Kulmbach Mit Frack und Zylinder aufs Gleis gelegt

Wolfgang Schoberth

Die Reise im Salonwagen durch Franken ist ein Triumph für den 21-jährigen, blendend aussehenden Ludwig. Die Herzen der Bevölkerung fliegen ihm zu, doch manche Kini-Fans spielen verrückt.

 
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Allein der Königszug ist eine Schau: ein Wagen für die Dienerschaft und das Gepäck, ein Küchenwagen und ein Terrassenwagen mit Promenadendeck, das Aussicht nach allen Seiten bietet. Das Glanzstück aber ist, ganz in Blau und Gold, der Salonwagen des Königs. Auf dem Dach prangt weit sichtbar die herrschaftliche Krone. An den Fenstern darunter vergoldete Putten und Blumengirlanden. Im Inneren des Wagens Prunksessel in jeder Fensterecke, ein Marmortisch mit goldenen Zierfüßen, die seidenen Wände mit stilisierten Lilien drapiert, der Wappenpflanze des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV. Für die Leute ist der Zug ein "Versailles auf Rädern".

Für seine vierwöchige Good-Will-Tour im November und Dezember 1866 durch Franken sollte mit royalem Glanz nicht gegeizt werden. Viel stand auf dem Spiel: die fränkischen Gebiete, die in den "Deutschen Bruderkrieg" zwischen Österreich/Bayern und Preußen hineingezogen wurden, drohten vom Königreich abzufallen. Die Münchner Regierung schickte 93 Pferde und 17 Staatskarossen voraus, die beim Ausstieg an den Bahnhöfen für Majestät bereitstehen sollten.

Eine blendende Erscheinung

Doch am meisten fasziniert die Zuschauer der 21-jährige König selbst: mit 1,91 Metern ein Hüne, schlank, körperbewusst. Durch sein regelmäßiges Schwimmen wirkt er ausgesprochen sportlich. Seine weichen Gesichtszüge und sein schwarz onduliertes Haar lassen auch die Zeitungsleute dahinschmelzen: "Ein Jüngling von idealer Schönheit", "eine imposante Erscheinung", "ein Adonis auf dem Throne".

Die Fahrt soll quer durch Franken gehen, doch nur in 15 Städten möchte er länger verweilen, vor allem in den Ortschaften, die vom zurückliegenden Krieg am stärksten mitgenommen worden sind.

Ludwig wollte diesen Krieg nicht. Er hat alles versucht Bayern aus dem Konflikt herauszuhalten, doch Österreich pochte auf die vereinbarte Bündnispflicht und der bayerische Landtag stimmte mit großer Mehrheit für eine Beteiligung. So sieht sich der König gezwungen, den Mobilmachungsbefehl zu unterzeichnen. "Die Niederlage Bayerns und die Gebietsverluste empfindet Ludwig als persönliche Demütigung", urteilt der Marktschorgaster Experte Rudolf Kurz. "Schönheit, Kultur und Frieden wollte er seinem Volk geben. Doch durch die Ereignisse sieht er sich überrumpelt und zum Schattenkönig degradiert." Nach der Niederlage sperrte sich Ludwig lange Zeit, dem Kalkül der Diplomaten nachzugeben und Franken zu besuchen. Erst als Richard Wagner, sein "einziger und glücklicher Freund", wie er ihn nennt, an ihn appelliert, gibt er nach. Rudolf Kurz: "Die Reise hat eine enorme politische Bedeutung. Ludwig kommt seinen Untertanen so nahe wie sonst nie mehr während seiner Regentschaft."

