Bad Alexandersbad - "Vor 20 Jahren begann die Diktatur der DDR zu bröckeln und damit die Mauer, die Ost und West so unversöhnlich trennte." Moderatorin Dr. Simone Richter blickte zurück auf die Ereignisse im Jahre 1989. Das Wochenende im Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Alexandersbad stand unter dem Zeichen der Erinnerung - an erste deutsch-deutsche Begegnungen nach dem Mauerfall. "Erstmals drüben" so hieß auch ein Schreibwettbewerb, zu dem der Kulmbacher Literaturverein und die Goethe-Gesellschaft Gera aufgerufen hatten.

74 Autoren aus allen Ecken Deutschlands hatten sich erinnert und ihre Gedanken, Gefühle und Erlebnisse zu Papier gebracht. Alle Texte wurden zu einer mannigfaltigen Anthologie zusammengefasst. Die Autoren der besten Prosa und Lyrik wurden bei einem Festakt am Samstag ausgezeichnet.

"Ihr literarisches Wirken soll Erinnerungen an erste deutsch-deutsche Begegnungen wachrufen, soll jene tief bewegenden Emotionen ins Wort nehmen, als bislang fremd oder getrennt gewesene Menschen einander unerwartet gegenüber standen und als sich der Weg aus auferlegter Enge, Bedrücktheit, Unterdrückung in eine Freiheit öffnete, die vielleicht erträumt, aber kaum real war", stellte Professor Dr. Georg Machnik, der ehemalige Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena, fest. "Schon vereint - noch getrennt" lautete das Thema seines Festvortrages.

Die Wiedervereinigung sei ein unmittelbarer, abrupter Übergang von einem alten zu einem neuen System gewesen. Die Aufgliederung der Abläufe seit 1989 lasse freilich wenig Raum für das Schildern subjektiver emotionaler Aspekte, die die Menschen im Osten und Westen Deutschlands erfasst haben. "Für uns Ältere, als Betroffene, als Zeitzeugen oder als Wissende werden die Dynamik und die Dramatik der damaligen Ereignisse wieder intensiv fühlbar, wenn sie in Erinnerung gerufen werden." Allerdings würde sich das Geschehen immer mehr vom Selbsterlebten hin zur Geschichte verschieben - gerade bei der jüngeren Generation, die die Vorkommnisse nur mehr aus den Schilderungen anderer kenne.

"Ich glaube, dass es notwendig ist, diese fundamentalen Abläufe im Gedächtnis zu bewahren. Sie stellen in der neuzeitlichen Geschichte ein historisches Unikat dar, dessen Einmaligkeit offenbar wird, wenn der Weg zu seiner Entwicklung betrachtet wird", betonte Machnik und ließ die weitgehend unblutige und gewaltlose Revolution Revue passieren. "Der Staatsfeind trug keine Waffen, sondern brennende Kerzen."

Weiter ging er auf den Aspekt seines Vortrages "noch getrennt" ein. "Ich möchte hier den Akzent auf das Adverb setzen. Es empfiehlt und gestattet Zuversicht, denn der Weg zum Ziel ist offen und beschreitbar." Natürlich seien Geduld, Mut und Kraft dazu notwendig, um unerwartete, vielleicht schicksalhafte Unebenheiten dieses Weges ertragen und meistern zu können. "Eine Kraft, als deren Quelle auch das Kapital unserer Erfahrungen und das Nichtvergessen dienen kann und sollte."

"Mein Beitrag zur Wiedervereinigung ist die Vertiefung", erklärte der Verleger der Anthologie, Wolfgang Stutz aus Kulmbach. "Ich habe mich in jeden einzelnen der 74 Wettbewerbstexte vertieft." Daraus sei ein "Einheits-Buch" entstanden, das den Leser in ein Wechselbad der Gefühle schicke. Die Unterschiede der Beiträge seien frappierend: "Die einen gehen sehr nah an die Geschehnisse heran, die anderen berichten abgeklärt aus der Distanz." Es sei erstaunlich, wie vielfältig das Wort "Freiheit" verwendet werden kann.

Jeder Teilnehmer des Literatur-Wettbewerbs erhielt als Dank ein Exemplar der Anthologie und eine Rose. Erstmals hielten sie somit "ihr Buch" in den Händen. Die Gewinner wurden von Karin Minet vom Kulmbacher Literaturverein und von Bernd Schöbel von der Goethe-Gesellschaft Gera bekannt gegeben.

Die musikalische Umrahmung hatte die Bayreuther Sängerin Anna Ihl mit kecken Liedern aus Brechts Dreigroschen-Oper und Schlagern von Friedrich Hollaender übernommen. Dr. Michael Kuch begleitete sie am Flügel. Danach wurde die Fotoausstellung "Grenzwerte - Grenzenlos" des FAC Mainleus-Kulmbach eröffnet. Am Abend ging es erneut weiter mit Dichtkunst: Das Duo "Sonabiles" begab sich auf einen musikalischen Streifzug durch die deutsche Literaturgeschichte.