<%IMG id="3635077" title="64. Berlinale - "Two Men in Town" - Premiere" target="_blank"> So!: Herr Whitaker, als ich die ersten beiden Teile gesehen hatte, dachte ich: Wozu noch einen dritten? Als ich nun den dritten Teil sah, dachte ich: Warum jetzt aufhören? Die Charaktere sind viel tiefer gezeichnet, die von Ihnen gespielte Figur des Frank Dotzler ist eine sehr interessante Ergänzung. Wie haben Sie die Rolle definiert?
Forest Whitaker: Liam Neeson sagt immer, die Basis unserer Figuren sei ein Katz-und-Maus-Spiel. Gemeinsam mit dem Regisseur haben wir daran gearbeitet, die Details dazu möglichst exakt herauszuarbeiten. Das macht mit einem so wunderbaren Gegenpart wie Liam Neeson natürlich besonderen Spaß. Wir wollten auch das Mysteriöse der Figuren noch vertiefen. Ich denke, es haben durchaus beide etwas Mysteriöses an sich. Denn bei Dotzler fragt man sich doch, wie er es schafft, es mit diesem Bryan Mills aufzunehmen. Er hat eben auch irgendetwas in seiner Vergangenheit, auf das er in dieser Situation zurückgreifen kann.

So!: Er ist halt bei der Polizei von Los Angeles der Mann, dem man die eher schwierigen Fälle anvertraut.
Whitaker: Ja, aber kaum auf diesen Mordfall angesetzt, beginnt er doch, diese andere Welt, die eine Schicht tiefer liegt als das Offensichtliche, zu erforschen. Ich glaube, Dotzler hat – ähnlich wie der Mann, den er verfolgt – Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten, vielleicht beim CIA. Auch er ist ein kleines Mysterium. Seine Aufgabe erscheint einfach: Mills fangen, das Verbrechen aufklären. Allerdings ist das nicht so leicht zu bewerkstelligen. Es gibt da einige Dinge, die ihn verunsichern. Und so entfaltet sich zwischen den beiden dieses spannende Spiel – bei dem sie auch gegenseitigen Respekt entwickeln.

So!: Dotzler zweifelt von Beginn an an Mills Schld?
Whitaker: Natürlich. Er fragt sich: Wenn Mills im Spezialeinsatz war, würde er dann ein Messer mit seinen Fingerabdrücken hinterlassen? Wieso sollte er so einen Amateur-Fehler machen? Es wird Dotzler schnell klar, dass jemand das Verbrechen Bryan in die Schuhe schieben will. Aber, um herauszufinden, wer das ist, muss er erst Bryan stoppen. Er ist seine einzige Verbindung zu den wahren Tätern. Aber Mills ist nicht nur vom Tatort geflohen, er hat zwischenzeitlich bereits allerhand Kollateralschäden angerichtet. Aus der Sicht eines Polizeibeamten begeht Mills eine wahre Unmenge an Delikten – ob er jetzt den Mord verübt hat oder nicht.

So!: Klingt, als könnten Sie sich gut mit Ihrer Figur identifizieren.
Whitaker: Ich mag Frank Dotzler. Er verkörpert eine universelle menschliche Erfahrung. Er sorgt sich um andere Menschen. Er ist fasziniert vom Leben. Und er mag es, herausgefordert zu werden. Er ist hochintelligent und wirkt dennoch immer sehr bescheiden, fast demütig. Und dann ist da noch das Rätsel, wer er wirklich ist, was er vorher war, warum er bestimmte Dinge weiß, wie er auf manche Lösungen kommt. Er ist vernarrt in seinen Job. Er spielt Strategiespiele, Schach, Oware und andere. Ich schätze, darin ist er richtig gut. Es macht Spaß, eine Figur zu spielen, die so tickt.

