Münchberg Leonards Weg zurück ins Leben

Am Sonntag feiert der Bub aus Gösmes Geburtstag, obwohl er erst im Herbst neun Jahre alt wird. Am 28. Mai 2015 hat er Stammzellen von einem Spender bekommen.

 
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Helmbrechts - Eiseskälte, beißender Wind, Schlange stehen und trotzdem ausharren - für ein Ziel: Einen kleinen Jungen retten! Im März 2015 erlebt Helmbrechts einen Ansturm, der alle Erwartungen übertrifft. Fast 4000 Menschen drängen in den Bürgersaal, um sich in die Venen stechen zu lassen. Das Schicksal des damals an Blutkrebs erkrankten Kindes aus dem Ortsteil Gösmes treibt sie an. Jeder einzelne hat an dem Tag die Hoffnung, der ersehnte Retter zu sein. Der, auf den alle gewartet haben.

Doch der findet sich nicht in Helmbrechts, sondern weit weg - in den USA. Die Mitarbeiter der deutschen Knochenmarkspenderdatei ermitteln ihn über die globale Datenbank. Das Blut-Stammzellen-Gemisch dieses genetischen Zwillings bekommt Leonard am 28. Mai 2015.

Seitdem geht es bergauf, sodass seine Mutter Simone Vogel von einem Familien-Alltag erzählen kann, der fast normal klingt. Fast deshalb, weil in den Köpfen noch die Angst festsitzt. "Bei jedem Schnupfen denke ich: Ist es nur eine Erkältung? Wenn er auf der Couch lümmelt, grüble ich, ob er krank wird."

Dabei sind die Ärzte mit Leonards Zustand voll und ganz zufrieden. Er darf leben wie ein normaler Achtjähriger: Ski fahren, als Torwart nach Bällen hechten, schwimmen und den ganzen Nachmittag mit Freunden draußen herumstromern. "Streng dich nicht zu sehr an!", "Mach Pause!", "Setz dich hin!": Simone Vogel will Leonard nichts verbieten, aber ihn bremsen, wie sie sagt. Seine Körperabwehr entspricht nicht der eines normalen Kindes, alle Impfungen mussten neu starten. In Erlangen bekommt er von Zeit zu Zeit noch Antikörper verabreicht.

Ein Besuch in der dortigen Klinik steht alle sechs Wochen an. Auch wenn Leonard das oft nicht einsehen will: "Er fragt immer: Warum muss ich da hin? Ich bin doch gesund!", erzählt die Mutter. Genau wie der Pflichttermin wiederholen sich die Gefühle: "Wenn in Erlangen alles ok ist, schnippt man die Sorgen weg, das hält drei Wochen. Ab Woche vier kehren die Ängste zurück, kurz davor besonders extrem. Nach dem Termin beginnt der Kreislauf von vorne."

Auch Leonard spürt die Anspannung. "Hinwärts im Auto herrscht Ruhe, da macht er sich Gedanken, heimwärts ist er happy, da wird's laut auf der Rückbank." Immer mit dabei: Bruder Lukas. Was Leonard erlebt hat, sei an ihm nicht spurlos vorbei gegangen, erzählt die Mutter. "Es hat ihn sehr runtergezogen." Wenn sich mal wieder alles nur um Leonard dreht, verhält er sich bockig. Simone Vogel weiß dann, was ihr Jüngster damit ausdrücken will: "Hallo, ich bin auch noch da!"

Oft hält man die Jungs für Zwillinge, weil Leonard wegen der Krankheit etwas kleiner ist als sein siebenjähriger Bruder. "Wenn wir darauf angesprochen werden, bittet er mich, den Leuten das zu erklären. Bei den Kumpels erzählt er es selbst."

Nach monatelangem Unterricht zu Hause besucht Leonard seit September wieder die zweite Klasse. Nach Auskunft seiner Lehrerin merken ihm die Mitschüler nichts an.

Bis auf die Klinik-Checks scheint die Familie in der Normalität angekommen zu sein. "2016 war ein wunderschönes Jahr für uns", erzählt Simone Vogel. Das Datum der Transplantation haben die Eltern gewählt, um zu heiraten. "Wenn der Termin in Erlangen weit weg liegt, fühlen wir uns, wie eine Familie, die nichts hatte." An den Wochenenden verbringen die Vogels bewusst Zeit miteinander. "Was früher wichtig war, rückt in den Hintergrund, wir genießen den Moment." Dass sie Dinge wie dreckige Fenster einst gestresst haben, versteht die Mutter heute nicht mehr. Auch bei Leonard spürt sie die Lebensfreude, wenngleich sie nicht einschätzen kann, wie er über die Krankheit denkt. Von den Ärzten weiß sie: Ihr Kind bleibt Risikopatient. Der Krebs könnte wiederkommen, Nebenwirkungen der Chemo wird man erst Jahre später absehen.

Umso mehr wollen die Vogels im hier und jetzt leben. Und dafür allen danken, die das ermöglicht haben: den Mitarbeitern der Knochenmarkspenderdatei, dem Helferkreis um Sabine Hoffmann und Sven Sibber, den Menschen, die sich typisieren ließen, und dem Lebensretter aus den USA. Wenn im nächsten Jahr die Kontakt-Sperre endet, werden sie ihm Fotos von Leonard schicken - von einem fröhlichen, aktiven Kind mit zwei Geburtstagen. "An Weihnachten hat er zu mir gesagt: Mama, wir müssen uns nichts schenken, das größte Geschenk haben wir schon."

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