Kulmbach - Schon am ersten Tag in der Höhenklinik bestellt Hans Castorp, Thomas Manns Titelfigur im weltberühmten Roman "Der Zauberberg", Kulmbacher. Und das früh am Morgen. Die Wirkung ist - so lädiert an Geist und Körper, wie er ist - enorm: "Die Sache war die, dass das Frühstücksbier, sonst nur von mäßig benebelnder Wirkung auf seine Natur, den jungen Mann heute vollständig betäubte und lähmte, - es zeitigte Folgen, als hätte er einen Schlag vor die Stirn bekommen." Doch Castorp ist auf den Geschmack gekommen: Schon beim Abendessen lässt er sich "eine Flasche Kulmbacher dazu geben". Jetzt ist die Wirkung noch fataler: "In seinem Kopfe rauschte es, seine Augenlider waren wie Blei, sein Herz ging wie eine Pauke". Bei Tisch redet er nur noch konfus, ist unfähig, sein eigenes Alter - 24 - anzugeben.

In Thomas Manns 800-Seiten-Opus "Zauberberg" spielt exquisites Essen und Trinken eine wichtige Rolle - nicht nur als Attribut eines großbürgerlichen Lebensstils, sondern als Mittel gegen die Auszehrung. Denn: Wir befinden uns in dem Luxus-Sanatorium "Berghof", in dem hoch über Davos Tuberkulose-Patienten einquartiert sind, die gegen den Tod anrennen. Heilung erhoffen sie von der neuartigen Therapie seines leitenden Arztes, Professor Behrens. Dazu gehören fünf opulente Menüs täglich. Alkohol zum Essen, wie auch sonst, ist medizinisch angeraten. Noble Weine dürfen es sein und exquisites Bier - eben Kulmbacher.

Erotik, Geistesverführung

Der Anstoß für den 800-Seiten-Roman "Zauberberg" (an dem Thomas Mann über zehn Jahre arbeitet) erfolgt vor genau 100 Jahren, im Sommer 1912: Der Schriftsteller besucht für drei Wochen seine Frau Katia in Davos, die eine "Lungenaffektion" behandeln lässt. Untergebracht ist sie im "Waldsanatorium", einem mondänen Haus, das Dr. Jessen leitet. Jessen bildet die Vorlage für Hofrat Behrens im Roman. Doch während Katia Mann "nur" sechs Monate in der Klinik verbringt, sind es bei Hans Castorp sieben Jahre.

In dieser Zeit wird er nicht nur vom Kulmbacher berauscht, sondern von Verführungen ganz anderer Art: Zunächst von einer "heißen Katze", der Russin Clawdia Chauchat. Danach von zwei Intellektuellen: dem Italiener Settembrini, ein radikaler Vertreter der Vernunftglaubens, und Naphta, einem in den Tod verliebten Fanatiker. An einem Wendepunkt des Romans befreit er sich aus ihren Fängen: Castorp gerät allein in einen Schneesturm im Berg, irrt umher. Er möchte schlafen, droht niederzusinken. In seinem Trance-Zustand taucht eine Erinnerung auf, die sich im Gehirn festbeißt - das "Kulmbacher Bier" mitsamt seiner Sinnesverwirrung. Schlagartig wird ihm bewusst: Gegen Einlullung hilft nur die eigene Kraft, der eigene Wille: "Ich muss mir Bewegung machen, zur Strafe für das Kulmbacher". Castorp läuft weiter und überlebt.