So!: Er agiert dabei aber manchmal ein wenig zu bedächtig, oder?
Whitaker: Finde ich gar nicht. Sobald er einen Hinweis bekommt, beginnt sein Verstand zu arbeiten. Und er löst den Fall ja auch sehr schnell, zumindest in seinem Kopf. Er hat das doch alles schnell durchschaut. Ihm fehlen allerdings zunächst die Beweise, um das zu untermauern, was sein Instinkt ihm sagt. Natürlich muss sein Team gleichzeitig den scheinbar offensichtlichen Täter, also Mills, jagen. Aber Dotzler ist immer auf der Höhe der Ereignisse. Wäre er noch schneller, würde er Mills schon mitten im Film erwischen. Sie müssten als Zuschauerin also eigentlich froh sein, über diesen einen kleinen Schritt, den er immer hinterherhinkt. Also noch mal: Bedächtig oder gar langsam ist Dotzler in keinster Weise. So jedenfalls habe ich ihn nicht gesehen.

So!: Er verlässt sich bei seinen Ermittlungen sehr auf seine Instinkte, nicht zuerst auf Daten, Hinweise, Fakten. Ist das etwas, das jedermann mehr beachten sollte im Leben? Mehr auf seine Instinkte hören? Nicht immer nur abwarten, bis alle Fakten geklärt sind?
Whitaker: Das wäre sicher eine gute Sache, aber ich denke, am besten ist eine Kombination von beidem, Intellekt und Instinkt. Natürlich sollte man seinen Instinkten vertrauen. Aber zusätzlich schadet es doch nicht, seine Instinkte zu informieren. Jede neue Information kann beeinflussen, was einem der Instinkt sagt, wie sich eine Situation anfühlt. So lässt sich auch eine falsche Eingebung wieder rechtzeitig korrigieren. Frank Dotzler agiert genau so.

So!: Folgen Sie immer Ihren Instinkten, etwa, wenn Sie ein neues Drehbuch beurteilen?
Whitaker: Da gehe ich normalerweise nach dem Bauchgefühl, ja. Aber auch hier versorge ich meinen Instinkt mit allen verfügbaren Informationen: Wer ist der Regisseur, wer sind die anderen Schauspieler, solche Sachen. Es ist die gleiche Vorgehensweise, also die Kombination, die ich vorhin erwähnt hatte.

So!: War es für Sie eine Erleichterung, mal wieder einen anderen Typ Polizist zu zeigen in einer Film- und Fernsehwelt, die von zahllosen Gerichtsmedizinern, Forensik-Experten und CSI-Teams bevölkert wird?
Whitaker: Das war ja bereits im Skript so angelegt. Ich habe mir dann ausgemalt, wo Dotzler herkommt, was sein Hintergrund ist, womit er sich beschäftigt, was ihn antreibt. Ich versuchte zu ergründen, wie er denkt, welche Strategien er verfolgt. So sind dann auch diese Eigentümlichkeiten entstanden, dieses dauernde Spielen mit dem Gummiband zum Beispiel, das die Mills-Akte im Archiv zusammenhielt.

So!: Oder die Schachfigur, die er immer dabei hat.
Whitaker: Genau. Er dreht sie hin und her, wenn er nachdenkt. Damit wollte ich diesem inneren Druck Ausdruck verleihen. Jedes Mal, wenn Dotzler die Schachfigur dreht oder dieses Gummiband um seine Finger wickelt, sagt er innerlich: Löse den Fall! Löse den Fall!

So!: Am Schluss packt er die Akte mit dem Gummiband wieder zusammen.
Whitaker: Der Kreis schließt sich. Das Band stammt von genau dieser Akte. Aber die Szene wurde herausgeschnitten. Schade. Als Dotzler die Akte aus dem Schrank nimmt und sie ansehen will, schnalzt das Gummiband über seine Hand. Von da an ist es für Dotzler das Symbol für den Fall. Mit solchen kleinen Details habe ich versucht, sein Inneres für den Zuschauer sichtbar zu machen.

