Selb Ein Leben in drei Minuten

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Eine siebte Klasse der Bogner-Mittelschule in Selb widmet sich dem "Digital Storytelling". Gesucht sind Geschichten, die die Kinder prägten. Profis vom Bayerischen Rundfunk und eine Fotografin stehen den Jugendlichen zur Seite.

 
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Selb - Farsin Behnam klatscht in die Hände. "Hörst du den Schall?", fragt der BR-Reporter. "Den können wir für unsere Aufnahmen eigentlich nicht brauchen." Aber Behnam und der Siebtklässler Marco Röß stehen nun mal in keinem Studio, sondern eben in einem Klassenzimmer in der Bogner-Mittelschule in Selb. Doch der Mann vom Bayerischen Rundfunk weiß sich zu helfen. "Wir haben ein bisschen probiert. Zum Sprechen stellen wir uns hier in die Ecke." Dann schaltet er das Aufnahmegerät ein und Marco spricht über seine Vorliebe für laute und harte Rockmusik.

"Here's my story" heißt das Projekt, an dem die Klasse 7cG noch bis heute arbeitet - statt Mathe, Deutsch und Erdkunde. Ins Leben gerufen wurde das Projekt im vergangenen Jahr vom Bayerischen Rundfunk, der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und der Stiftung Zuhören. "Wir möchten, dass die Kinder die Geschichten ihres Lebens erzählen", erklärt Farsin Behnam. "Es geht um die Wendepunkte in ihrem Leben." Jugendliche sollen erfahren, dass ihre Geschichten interessant und spannend sind. Das ändere die Selbstwahrnehmung, sagt Farsin Behnam.

Bezeichnete man die Produkte, die im Laufe der Projektwoche an der Bogner-Mittelschule entstanden sind, nur als Erzählungen, würde man der Sache nicht gerecht. "Digital Storytelling" heißt das Zauberwort. Dahinter versteckt sich Folgendes: Die Geschichten der Schüler werden aufgezeichnet, mit Musik und Atmosphäre unterlegt und von Fotos und Videos begleitet. Alles in allem etwa drei Minuten lang, sollen in multimedialer Art, wesentliche Geschichten aus dem Leben der Schüler dargestellt werden.

Acht Schulen wurden bayernweit ausgewählt, um an dieser ersten Staffel von "Here's my story" teilzunehmen. Für die Bogner-Mittelschule hatte sich Lehrer Boris Glaser mit seiner Klasse beworben: "Ich denke, die Schüler haben oft wahnsinnig interessante Geschichten, die man aber nur selten zu hören bekommt, weil die Kinder eben nicht die Möglichkeiten dazu haben."

Jetzt betreut Glaser die Klasse mit den drei Coaches, die sich seit Montag in der Schule einquartiert haben: Reporter Farsin Behnam, Tontechniker Rupert Jaud und die Fotografin Sabine Felber aus Berlin. Sie unterstützt die Kinder beim Fotografieren. "Zum Beispiel erzählt einer der Schüler über sein Hobby Fußball. Allerdings fehlten ihm die passenden Bilder. Die habe ich mit ihm auf dem Pausenhof geschossen." Für die Porträtaufnahmen hat Sabine Felber ein kleines Studio in einem Klassenzimmer eingerichtet.

Ein Großteil der Arbeit geschieht im Computerraum. Hier sitzen die Schüler, feilen an der Geschichte, erstellen ein Storyboard mit Texten und den dazu gehörenden Bildern. Manche suchen Musik aus dem Internet und sichten ihre Fotos.

"Ein Laie würde sagen, unsere Geschichten sind ein reines Gefühlsding", sagt Behnam. Aber in Wirklichkeit stecke doch viel mehr dahinter. "Es fördert natürlich auch die Medienkompetenz", sagt der Reporter. "Und manche Schüler blühen regelrecht auf."

An der Tafel gibt eine lange Liste Aufschluss, wie weit die Projekte der Schüler gediehen sind. Text, Storyboard und Bilder sind bei den meisten abgehakt. Es fehlen noch Tonaufnahme, Musik und Montage. "Dabei sind die Jugendlichen in ihrer Arbeit frei. Wir stehen nur unterstützend zur Seite", erläutert Sabine Felber.

Nicht jeder Schüler möchte sofort sein Innerstes nach außen kehren, manche wüssten nicht einmal, ob ihre Geschichte das Aufschreiben lohnt, sagt die Fotografin. "Ein Schüler hat beim besten Willen keine Story gefunden, bis ihn seine Kameraden auf die richtige Spur gebracht haben. Jetzt hat er die Geschichte über seine Brille geschrieben, für die er sich anfangs geschämt hat."

Die Themen sind vielfältig und persönlich: Janluka Göner etwa hat sich eine Begegnung mit einem beißwütigen Weißstorch ausgesucht, Ricky Latton versucht eine harte Zeit aus seiner Vergangenheit aufzuarbeiten.

Tontechniker Rupert Jaud ist begeistert: "Ich finde es spannend, wenn die Kinder darüber nachdenken, was sie ausmacht, was dazu geführt hat, dass sie so im Hier und Jetzt stehen." Gemeinsam mit seinem Kollegen erklärt Jaud den Schülern den Audioschnitt. "Die Schüler sind super, und die technische Ausrüstung hier an der Schule ist optimal", freut sich Farsin Behnam.

Auch Schulleiter Günter Tauber ist glücklich über den Feuereifer, den seine Schüler bei dem Projekt an den Tag legen. "Ich bin mir sicher, das Projekt steigert das Selbstwertgefühl", sagt Tauber. Die Multimediageschichten decken das komplette Gefühlsleben der jungen Menschen ab, sie widmen sich den Hobbys, der Familie oder tiefen Freundschaften. Sie sind lustig, spannend, manchmal traurig und berührend. Nur eines sind sie nicht: langweilig.

Die Schüler haben oft wahnsinnig interessante Geschichten, die man aber nur selten zu hören bekommt.

Lehrer Boris Glaser


Porträts im Internet

Am heutigen Freitag werden die Siebtklässler der Bogner-Mittelschule ihre Geschichten fertigstellen. Zunächst sollen sie dann intern in der Klasse vorgestellt werden. Und das nicht ohne Grund: Immerhin sprechen die 13-jährigen Jungen und Mädchen über ihre ureigensten Gefühle. "Wenn alle einverstanden sind, kann ich mir auch einen Klassenelternabend vorstellen", überlegt Klassenleiter Boris Glaser. Und natürlich werden viele der Hör-Porträts auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks angeboten werden.


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