Länderspiegel Das Herz schreibt nicht mit

Andreas Pöhner ist der Eishockey-Experte der Frankenpost -Sportredaktion. Bei der Berichterstattung über den VER Selb lebt er im Spannungsfeld zwischen seiner Verbundenheit zum VER und einer objektiven Sicht auf die Wölfe. Foto: Mario Wiedel

Sportjournalisten sind Sportliebhaber - und meist auch Fans. Wie kann man objektiv berichten und trotzdem Fan eines Vereins oder eines Sportlers bleiben?

 
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Wir schreiben den 11. Juli 2020, kurz nach 20 Uhr. Die Sonne scheint noch über dem Audi-Sportpark in Ingolstadt. Doch für alle Fans des 1. FC Nürnberg droht sie in diesem Moment unterzugehen. Der fränkische Fußball-Zweitligist steht nur wenige Sekunden vor dem Abstieg in die 3. Liga entfernt. Doch dann trifft Fabian Schleusener in der sechsten Minute der Nachspielzeit. Der Ball liegt im Tor - und Jubel brandet im Stadion auf. In einem Stadion ohne Zuschauer!

Auch die Sportjournalisten aus den Nürnberger Medien feiern das Tor. Lautstark und doch fassungslos über die Dramatik des jetzt schon legendären Spiels. Doch dürfen sie das überhaupt? Sie, die objektiven Berichterstatter über den 1. FC Nürnberg. Die Reporter, von denen verlangt wird, möglichst objektiv und kritisch das Geschehen zu bewerten. Wie viel Fan darf in einem Sportreporter stecken?

Eine Frage, mit der sich auch die Sportredakteure der Frankenpost in ihrer täglichen Arbeit befassen. Denn: Auch sie sind Fans, auch ihr Herz schlägt für einen Verein in der Region. Sie leiden mit den Klubs bei Niederlagen mit, sie freuen sich über Siege - genauso wie jeder andere Fan auch. "Als Sportreporter bist du auch nur ein Mensch, der Emotionen im Sport erlebt", sagt Thomas Schuberth-Roth, Sportredakteur mit einem Faible für die SpVgg Bayern Hof. "Aber die Emotionen rauslassen, ist das eine", sagt er. Das andere sei sein Job - mit dem Inhalt, objektiv über den Verein und die Spiele zu schreiben. Doch wie geht das überhaupt? Die Distanz baut sich automatisch im Prozess des Schreibens auf, erklärt Schuberth-Roth: "Wenn du als Sportjournalist etwas schriftlich niederlegst, nimmst du das Herz wieder zurück. Das Schreiben ist ein Prozess, bei dem Rationalität vor Emotionalität geht." Mit etwas Abstand lässt sich auch ein Herzschlagfinale noch neutral bewerten. Aber: "Es gibt keinen total objektiven Text", sagt Schuberth-Roth. Das soll es auf den Sportseiten auch gar nicht geben. Vielmehr gleicht ein Spielbericht im Optimalfall eher einer Theaterrezension als einer nüchternen Aufzählung von Toren und Chancen. Gerade die Zwischentöne sind das Salz in der Sportberichterstattung. "Man ist nie frei von Werturteilen", sagt Schuberth-Roth. Und damit persönlichen Bewertungen.

Dennoch gilt auch dabei der journalistische Grundsatz: Die Fakten müssen stimmen. Ein dreifacher Torschütze kann - in der Regel - nicht der schlechteste Spieler auf dem Platz gewesen sein. Daten objektivieren den Text. Eine Vorgehensweise, die auch Andreas Pöhner, der Eishockey-Experte der Frankenpost-Sportredaktion, kennt. Er stand als Jugendlicher bei den Selber Wölfen noch selbst in der Fankurve, heute schreibt er über die Spiele des VER - möglichst mit der nötigen Distanz. Das ist oftmals ein schmaler Grat. "Natürlich willst du in den nächsten Tagen allen wieder in die Augen schauen und einen guten Kontakt pflegen. Dazu zählen für mich neben den Spielern auch der Trainer und die Verantwortlichen. Andererseits müssen die Herren auf dem Eis auch Kritik aushalten, wenn sie nötig ist."

Gerade bei der Kritik entbrennt oft der Streit - auch redaktionsintern. Geht die Kritik weit genug oder schon zu weit? Diejenigen Sportjournalisten, die mit einem Klub assoziiert werden, haben es in diesem Fall am schwersten. Denn auch das kann vorkommen: "Wenn du selbst enttäuscht über eine Leistung bist, dann kann die Kritik auch mal schärfer ausfallen als von einem Journalisten, der nicht so stark mit dem Herz dabei ist", sagt Pöhner. Schuberth-Roth pflichtet ihm bei: "Es kann schon passieren, dass man die Messlatte höher legt - auch, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, etwas beschönigen zu wollen." Man kennt das: Enttäuschte Liebe verkehrt sich schon mal ins Gegenteil.

Ein vager Maßstab dafür, ob Kritik überzogen oder gerechtfertigt ist, sind die Reaktionen. Die Aufgabe eines Journalisten ist es, auch mal den Finger in die Wunde zu legen. Das trifft nicht immer auf Gegenliebe. "Wichtig ist, dass die Kritik fundiert ist", sagt Schuberth-Roth. Und für eine solche haben Fans von Vereinen oftmals einen viel tieferen Einblick als Außenstehende, die sich in freien Stunden nicht noch weitere Gedanken über ihren Herzensverein machen. Pöhner hat auch noch einen anderen Maßstab beim Umgang mit seinem Lieblingsklub: "Keiner macht absichtlich etwas verkehrt, jeder darf mal einen schlechten Tag haben. Das ist so im Sport. Aber Profis kann man schon mal etwas härter anfassen als Spieler, die noch nebenbei einem Beruf nachgehen, oder einen jungen Spieler." Damit rückt der Sportjournalist auch schnell in die Position des unbequemen Mahners.

Dabei ist es - bei den Beispielen SpVgg Bayern Hof und VER Selb - nochmals anders als bei überregional bedeutsamen Vereinen wie dem 1. FC Nürnberg. Denn Hof und Selb sind in der Region beheimatet - und spielen in aller Regel gegen Klubs, die nicht jede Woche in der Frankenpost stattfinden. Die lokalen Sporthelden stehen im Fokus der Storys - und eben nicht der Gegner. "Der Leser hat bestimmte Erwartungen an unsere Texte", sagt Schuberth-Roth. "Er will nicht so detailliert wissen, wie der Gegner aufgestellt ist, sondern mehr über seine Mannschaft erfahren."

Schwierig kann es werden, wenn es zu Derbys kommt. "Gegen Weiden oder vor einigen Jahren auch gegen Bayreuth versuche ich vielleicht noch neutraler zu schreiben als ohnehin schon. Schließlich hat man auch den ein oder anderen Kontakt zu den Gegnern", sagt Pöhner, der diese Haltung spätestens dann innerlich wieder ablegt, wenn es für den VER Selb um Wichtiges geht. "In den Playoffs jubelt man nicht nur innerlich. Da kann es passieren, dass man nach Toren auch mal von seinem Schreibplatz aufspringt und äußerlich mitjubelt", gibt er zu.

Und deshalb ist auch die Szene aus der Ingolstädter Arena im Juli kein sportjournalistischer Fehlgriff, sondern ganz einfach eins: ein Ausdruck für die volle Bandbreite an Emotionalität, die im Sport steckt und wofür alle Fußball und Eishockey, Handball und Basketball oder Leichtathletik so lieben. Fans und auch Sportreporter.

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