So!: Apropos Inneres: Können Sie sich auch mit Liam Neesons Figur identifizieren?
Whitaker: Er versucht einfach alles, um seine Familie zu beschützen. Wir alle würden uns doch wünschen, dazu in der Lage zu sein, wenn etwas schiefgeht. Er schafft das, eben wegen dieser ganz speziellen Fähigkeiten, die er hat. Auch im zweiten Teil, wo es nicht um die Tochter, sondern um seine Ex-Frau geht, ist das ähnlich. Es geht immer um Familie, Liebe, um das Beschützen und das Sich-Beschützt-Fühlen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich diese Filme so gerne sehe. Und nicht nur ich. Der dritte Teil ist nun ein wenig anders: Jetzt geht es vor allem darum, ein Verbrechen aufzuklären.

So!: Sie kannten die ersten beiden “96 Hours”-Teile schon vor dem Rollenangebot?
Whitaker: Ja klar. Den ersten habe ich sogar ein paar Mal gesehen. Erst war ich im Kino und dann lief er einige Male im Fernsehen – und ich dachte immer: Den schau’ ich mir noch mal an.

So!: Auch der dritte Teil ist eine Action-Achterbahnfahrt.
Whitaker: Ja, aber ich hoffe, die Menschen bemerken, dass es – neben dieser aufregenden Fahrt – im Kern wieder um die Familie geht. Es geht um Mills’ Ex-Frau und was ihr passiert. Und es geht um seine Tochter und was ihr passiert – oder was ihr passieren könnte.

So!: Es ist Ihr erster Film mit Liam Neeson.
Whitaker: Stimmt. Ich hatte bisher noch nie mit ihm zusammengearbeitet. Und in diesem Film habe ich nur eine einzige echte Szene mit ihm, ganz am Schluss. Die aber habe ich sehr genossen. Ich mag seine Arbeit, ich mag die Filme, die er gemacht hat. Und in dieser “96 Hours”-Saga finde ich ihn großartig. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich diese Szene mit ihm bekommen habe.

So!: Würden Sie das denn gerne fortsetzen, Herr Whitaker? In “96 Hours – Taken 4”?
Whitaker: Klingt jedenfalls aufregend. „Taken 3“ hat mir sehr großen Spaß gemacht. Es war toll, dass ich die Gelegenheit hatte, mit Liam Neeson und Olivier Megaton zu arbeiten. Wenn es da noch eine weitere Möglichkeit geben sollte: Warum nicht?

So!: Im nächsten Teil könnten Sie dann mehr gemeinsame Szenen mit Liam Neeson haben? Vielleicht sogar eine dieser genialen Kampf-Szene?
Whitaker: Lustig, dass Sie das fragen. Wir haben gestern erst darüber gesprochen und bei einem Foto-Shooting ein bisschen rumgealbert und Kampf-Situationen gestellt. Liam ist in dieser Serie – und in vielen anderen großartigen Filmen – einfach überaus beeindruckend. Gemeinsame Szenen mit ihm zu drehen, das ist immer eine große Freude. Mehr davon? Sehr gerne. Aber ein Kampf wäre nicht logisch, denn eigentlich sind wir ja beide auf derselben Seite. Wir beide wollen Verbrechen aufklären und die Gangster jagen und dingfest machen. Okay, Liam hinterlässt als Bryan Mills dabei jedesmal ein Trümmerfeld. Aber hinter allem steht eben dieser gegenseitige Respekt dieser beiden Figuren, der keine solche Konfrontation zulässt.

So!: Im nächsten Teil könnte es ja eine neue Wendung geben und Detective Dotzler könnte sich als böser Junge entpuppen.
Whitaker: Ah, sie schreiben schon am Drehbuch (lacht). Habe ich Ihnen denn Anhaltspunkte geliefert, dass Dotzler möglicherweise eine dunkle Seite hat? Dessen war ich mir gar nicht bewusst.

So!: Die Kampf-Szenen der ersten drei Teile könnten einen Schauspieler aber auch so beeindrucken, dass er es gar nicht mehr in Erwägung zieht, der Gegenspieler sein zu wollen.
Whitaker: Liams Kämpfe Mann gegen Mann sind wirklich genau auf den Punkt. Das ist eine ganz starke Performance, in der unglaublich viel Arbeit steckt. All diese Szenen so exakt zu choreografieren … bewundernswert.

