Eine Überraschung kann man es kaum nennen. Gewarnt war man ja. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte oft genug beteuert, ihre Drohung sei "kein Bluff". Dennoch traf ihr Ruf nach einem zweiten schottischen Unabhängigkeits-Referendum London fast wie ein Blitz. Im "eigenen" Hinterhof hatte Premierministerin Theresa May sich nur mit wenig Opposition gegen ihre Brexit-Pläne herumzuschlagen. In Edinburgh aber ist ihr jetzt eine echte Herausforderung erwachsen. Dort akzeptiert man ihren "harten Brexit" nicht. Britischen Medien zufolge könnte May bereits am heutigen Dienstag die EU-Austrittserklärung nach Brüssel schicken. Von da an tickt die Uhr. Begreiflich ist die schottische Reaktion. 62 Prozent der Schotten stimmten gegen den Brexit. Schottland will, anders als England, nicht aus der Europäischen Union. Auf Kompromisse mit den Schotten aber mochte man sich in London nicht einlassen. Sturgeons Angebot, eine einvernehmliche Lösung zu finden, blieb unbeantwortet. Die ihr zugesicherte "Partnerschaft" fand nicht statt. Der englischen Autoindustrie und dem Finanzzentrum der City of London versprach May einen "Sonderstatus". Für Schottland war so ein Status nicht vorgesehen. Und nun? Hat sich Theresa May verkalkuliert? Könnte Schottland einem "harten Brexit" die Unabhängigkeit vorziehen? Unmöglich ist das nicht. Schon jetzt sind die Umfragen für Unabhängigkeit besser als vor dem letzten Mal. Die Frage an May aber ist: Beginnt nun das ganze Königreich in seinen Grundfesten zu wanken, nur weil sie um buchstäblich jeden Preis Europa den Rücken kehren will? Peter Nonnenmacher