Naila Internationales Familientreffen nach 140 Jahren

Werner Rost

Die pure Not trieb einst Flüchtlinge in die USA. Zwei Nachkommen eines Auswanderers besuchen die Heimat der Vorfahren. In Schauenstein lernen sie ihre Verwandten kennen.

 
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Schauenstein/Boston/Hongkong - Der lange Tisch im Sitzungsssaal des Schauensteiner Rathauses ist festlich gedeckt. Wo sonst die Ratsmitglieder tagen, sitzen Privatleute aus Schauenstein, Bad Steben, Münchberg und Berlin. Alle sind miteinander verwandt - die einen enger, die anderen entfernter. Und es gibt eine weitere Gemeinsamkeit, von der viele bis vor Kurzem nichts wussten: Sie haben Verwandte in den USA, die Nachfahren von Auswanderern, auf die sie nun gespannt warten.

Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Schauenstein

Der jüngste Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Schauenstein lautet: "Herzlich willkommen. Wir konnten die Nachfahren des gebürtigen Schauensteiners Johann Loius Gebhardt, Herrn John Gebhardt (Urenkel) und dessen Sohn, Herrn Joe Gebhardt (Ururenkel), im Rathaus in Schauenstein zusammen mit der Familie Fischer (verwandt aus der mütterlichen Linie) herzlich begrüßen. Herr John Gebhardt ist zusammen mit seinem Sohn Joe hier in Schauenstein auf der Suche nach seinen Familienwurzeln und Vorfahren. Sein Urgroßvater Johann Loius Gebhardt wanderte als siebenjähriger Junge mit seiner Familie um 1875 in die Vereinigten Staaten von Amerika aus und gründete später dort eine Flaschenabfüllfabrik. Dort zu Reichtum gekommen, bedachte er später die Stadt Schauenstein mit einer Spende von 2000 Mark für den Bau eines Granitbrunnens, der den maroden Holzbrunnen ersetzte.

Publikation und Vortrag

Der Heimatforscher Adrian Roßner aus Zell hat das Thema in der Universitätsschrift "Auswanderung von Münchberg nach Nordamerika im 19. Jahrhundert" behandelt, die 2015 an der Universität Bayreuth erschienen ist. Am 11. März 2018 um 14.30 Uhr wird Roßner im Schlosscafé in Schauenstein einen Vortrag über die Situation der Menschen hierzulande im späten 19. Jahrhundert und die Auswanderungswellen halten.

Um das Jahr 1875 wanderte Katherine Gebhardt mit ihrem siebenjährigen Sohn Johann Louis und ihren Töchtern Lena und Rosa nach Boston aus. Ihr Sohn, der sich fortan John L. Gebhardt nannte, gründete als junger Erwachsener in Boston eine Flaschenabfüllfabrik, mit der er zu Wohlstand gelangte. Im Jahr 1910 spendete er seiner Heimatstadt 2000 Mark, womit ein neuer Brunnen am Marktplatz gebaut werden konnte - der "Gebhardt-Brunnen".

107 Jahre später - im September 2017 - begab sich dessen Urenkel John Gebhardt auf Spurensuche in Schauenstein (wir berichteten). Er fand den gut erhaltenen "Gebhardt-Brunnen" und begegnete der Stadträtin Ulla Tögel. Obwohl Tögel nach Schauenstein zugezogen ist, wusste sie den Namen Gebhardt sofort einzuordnen. Bei diesem ersten Besuch von John Gebhardt zog Tögel den Stadtarchivar Adalbert Vogel und einige Schauensteiner hinzu, die einiges über die Auswandererfamilie zu berichten wussten. Diese ersten Informationen waren bruchstückhaft und teilweise widersprüchlich.

Dies entfachte Tögels Forschergeist. Da es erst seit 1871 Standesämter gibt, kontaktierte sie das Staatsarchiv Bamberg und das Nürnberger Kirchenarchiv per E-Mail. Weil der US-Amerikaner, der für eine deutsche Firma aus Freudenstadt in Hongkong arbeitet, nochmals mit seinem Sohn Joe nach Schauenstein kommen wollte, mobilisierte Tögel die deutschen Verwandten, die von Elias Fischer abstammen. Er war der Onkel des Auswanderers, der Bierbrauer, Gasthofbesitzer und von 1888 bis 1894 Bürgermeister in Schauenstein war. John L. Gebhardts Mutter war eine gebürtige Fischer.

Kein Wunder also, das im Rathaus nun viele mit dem Nachnamen Fischer beieinander saßen. Es herrschte eine gespannte Atmosphäre. Alle waren neugierig, ihre US-Verwandten kennenzulernen. Nach Tögel hieß Bürgermeister Peter Geiser die Gäste willkommen. "Es ist für mich etwas Besonderes, den Urenkel eines Schauensteiner Auswanderers hier im Rathaus bei dieser Familienzusammenführung begrüßen zu dürfen", betonte der Bürgermeister. Geiser hatte anlässlich des festlichen Momentes die Amtskette angelegt, denn es folgte der Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. Geiser erinnerte an die Verdienste von John L. Gebhardt, mit dessen großzügiger Spende der alte marode hölzerne Wasserkasten durch einen Granitbrunnen ersetzt werden konnte. "Dafür sind wir heute noch dankbar", betonte der Bürgermeister.

In gemütlicher Runde folgte das Kennenlernen mit den deutschen Verwandten. Tanja Fischer und ihr Ehemann Günter Völkel aus dem Ortsteil Loh hatten einen selbst gezeichneten Stammbaum der Familien Fischer und Gebhardt ausgebreitet, der auf großes Interesse der Gäste stieß. Joe Gebhardt ergänzte diesen Stammbaum handschriftlich mit seinem Geburtsjahr "1983" und dem Vornamen seiner Mutter "Carol".

Der Bürgermeister überreichte den Gästen einen Bildband über die Stadt, eine CD mit dem Schauenstein-Lied, eine Nachprägung des Schauensteiner Groschens aus dem Jahr 1622 und eine Flasche der hochprozentigen "Schlossgeister". Tögel schenkte ihnen eine Publikation des Heimatforschers Adrian Roßner über die früheren Auswanderungswellen. "Die Not der Menschen war früher so groß, dass viele über Nacht den Entschluss fassten, nach Amerika auszuwandern", betonte Tögel. Sie verglich die damaligen Migrationsbewegungen mit den aktuellen Flüchtlingsströmen nach Europa.

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