So!: Vielleicht muss es ja auch kein Kampf Dotzler gegen Mills sein. Aber ein wenig mehr Action für Ihre Figur wäre Ihnen schon recht, oder?
Whitaker: Wenn die Reihe tatsächlich fortgesetzt werden sollte, würde es mir schon Spaß machen, mehr solche Szenen zu drehen. Das würde wieder eine andere Facette von mir ins Spiel bringen. Ich versuche andauernd, noch mehr Vielseitigkeit zu erreichen, indem ich beispielsweise in TV-Serien mitspiele oder Animationsfilme synchronisiere. Ja, das wäre sicher toll.

So!: “96 Hours – Taken 3” sieht aus wie ein amerikanischer Film, ist jedoch ein europäischer Film mit internationaler Besetzung, gefilmt in Amerika. Die allermeisten Produktionen, an denen Sie beteiligt sind, sind amerikanische. War denn etwas anders für Sie am Set, dadurch, dass die Filmemacher aus Europa kamen.
Whitaker: Ja, durchaus. Es herrschte eine tolle Kameradschaft am Set zwischen Olivier und seiner Crew. Ich spürte Leidenschaft. Und eine große Lust, morgens zur Arbeit zu kommen, um gemeinsam dieses Projekt voranzubringen. Das hat schon etwas Spezielles. Obwohl es ja ein gigantisches Filmprojekt ist, herrschte irgendwie immer das Feeling wie bei einem Independent-Film.

So!: Das gibt es so bei einem Projekt dieser Größenordnung mit einer US-Crew nicht?
Whitaker: Nein, nach meiner Erfahrung macht genau das den Unterschied: Europäische Filmemacher wollen vor allem ihre eigene Message rüberbringen. Deswegen spielen da Einflussnahmen des Studios oder Publikumsanalysen oder Test-Vorführungen keine so große Rolle. Ich habe bisher mit vier französischen Regisseuren gearbeitet, mit Olivier Dahan, Jérôme Salle, Benoît Philippon und Rachid Bouchareb – und in einigen französischen Animationsfilmen als Sprecher mitgewirkt. Ich habe also durchaus ein wenig Erfahrung mit europäischen Filmemachern. Und da gibt es eben diesen Unterschied: Es gibt diese klare individuelle Vision, der alle folgen. Jeder im Team versucht mit Begeisterung, sie umzusetzen. Olivier Megaton hat dieses Gefühl, das man gerade bei den kleineren Produktionen erlebt, auch bei “96 Hours – Taken 3” erzeugen können – obwohl es ein ziemlich großes Filmprojekt ist.

So!: Sie leben seit Vorschulzeiten in Los Angeles. Haben Sie – durch die Zusammenarbeit mit einem französischen Team eine neue Sicht auf Ihre Heimatstadt entdeckt? Konnten Sie dadurch Plätze entdecken, an denen Sie nie zuvor waren?
Whitaker: Eigentlich nicht. Aber irgendwie sieht es schon anders aus, wenn ein Franzose Los Angeles filmt. Es hat mehr Stil, glaube ich. Schon die Anfangsszene, dieser nächtliche Flug über die Stadt, diese aufgeladene Energie, mit der er die Stadt beobachtet, ja fast bewundert – das ist schon ein anderer Blick als mein eigener. Ich habe fast mein ganzes Leben in L. A. verbracht. Ich bin oft umgezogen, war in den verschiedensten Gegenden der Stadt schon zu Hause. Um ehrlich zu sein: Bei den meisten Schauplätzen, die im Film vorkommen, habe ich schon mal ganz in der Nähe gewohnt.

So!: Waren Sie denn dann enttäuscht, dass der Film nicht in Tahiti oder einem anderen exotischen Schauplatz gedreht wurde? Immerhin spielten die beiden ersten Teile ja in Paris und Istanbul, zwei wunderbaren Städten.
Whitaker: Tahiti wäre natürlich super gewesen (lacht). Das hätte ich sicher gerne gemacht. Andererseits war es für mich auch mal eine schöne Abwechslung, einen Film zu drehen, und trotzdem jeden Abend daheim zu sein. Das ist sehr ungewöhnlich für mich, wissen Sie. Und es war ein sehr schönes Gefühl.

