Kulmbach Real-Belegschaft fühlt sich im Stich gelassen

Wie lange wird das Firmenlogo von Real noch über dem Gebäude in der Albert-Ruckdeschel-Straße in Kulmbach prangen? Die gesamte Real-Kette wird verkauft. Doch was aus ihren Arbeitsplätzen wird, wissen die 110 Beschäftigten in Kulmbach bislang ebenso wenig wie die insgesamt rund 34 000 Real-Mitarbeiter in ganz Deutschland. Die Zukunftsangst ist groß, sagt Betriebsratsvorsitzende Angela Schirmer. Foto: Melitta Burger

Jetzt wird der Verkauf der Real-Märkte an einen russischen Investor konkret: Doch noch immer wissen die Beschäftigten nicht, was aus ihren Arbeitsplätzen wird.

 
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Kulmbach - Offenbar rückt die seit Monaten zur Diskussion stehende Zerschlagung der Real-Kette nun in greifbare Nähe. Was die rund 34 000 Beschäftigten der noch zum Metro-Konzern gehörenden Supermärkte seit Langem umtreibt: Was wird aus ihren Arbeitsplätzen? Diese Antwort, sagt Angela Schirmer, die Betriebsratsvorsitzende der Kulmbacher Real-Filiale, bleibt ihnen die Geschäftsführung weiter schuldig. "Die lassen uns einfach im Regen stehen. Keine Filiale weiß, was aus ihr wird."

Sieben Real-Märkte in Oberfranken

Paul Lehmann, stellvertretender Bezirksgeschäftsführer von Verdi im Bezirk Oberfranken Ost und Fachbereichsleiter für Handel in Oberfranken, hat zusammengestellt, welche Real-Märkte es in Oberfranken gibt und wie viele Menschen dort beschäftigt sind. Rund 130 Menschen arbeiten bei Real in Hallstadt, 50 in Bamberg, knapp 120 in Coburg. Am größeren von zwei Standorten in Bayreuth sind es etwas mehr als 100, am kleineren rund 80, etwa 70 sind es in Kronach. Der Kulmbacher Real-Markt beschäftigt laut Betriebsratsvorsitzender Angela Schirmer momentan 100 feste Mitarbeiter. Aufgrund der bald anstehenden Inventur sei die Zahl mit geringfügig Beschäftigten jetzt auf 110 angewachsen. Die Mitarbeiter des kleineren Bamberger Standorts wissen es bereits: Ihr Markt wird schließen. Doch für mehr als 600 Mitarbeiter in der Region heißt es weiter bangen. Paul Lehmann hat schon vor Monaten von großen Zukunftsängsten unter diesen Menschen gesprochen. "Man kann sich vorstellen, wie es den Leuten geht", sagte Lehmann. Er legt immer wieder den Finger in die Wunden, spricht von einem Skandal im Zusammenhang mit diesem Verkauf. Seit Langem fordert er Hilfe von der Politik. Doch die ist, wie er feststellen musste, ausgeblieben, auch wenn der Verkauf der Real-Kette rund 34 000 Menschen betrifft.

Am heutigen Donnerstag, so verlautet es aus der Düsseldorfer Konzernzentrale, soll die Real-Kette den Besitzer wechseln. Statt der Metro soll dann der russische Finanzinvestor SCP die Geschicke von Real lenken. Der Käufer hat bereits grob bekannt gegeben, wie es mit der Kette weitergehen soll. Für sieben der ursprünglich 277 Filialen wurde noch unter Metro-Leitung im März das Aus verkündet. Unter den Märkten, die geschlossen werden, ist auch einer in Bamberg. Doch das, davon sind Betriebsräte und Gewerkschafter überzeugt, wird wohl nur der Anfang schmerzhafter Entscheidungen sein. 141 Real-Märkte sollen an Kaufland und Edeka verkaufen werden. 88 sollen zu Kaufland gehen, 53 zu Edeka. Für diejenigen, die zu dieser Tranche gehören, gibt es Hoffnung: Laut SCP sollen alle Mitarbeiter übernommen werden.

Patrick Kaudewitz, Vorsitzender des Verwaltungsrats von SCP Retail Investments, hat versprochen: "Wir werden so für fast die Hälfte der Real-Märkte und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Klarheit und Planbarkeit schaffen können." Die soll schon bald geschaffen sein. Die ersten Märkte sollen bereits ab dem vierten Quartal 2020 an die neuen Besitzer übergeben werden. Der gesamte Prozess werde sich über einen Zeitraum von rund 18 Monaten erstrecken, sagte der Unternehmenssprecher. Was er, sehr zum Verdruss der Real-Beschäftigten, nicht gesagt hat: Für welchen Markt gibt es welche Pläne? Welche Filialen werden unter den weiteren 30 sein, deren Schließung schon angekündigt wurde? Was wird aus denen, die nicht an Edeka oder Kaufland verkauft werden? Rewe und auch Globus sind im Gespräch. Doch konkret ist nichts.

