Selb-Erkersreuth Helfer entsetzt: Abschiebung mitten in der Nacht

Rainer Maier

Die Helfer vom Verein Zuflucht in Selb sind entsetzt: Eine Familie aus Aserbaidschan wird von der Polizei um 2 Uhr aus ihrer Unterkunft geholt.

 
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Selb-Erkersreuth - Als sich die Verantwortlichen des Flüchtlingshilfsvereins Zuflucht in Selb am Freitagmittag in der Gemeinschaftsunterkunft in der Erkersreuther Raithenbachstraße treffen, sitzen ihre Schützlinge vermutlich bereits in einem Flugzeug nach Baku. Gut zehn Stunden ist es da erst her, dass Beamte der Polizeiinspektion Marktredwitz in dem Gebäude die Tür zur Wohnung der aserbaidschanischen Familie aufgebrochen hatten. Eine halbe Stunde später, nachdem Said Jamalov, seine Frau Matanat Mammadova und die vier Kinder das Notdürftigste zusammengepackt hatten, wurden sie in bereitstehende Polizei-Kleinbusse gesetzt und zum Flughafen nach München gefahren.

Die Helfer haben keinen Kontakt mehr zu den Aserbaidschanern. "Ist doch klar", sagt Zuflucht-in-Selb-Vorsitzender Dieter Baumgärtel, "als erstes werden denen die Handys abgenommen." Er und seine Mitstreiter sind in großer Sorge: Wie geht es der Familie? Was wird mit ihnen in der Heimat geschehen? Wer wird sich um sie kümmern?

Vereinsbeirat Udo Benker-Wienands vermutet: "Said Jamalov wird in Baku am Flughafen genau den Leuten ausgehändigt, vor denen er geflohen ist." Der aserbaidschanische Polizist, der am Dienstag 33 wird, hatte sich gegen das korrupte System seiner Behörde aufgelehnt und sich mit seinen Vorgesetzten angelegt. Er hatte, wie es die Helfer übereinstimmend erzählen, deswegen seine Stelle verloren, musste als Baggerfahrer in einer Kiesgrube jobben und entschloss sich schließlich, nach Westeuropa zu fliehen. Seine Frau, die 39-jährige Krankenschwester Matanat Mammadova, fuhr mit Sohn Elchin Asadzada und Tochter Ayan Asadzada voraus, kam 2011 zunächst in Frankreich unter.

2014 folgte Jamalov, die Familie kam im mittelfränkischen Zirndorf wieder zusammen, wurde am 16. April 2014 in die damals neu eröffnete Unterkunft nach Selb verlegt. Hier kamen 2014 und 2017 zwei weitere Kinder zur Welt: Nur und Mert.

Die Helfer hatten die Familie ins Herz geschlossen. Jetzt sind sie bestürzt über die plötzliche Abschiebung mitten in der Nacht. "Die Asylanträge waren abgelehnt, ja. Aber die Familie hatte eine Aufenthaltsgestattung. Und sie hoffte auf einen Bescheid zur Duldung", sagt Hella Völker, zweite Vorsitzende. Ganz sicher seien Said Jamalov, seine Frau und seine Kinder keine Gefährder oder gar verurteilte Straftäter. Im Gegenteil: Die Aserbaidschaner seien sehr integrationswillig gewesen.

"Said wollte immer arbeiten, um seine Familie selbst zu ernähren. Er hatte sogar schon einen Ausbildungsvertrag bei einem Textilbetrieb in Selb", sagt Schriftführerin Irene Pohl. "Aber die Zentrale Ausländerbehörde in Bayreuth hat ihm die Erlaubnis verweigert." Das habe den Familienvater sehr frustriert.

Jamalov, der anfangs kein Wort Deutsch sprach, lernte die Sprache schnell. "Man hat bei ihm einen ganz starken Integrationswillen gespürt", sagt Dieter Baumgärtel. Und er habe auch seine Kinder angehalten, fleißig zu lernen. Der Verein Zuflucht in Selb unterstützte sie: "Wir haben alles getan, um den Kindern all das zu ermöglichen, was deutsche Eltern ihren Kindern auch bieten", sagt Baumgärtel.