So!: Wenn Sie ins Kino gehen, haben Sie da auch das Gefühl, es läuft kaum noch etwas Originäres. Alles, was man sieht, sind Remakes, Reboots, Comic- und Fantasy-Adaptionen – und deren Fortsetzungen. Finden Sie, mit immerhin gut dreißig Jahren Leinwand-Erfahrung auf dem Buckel, dass die Originalität der Drehbücher in einer tiefen Krise steckt?
Whitaker: Das liegt am Studio-System. Die wollen auf Nummer Sicher gehen. Deshalb gibt es all diese Adaptionen. Man will die Garantie eines großen Spektakels, denn dann läuft die gesamte Maschinerie, die an solchen Filmen mit dranhängt, auf Hochtouren – von der kleinen Plastik-Spielfigur über Computer-Spiele bis hin zum DVD-Verkauf. Man muss ja auch was bieten, um die Kids von ihrem Smartphone wegzulocken.

So!: Muss es denn jedes Mal noch größer sein, als alles bisher Gesehene.
Whitaker: Nein. Es gibt dazu ja auch eine Gegenkultur. Das ist vor allem das, was in der Welt der Independent-Filme passiert. Da werden wirklich interessante Filme gemacht. Und sie öffnen die Tür für die Geschichtenerzähler. Fast so, wie es in den Siebzigern war. Ich klinke mich da oft mit ein, um solche Projekte jenseits der großen Studios zu unterstützen. “Out Of The Furnace” zum Beispiel, der in Deutschland letztes Jahr unter dem Titel “Auge um Auge” lief, war mehr eine Charakterstudie.

So!: Sie haben auch eine eigene Produktionsfirma, mit der sie Independent-Filme machen. Whitaker: Richtig. Vorletztes Jahr war es “Nächster Halt: Fruitvale Station”, auch eine sehr an der Charakterstudie orientierte Geschichte. Der Film ist von der Kritik mit offenen Armen aufgenommen worden, das “Sundance Festival” hat ihn in den Wettbewerb genommen. Und das ist sehr wichtig: Dass die Gemeinschaft der Filmschaffenden ein Projekt als ein Kunstwerk annimmt. In dieser Gegenkultur geht es um die Geschichte, die erzählt wird. Und um die künstlerische Art, wie diese Geschichte erzählt wird. Im Studio-System geht es um … na ja.

So!: Wie kann man denn dazu beitragen, diese kleinen aber feinen Independent-Filme zu retten?
Whitaker: Gehen Sie ins Kino! Wählen Sie bewusst solche Filme aus, wenn Sie ins Kino gehen! Diese Art von Film hat bereits eine gewisse Gefolgschaft um sich versammelt, aber noch mehr Unterstützung kann nichts schaden. Es ist ja nicht so, dass diese Sorte von Film erst jetzt neu gemacht wird. Es hat sie immer gegeben, diese unabhängigen Geister. Leute wie Alexander Payne, Jim Jarmusch und so weiter. Es werden viele solcher guten und besonderen Filme gemacht. Es ist an uns, sie durch unseren Kino-Besuch zu unterstützen.

So!: Das würde etwas bewirken?
Whitaker: Ja, weil dann die Menschen, die ihr Geld in Independent-Filme stecken, eher das Gefühl hätten, dass ein solches Investment einen Sinn macht, dass es nicht riskanter ist als die gigantischen Produktionen, die aus den großen Studios kommen. Wir kämpfen da für eine kleine Nische im großen Geschäft. Aber ich fühle mich sehr wohl in dieser kleinen Seifenblase (lacht).

So!: Die jüngste Produktion Ihrer “kleinen Seifenblase” hat ganz schön abgeräumt: Die Liste der Preise, die “Fruitvale Station” gewonnen hat, ist lang. Der Drehbuchautor und Regisseur Ryan Coogler hat zum Beispiel, Ihre Bescheidenheit in Ehren, beim “Sundance Festival” den Grand-Jury-Preis gewonnen.
Whitaker: Wie gesagt, der Film wurde sehr wohlwollend aufgenommen. Das hat uns sehr gefreut.