"Wir wissen weiterhin gar nichts", sagt Angela Schirmer. Sie ist nicht nur die Betriebsratsvorsitzende im Kulmbacher Real-Markt, sondern auch bei der Gewerkschaft Verdi in zahlreichen Funktionen aktiv. Unter anderem ist Angela Schirmer Präsidiumsmitglied von Verdi. Seit langer Zeit erlebt sie hilflos mit, wie ihre Kolleginnen und Kollegen immer mehr verunsichert werden. Dass die Mitarbeiter von ihrer obersten Geschäftsführung nahezu gar nichts über die Pläne und den Fortgang des Verkaufs der Real-Gruppe erfahren, zehre an den Nerven, sagt Angela Schirmer. "Wir wissen weiterhin gar nichts. Nach wie vor ist alles offen." Die Betriebsratsvorsitzende weiß lediglich, dass bald schon wieder Besuch im Kulmbacher Real-Markt ansteht: "Die wollen sich offenbar anschauen, ob sie uns brauchen können." Aber das sei eine reine Vermutung. Nähere Informationen habe keiner bekommen. "Wir haben keine Ahnung, wie es für uns weitergeht. Wir hängen weiterhin in der Luft."

Seit vielen Monaten gehe das nun schon so. Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Belegschaft. "Keiner von uns kann in die Zukunft planen. Die Kollegen sind mit größeren privaten Anschaffungen vorsichtig. Es ist gerade kein gutes Gefühl, auf die Arbeit zu gehen", sagt Angela Schirmer. So viele Fragen gebe es, aber keine Antworten. Gerüchte seien im Umlauf, dass Entscheidungen wohl getroffen worden sein sollen. Aber bei den Mitarbeitern komme keine Information an. Das schlechte Gefühl, das sich in der Vergangenheit bereits aufgebaut habe, werde durch die Krise von Galeria Karstadt Kaufhof noch verschärft.

Angela Schirmers Befürchtung: "Wahrscheinlich kommt irgendwann eine einzige Mitteilung, und dann ist es passiert." Oft genug sei es bereits vorgekommen, dass die Mitarbeiter von Real aus den Medien erfahren, was in ihrem Unternehmen geplant ist. "Wir sind fassungslos, was die mit uns machen." Die Corona-Krise tue ein Übriges. "Große Versammlungen mussten abgesagt werden. Wir können uns kaum treffen."

Die Marschrichtung, die der Metro-Konzern eingeschlagen hat, ist für die Gewerkschafterin klar. Sie hat keine hohe Meinung von ihrer Konzernspitze: "Die wollen gar nicht, dass wir Bescheid wissen. Vielleicht auch aus Angst, dass wir uns doch noch mobilisieren." Die Trebgasterin, auch stellvertretende Vorsitzende für den Fachbereich Handel bei Verdi in Bayern, blickt frustriert auf ihr Arbeitsumfeld: "Das ist eine furchtbare Branche."

Dabei läuft das Geschäft in dem Kulmbacher Markt laut Angela Schirmer gut. Die Umsätze seien während der vergangenen Monate stark angestiegen. "Wir verdienen gerade auch wegen Corona sehr gut. Aber das hilft uns auch nicht, weil es den Herren offenbar nicht reicht." Angela Schirmer hofft nun, dass bei dem angekündigten Besuch in der Kulmbacher Filiale irgendeine Information fließt oder dass mit dem endgültigen Eigentumsübergang an den neuen Investor etwas bekannt gegeben wird, das den Beschäftigten auch ihres Marktes Klarheit verschafft. So recht glauben mag sie es zwar nicht, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Bislang, sagt sie, haben die Mitarbeiter vieles von dem Wenigen, das sie wissen, nicht von ihrem Arbeitgeber, sondern aus den Medien erfahren.

Die Gewerkschaft Verdi beurteilt die Übernahme als eine "Existenzgefährdung für Tausende Menschen", sagte Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. "Mit dem Real-Verkauf werden die 34 000 Beschäftigten zum Spielball der Finanz- und Immobilieninvestoren SCP."

Peter König von Verdi ist derzeit für die Real-Märkte in Ober- und Unterfranken zuständig. Auch seine Wut groß. Allen Gremien, vom Gesamtbetriebsrat der Kette bis hin zur Gewerkschaft seien Informationen verweigert worden. "Das ist seit Monaten eine Hängepartie. Die Menschen können einem leid tun, wie mit ihnen umgegangen wird." Für Verdi stehe der Erhalt der Arbeitsplätze an vorderster Stelle, sagt er. Doch erreichen kann er derzeit nichts. So weh es auch tue, es bleibe nichts anderes als abzuwarten. Es gebe in einem solchen Fall keine Verpflichtung für den Arbeitgeber, seine Belegschaft zu informieren. Für Peter König gibt es nur einen Grund für solches Verhalten: Geld. "Da wird gepokert bis zum Letzten." Dann wird König sarkastisch: "Der Mitarbeiter steht im Mittelpunkt? Der Mitarbeiter ist Mittel. Punkt."

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