Keine Zeitung, aber Bier

Vier Jahre vor Thomas Manns Davos-Aufenthalt hat ein anderer Schriftsteller Kulmbach besucht, nicht um über eine Klinik zu schreiben, sondern über das Zuchthaus auf der Plassenburg, mit seinen 600 Insassen das größte in Nordbayern. Er heißt Jakob Wassermann, ein gebürtiger Fürther, der vor einer steilen Karriere steht. Mit seinen Bestsellern "Caspar Hauser", "Das Gänsemännchen" und vor allem dem " Fall Maurizius" wird er zum populärsten Schriftsteller der Weimarer Republik. Wassermann quartiert sich 1908 in Kulmbach im Hotel "Krone" in der Langgasse 2 ein. Hier lässt er auch den Anfang der Novelle "Die Gefangenen auf der Plassenburg" spielen, die er in die Märztage von 1848, die Revolutionszeit, zurückverlegt. In der Erzählung treffen zwei junge, umstürzlerische Studenten aus Breslau, die in der Gaststätte übernachten, auf die bierseligen Kleinstädter. Als sich der eine, Peter Maritz, nach "frischen Zeitungen erkundigt", entgegnet der Wirt: "Er könne nur mit frischem Biere dienen, dem echten und berühmten Kulmbacher." Zum Eklat kommt es, als die beiden Feuerköpfe am Biertisch über Revolutionsdichtung diskutieren. Die Kulmbacher Mit-Zecher, königstreu bis ins Mark, hören ein Attentat auf den bayerischen König heraus und alarmieren die Polizei. Zum Gaudium der Bier-Spießer werden sie hinauf ins Zuchthaus gebracht. Am Tag darauf geraten sie in einen blutigen Häftlingsaufstandes. Der Sensible der beiden, Alexander von Lobsien, wird eines der Opfer sein.

Ein geisttötendes Gebräu ist Bier aber nach Worten von Theodor Fontane, dem größten deutschen Erzähler des 19. Jahrhunderts, nicht. In seinen in "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" (ab 1862), die noch heute so frisch und amüsant wirken, als wären sie gestern geschrieben worden, bietet er ein weites Feld: Historisches, Anekdotisches, Spukgeschichten, Familienkram. Er porträtiert Menschen in der "Streusandbüchse des Reiches", Schlösser und Seen, Städte, Dörfer und Flecken - doch Kulinarisches ist ihm immer eine Betrachtung wert. Mit den Biersorten - ob in Städten oder gottverlassenen Nestern gezapft - ist er vertraut: Ingwer- und Champagnerbier, Bernauer oder Baruther, Berliner oder Cottbuser Weiße. Zwei Sorten aber sind ihm Kult: das Werdersche und das Kulmbacher Bier.

Süße Erinnerungen

Was man liebt, das verhohnepipelt man gern: Nach einem Frühschoppen mit zwei weiteren Übernachtungsgästen in Caputh an der Havel notiert Fontane: "Es war ein Morgenimbiß, der für den Rest des Tages einige Perspektiven eröffnete: Vier Kulmbacher, vier Werdersche". Oder auch mal so locker ironisch hingeplaudert in Meiningen: "Ich wohne hier im 'Sächsischen Hof'. Der Wirt heißt Kulmbach", ein Name voll süßer Erinnerungen an das "erste bayerische Seidel". Oder unsterblich bös, als er Neuruppin, immerhin seine Geburtsstadt, besucht: Er genießt dort im "ersten Hause am Platze" ein Kulmbacher.

Das Bierfest ist vergänglich. Der Kehraus an diesem Wochenende steht bevor. Man mag sich trösten damit, dass man über die Wertschätzung und Bekanntheit von Kulmbacher Bier mehr bei bedeutenden Erzählern des 19. und 20. Jahrhunderts nachlesen kann. Diese sind unvergänglich.

Eine Halbe mit Renommee

Und wer möchte, kann sich ganz an Thomas Mann, Jakob Wassermann oder Theodor Fontane halten. Wie lässt Thomas Mann Hans Castorp sagen? "Milch kann ich überhaupt nicht trinken, am wenigsten jetzt. Ist nicht vielleicht Porter da? Und er wandte sich zuerst höflich und zart an die Zwergin. Leider war keiner da. Aber sie versprach Kulmbacher Bier zu bringen und brachte es auch. Es war dick, schwarz, braunschaumig und ersetzte den Porter aufs Beste."

Und Theodor Fontane schreibt: "Kulmbacher Bier, wofür das Rathaus ein Renommee hatte, wurde bestellt, und Cécile war entzückt, als der Wirt die schäumenden und frisch beschlagenen Seidel brachte." "Wieviel schöner doch als eine Table d' d'hôte", sagte sie. "Pierre, votre santé".

Als bekennender Kulmbacher kann man dem nur zustimmen: "Santé, Théodor."

2012


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