So!: Das Thema des Films, der auf einem wahren Fall beruht, ist brisanter denn je. Es geht um den Tod des jungen Schwarzen Oscar Grant in der U-Bahn von San Francisco am Neujahrstag 2009. Nach einer Schlägerei im Zug wird der unbewaffnete, bereits am Boden fixierte Grant von einem weißen Polizisten erschossen. Es kommt zu Rassenunruhen. Erst kürzlich kamen weiterere Fälle von tödlicher weißer Polizeigewalt gegen schwarze Verdächtige hinzu. Wird das nie aufhören?
Whitaker: Ich denke, unser Land ist einfach noch nicht fertig. Wir arbeiten immer noch daran, diesem komplexen Gebilde eine Form zu geben. Das ist ein immerwährender Prozess, das war, als ich ein Kind war, auch nicht anders.

So!: Ihre Familie ist nach Los Angeles gezogen, kurz bevor im August 1965 die Unruhen im Stadtteil Watts ausbrachen. Damals waren Sie gerade drei.
Whitaker: Ja. Und seither haben wir immer wieder solche Unruhen erlebt. In Los Angeles 1992 nach dem Urteil im Fall Rodney King. Jahre vorher in Newark, New Jersey. Und anderswo. Meistens wurde das dadurch ausgelöst, dass ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe von einem Menschen mit weißer Hautfarbe getötet wurde. Unser Land muss daran arbeiten, dass so etwas nicht immer wieder passiert.

So!: Und wie?
Whitaker: Es gibt viele Menschen, die sagen: So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen mehr Sympathie füreinander, mehr gegenseitiges Verständnis. Und wir brauchen Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen. Ein Beispiel dafür ist, wie wir mit unserem Justizvollzugssystem künftig umgehen wollen. Denn dass es dort ein Ungleichgewicht gibt, steht ja wohl außer Frage. Vierzig Prozent der Gefängnisinsassen sind schwarz, der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung beträgt aber nur gut dreizehn Prozent. Solche Problemfelder gibt es eine ganze Reihe.

So!: Und nicht erst seit gestern.
Whitaker: Gerade darum geht es doch: Die Menschen, die in unserem Land Verantwortung tragen, müssen das endlich anpacken. Wir alle müssen das anpacken. Nur so kann sich das Land weiterentwickeln, nur so können wir einen weiteren Schritt zugehen auf das Versprechen, für das Amerika steht. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück, so sind unsere originären Ziele formuliert. Solange es Menschen in unserem Land gibt, denen es verwehrt wird, dieses Versprechen einzulösen, solange sind wir noch nicht fertig damit, dieses Land zu formen.

So!: Dieses Thema beschäftigt Sie auch bei Ihrer eigenen Rollen-Auswahl.
Whitaker: Ja. Ungerechtigkeit, die ungleiche Behandlung von Menschen verschiedener Hautfarbe, so etwas interessiert mich, wenn ich meine Figuren aussuche. Es ist mir wichtig, weil mir Menschlichkeit an sich sehr wichtig ist. Wobei es mir nicht nur um schwarz oder weiß geht. Ungerechtigkeit kann in jeder Stadt existieren, die Menschen verschiedener Kulturen und verschiedener sozialer Gruppen beherbergt. Wir könnten genauso gut über Algerier in Frankreich reden.

So!: Wir haben nun über Ihre Arbeit als Schauspieler und als Produzent gesprochen. Sie führen aber auch gelegentlich selbst Regie. Welchen Trick haben Sie während der Dreharbeiten von “96 Hours – Taken 3” bei Olivier Megaton abgeschaut, den Sie bei einem Ihrer nächsten Filme verwenden möchten.
Whitaker: Ich versuche, meine Aufgaben nicht zu vermischen. Ich bin in diesem Film Schauspieler. Aber als Regisseur kann ich natürlich nicht anders, als Olivier Megatons Stil zu beobachten. Denn der ist einzigartig: Die Art, wie er die Kamera bedient – denn er dreht ja vieles selbst – , da hat er eine besondere Gabe. Sie sucht immerzu – und deckt dabei so viele Bilder ab. Es ist wirklich eine eigene, unnachahmliche Handschrift. Richtig cool. Als Regie-Kollege macht mich das natürlich nachdenklich.