Bayreuth jubelt,

Marktschorgast trauert

Nach der Anreise von München über Regensburg und Weiden ist Bayreuth am 10. November 1866 die erste Station, in der er für drei Tage Quartier nimmt. Und in Bayreuth macht er erstmals die Erfahrung, dass ihm nicht, wie von der Münchner Regierung befürchtet, Schmährufe entgegenschlagen, sondern nur Jubel. Trotz des strömenden Regens säumen bei seiner Ankunft am Abend Tausende die Straßen und brechen in "Hurra, Hurra" aus, wenn er in seiner Kutsche auf dem mit Fackeln illuminierten Weg zum Neuen Schloss vorbeifährt. In den Tagen danach erwartet ihn ein Mammutprogramm: Er lädt zu Empfängen, tanzt auf einem Ball, besucht das Markgräfliche Opernhaus, das Schloss Fantasie, die Eremitage und ein Offiziersbankett des in Bayreuth stationierten 7. Infanterie- und 6. Chevauxlegers-Regiments. Am 13. November geht’s weiter nach Neuenmarkt, um danach über die Schiefe Ebene nach Hof zu fahren. In Neuenmarkt ist, wie später in Marktschorgast, ein längerer technischer Halt erforderlich: die Lok mit dem Namen "Tristan" muss Wasser fassen, Kohlen aufnehmen, die Schiebelok muss an- ,später abgekoppelt werden. Doch obwohl Stadtverordnete, Schulklassen und Vereine am Bahnhof stehen, zeigt sich Ludwig nicht mal am Fester, geschweige denn auf dem Bahnsteig.

Todesmutiger Bürgermeister

So fügsam wie seine Kollegen in den Nachbarorten ist der Münchberger Bürgermeister Georg Stöckel nicht. Weil kein Stopp des Königszugs in der Pulschnitzstadt vorgesehen ist, sieht er die Ehre seiner Stadt verletzt. Schon im Vorfeld beschwert er sich bei der Obrigkeit: "Dies ist ein eklatanter Fall des Überfahrenwerdens", schreibt er an das Bezirksamt. Als er abgeschmettert wird, fordert er alle Münchberger auf, sich am fahnengeschmückten Bahnhof einzufinden. Er selbst erscheint in Frack und Zylinder, Amtskette und Ordensschmuck und legt sich, als der Königszug endlich in Sichtweite ist, zu allem entschlossen auf die Schienen. Der Zug ist zu einer Notbremsung gezwungen. Ludwig lässt sich von seinem Flügeladjutanten Fürst Thurn und Taxis über den Vorfall informieren. Danach tritt er ans Fenster und beruhigt den erregten Bürgermeister. In seinen Redeschwall hinein sagt der König ihm 1000 Gulden für die Armen und Kranken der Stadt zu. Mehr noch: Er verspricht ihm, bei der Rückfahrt von Hof in Münchberg etwas länger Station zu machen. Dies geschieht auch: Seine Majestät nimmt am Bahnsteig die Huldigungen der Bürgerschaft entgegen und bewundert die im Schneetreiben ausharrenden Festjungfrauen in ihren weißblauen Kleidchen.

An Kulmbach vorbeigetuckelt

Zwei Stunden später, am frühen Nachmittag des 14. November, tuckert der Prunkzug nach Kulmbach. Die allerhöchste Herrschaft erfährt auch hier allerhöchste Aufmerksamkeit: Der Bahnhof ist beflaggt, das Eisenbahnpersonal hat sich feiertäglich herausgeputzt. Auf dem Bahnsteig haben sich Bürgermeister Carl Rosenkrantz, der Stadtmagistrat und zahlreiche Honoratioren eingefunden. Schulklassen stehen Spalier, Fahnenabordnungen und Blaskapellen sind angetreten. Dazu Hunderte von Neugierigen, die den König sehen und ihm zujubeln wollen. Vermutlich haben viele die stille Hoffnung gehabt, dass der Zug doch einen kurzen Halt einlegt und der König sich den Kulmbachern zeigt, die in ihrer Ehrerbietung gegenüber dem Haus Wittelsbach kaum zu übertreffen sind. Nichts passiert. Ludwig bleibt im goldprunkenden Salonwagen und tritt nicht ans Fenster. Der Stationsvorsteher in Galauniform und Glacéhandschuhen salutiert, als der Zug langsam durch den Bahnhof rollt, nochmals pfeift, und in Richtung Lichtenfels weiterfährt.

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Nächste Folge: Richard Wagner -

Ludwigs ewiger Geliebter

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