neben Musik auch Englisch unterrichtet. Der Chor verschaffe seinen Mitgliedern Gruppen- und Teamerfahrungen. "In einer Welt, in der wir uns zunehmend individualisieren, wird das immer wichtiger." Auch die Wirtschaft frage nach solchen Kompetenzen. So wird Singen zu Lebensbildung - von wegen musischer Elfenbeinturm.