So!: Was würden Sie gerne adaptieren?
Whitaker: Diese Fahrten mit einer in der Hand gehaltenen Kamera auf einem provisorischen Skateboard-Gestell oder einem umfunktionierten Einkaufswagen. Er jagt hinter den Figuren her oder lässt sich von ihnen wegzerren, während er sie von vorne filmt. Ganz nah am Boden, von oben, von unten, von der Seite, schnell und übergangslos. Bei dieser Technik muss es ganz schön aufregend sein, im Schneideraum aus all dem ungewöhnlichen Material die endgültige Szene zu basteln und die Spannung durch den Schnitt noch weiter zu erhöhen. Wenn ich mal eine Geschichte in der Art drehe, würde auch ich gerne damit ein bisschen herumspielen.

So!: Sind Sie gut mit ihm ausgekommen?
Whitaker: Ich habe die Arbeit mit Olivier Megaton sehr genossen. Er ist geistig sehr offen. Am Set ist alles überflutet mit seiner positiven Energie. Er steckt ganz tief in dem Projekt, er ist ja – wie gesagt – nicht nur der Regisseur der Szenen, sondern auch der Mann hinter der Kamera. Er ist also viel näher dran. Ich habe auch das Gefühl, dass er noch während der Arbeit immerzu auf der Suche ist. Er will diesen kleinen, winzigen, besonderen Moment aufspüren, der einer Szene emotionale Farbe gibt. Er schafft diese schöne Kombination aus Leidenschaft, Energie und technischem Sachverstand einerseits und der Sensibilität, den emotionalen Kern einer Szene zu finden, andererseits.

So!: Megaton besteht ja darauf, nicht digital, sondern auf 35-Millimeter-Film zu drehen.
Whitaker: Ich mache das in der Regel nicht. Digital ist inzwischen sehr nahe dran an der Qualität von analogem Filmmaterial. Und gerade, wenn man ein kleineres Budget hat, kann man sich den Luxus nicht leisten, längere Einstellungen immer wieder auf 35-Millimeter-Film zu drehen. Da kann man digital schon etwas entspannter herangehen. Selbst Kameraleute, von denen man nie geglaubt hätte, dass sie irgendwann mal digital drehen würden, sind inzwischen umgestiegen. Genies der alten Schule, die sich mit der neuen Technik absolut wohlfühlen. Aber es gibt eben auch Puristen – und Olivier Megaton ist offenbar einer von ihnen.

Interview: Andrea Herdegen

Kurz & knapp

Forest Whitaker, 1961 im texanischen Longview geboren, ist in Los Angeles aufgewachsen, hat Musik studiert und sich dann der Schauspielerei zugewandt. 1982 war er zum ersten Mal im Kino zu sehen, aufmerksam wurde ein größeres Publikum auf ihn vor allem durch seine Rolle als Fahrer Garlick in “Good Morning, Vietnam” mit Robin Williams aus dem Jahr 1987. Im Jahr darauf hatte Whitaker seine erste Hauptrolle in Clint Eastwoods “Bird”, in dem er den Saxofonisten Charlie Parker spielte. Mittlerweile hat Whitaker in rund achtzig Kinofilmen unterschiedlichster Genres mitgewirkt. Für seine Rolle als Idi Amin in “Der letzte König von Schottland” erhielt er 2007 den Oscar und den Golden Globe. Derzeit ist er an der Seite von Liam Neeson im Action-Thriller “96 Hours – Taken 3” zu sehen. Auch als Regisseur und Produzent ist Whitaker erfolgreich. Forest Whitaker ist verheiratet und hat vier Kinder. <%IMG id="3635076" title="64. Berlinale - "Two Men in Town" - Fototermin" target="_blank">