Mancher meint, so viel Berühmtheit habe er nicht verdient. Natürlich hat er. Aber es stimmt: Die drei Romane, denen Wolfgang Koeppen seinen erstrangigen Ruf lebenslang verdankte, brachte er bereits in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre heraus - "Tauben im Gras", "Das Treibhaus", "Der Tod in Rom", zusammen gerade mal 620 Buchseiten. Als äußerst beflissener, bis in die eigenen Tiefen hinein krisenbewusster Beobachter der frühen Nachkriegs-Republik erwies er sich, zugleich als Virtuose in der Anwendung moderner Mittel des Erzählens. 1962 trug die Trilogie ihm den Büchnerpreis ein. Danach jedoch, hört man manchmal maulen, habe er nicht mehr viel veröffentlicht. Stimmt wieder, und wieder nur zum Teil: Bis zu seinem Tod 1996 in München wartete der Suhrkamp-Verlag auf den immer neu versprochenen, nie geschriebenen Roman. Immerhin aber erneuerte der Autor mit Berichten aus europäischen Ländern, Russland und Amerika das Genre der großen, literarischen Reisereportage. Und 70-jährig legte er unerwartet ein Stück Autobiografie vor, unter schlichtem Titel: "Jugend". Die begann sozusagen heute vor hundert Jahren. Da kam Wolfgang Koeppen in Greifswald zur Welt, unehelich, was für Mutter und Kind als entehrende Bürde galt. Eindrücke einer Provinzgesellschaft reflektiert der nicht leicht zu lesende, dabei wie schwebende Text, Enge und Elend eines Lebens in Bedürftigkeit, preußisch-militaristische Erziehung, Kriegsbeginn - alles komprimiert zu einer subjektiven Prosapoesie von unauflöslichem Zusammenhalt; und besser noch zu hören als zu lesen: Auf vier CDs sprach Koeppen das viel gelobte Werk selbst ein. Aus 1332 Manuskriptblättern, in allen Lebensphasen entstanden, hatte er die 145 Buchseiten destilliert. Kein "Werk" also, sondern ein "vollendetes Fragment", wie Koeppen-Verehrer Marcel Reich-Ranicki befand: ein Bruchstück von höchster Geschlossenheit.