Der heute 17-jährige Elchin Asadzada war laut Udo Benker-Wienands intelligent und sehr ehrgeizig, machte 2017 seinen qualifizierenden Schulabschluss als Bester in seiner Gruppe und war nun auf dem Weg zur Mittleren Reife. Der junge Mann, allseits beliebter Fußballer bei der Spielvereinigung Selb, spricht neben seiner Muttersprache Aserbaidschanisch auch fließend Türkisch, Französisch und Deutsch. "So ein Junge ist doch eine Wunschvorstellung für unsere Wirtschaft", sagt Benker-Wienands.

Die zehnjährige Ayan Asadzada, die ebenfalls perfekt Deutsch spricht, stand vor dem Übertritt an die Realschule. "Dieses hoch talentierte Mädchen ist mir total ans Herz gewachsen", sagt Günter Bruer, Vorstandsmitglied und schulischer Betreuer der jungen Aserbaidschanerin, die Flöte spielte und Klavierstunden nahm. "Sie war im musischen Leben der Stadt gut integriert", fügt Irene Pohl hinzu.

Die Kinder hätten an den Freizeiten der evangelischen Jugend teilgenommen, seien nach einem Schwimmkurs bei der Wasserwacht Mitglied geblieben. "Die ganze Familie war auf dem besten Weg, sich toll in Deutschland zu integrieren", sagt Hella Völker. "Die hätten das geschafft." Und Udo Benker-Wienands ergänzt: "Diese Kinder wären für unser Land eine gute Perspektive gewesen."

Natürlich, sagt Dieter Baumgärtel, wisse man im Verein, dass man mit derartigen Aktionen rechnen müsse, zumal diese Menschen ja nicht als Asylanten anerkannt waren. Aber die Art und Weise, wie sie ohne Vorwarnung mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt worden seien, das schockiere ihn schon. "Diese Leute sind uns über vier Jahre ans Herz gewachsen. Und dann werden sie abgeschoben und man kann sich nicht einmal von ihnen verabschieden." Sauer ist Baumgärtel vor allem auf die Zentrale Ausländerbehörde an der Regierung von Oberfranken: "Die ZAB verbaut den Leuten alle Möglichkeiten. Die Menschen werden kaputt gemacht."

Als noch die Ausländerbehörde am Wunsiedler Landratsamt zuständig gewesen sei, sei es viel menschlicher zugegangen und man habe jeden Fall individuell betrachtet.

Jakob Daubner, der Pressesprecher der Regierung von Oberfranken, stellt auf Anfrage die Lage dar, wie sie die ZAB einschätzt: "Die Asylanträge der aserbaidschanische Familie wurden abgelehnt. Den dagegen eingelegten Rechtsmitteln gaben die zuständigen Gericht nicht statt: Zuletzt wurden die Asylanträge durch Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 10. Januar 2018 endgültig abgelehnt." Somit seien die betroffenen Personen ausreisepflichtig gewesen.

Das gelte auch für den ältesten Sohn der Familie, denn er sei noch nicht vier Jahre ununterbrochen und geduldet in Deutschland gewesen. Andernfalls hätte das gemäß Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes eine Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis sein können. Daubner weiter: "Der Aufforderung zur freiwilligen Ausreise ist die Familie innerhalb der ihnen gesetzten Frist nicht nachgekommen, weshalb die Abschiebung vorgenommen wurde." Die Maßnahme sei ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. "Wegen der Zuführung zum Flughafen und des vorgegebenen Zeitpunkts des Flugzeugstarts musste mit der Abschiebung zu Nachtzeiten begonnen werden."

Der Sorge, dass die Familie nun für die Selber Helfer nicht mehr zu erreichen sei, entgegnet der Sprecher der Bezirksregierung: "Eventuell vorhandene Mobiltelefone der Familie befinden sich in deren Gepäck. Nach der Landung werden sie also wieder erreichbar sein."

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