Wunsiedel - "Schön, auf eine volle Fichtelgebirgshalle zu blicken", sagt Bürgermeister Karl-Willi Beck. Die Besucher wollen den bekannten äthiopischen Unternehmensberater, Autor, Jurist und Volkswirt Asfa-Wossen Asserate erleben, der auf Einladung der ASF zu einem Vortrag über Ethik und moralische Wertvorstellungen im 21. Jahrhundert gekommen ist. Vor ihm hatten schon Renate Bäuml für die ASF und das schwungvolle Saxofon-Quartett der Marktredwitzer Musikschule unter der Leitung von Erwin Jahreis die Besucher begrüßt: Nun schildert Beck Wunsiedel als eine Stadt mit Bürgersinn, Engagement und Zivilcourage. Vorbilder und Unterstützer brauche besonders die Jugend, und er bittet den "großen Gast" auf die Bühne zur Unterschrift ins Goldene Buch der Stadt.

Gesetze helfen nicht

Der empfindet diese Bitte als Ehre und gibt gleich eine Kostprobe seines Humors: "Ich hoffe, dass ich das verdient habe". Und der höchstens mittelgroße, stattliche Herr stellt sich neidlos neben den Riesen Beck: "Sie haben einen großen Bürgermeister." Schon dabei ist zu hören, dass er ohne jeden Akzent spricht; in gepflegter, gleichwohl klarer Sprechweise springt der Autor dann von "Manieren" mitten hinein in seine Ausführungen, zunächst über die moralische Kategorie "Respekt". Das zwischenmenschliche Vertrauen in Politik und Gesellschaft sei in die Krise geraten, mit dem Ergebnis von Misstrauen und Vereinsamung.

Asserate hält keineswegs eine Moralpredigt um der Moral willen, sondern er zeigt, dass schlechte Manieren, die sich ausweiten zur Respektlosigkeit gegenüber Menschen und Natur, für alle von Nachteil sind: "Aus fehlender Moral entsteht fehlendes Bewusstsein für Werte." Daraus folgende Willkür und Chaos könne kein Unternehmen wollen; auch den Klimawandel sieht er als "Symbol des Scheiterns".

Gesetze können hier nach Asserates Ansicht nicht helfen, denn "die Voraussetzung für ethisches Handeln steckt im Selbstverständnis des einzelnen Menschen". Das wiederum wird an erster Stelle in der Familie geformt, wo als Vorbild die Mutter für Gottes Barmherzigkeit steht und der Vater für Gerechtigkeit. Die Schule kann hier - zumindest derzeit - kein Ersatz sein, denn "die Lehrer gehören zu der Generation, die die Manieren abgeschafft hat". Sie seien großenteils Kinder der 68er Jahre, und ihre Erziehung sei als Reaktion auf die starren obrigkeitshörigen Maßstäbe der vorhergehenden Generationen keine gewesen. Asserate fordert eine liberale Reform hin zu einem humanen Leistungsprinzip: "Nur eine Gesellschaft, die ihre eigenen Werte bejaht, hat eine liberale Zukunft".

Großeltern einbeziehen

Was sei mit Familien, in denen die Kinder aus unterschiedlichen Gründen nicht in diesem Sinne erzogen werden könnten, wird in der anschließenden Gesprächsrunde gefragt. Asserate empfiehlt, auf die Großeltern zurückzugreifen, "die wissen noch, was Manieren sind", und sie seien oft froh über eine Aufgabe. Und was rate er Politikern im Zwiespalt zwischen unangenehmen Wahrheiten und Wahlerfolg? "Wir haben mündige Bürger, die wollen nicht angelogen werden, und sie würden die Wahrheit in mehr als homöopathischen Dosen vertragen".