Fichtelgebirge Legenden kicken für Antonia

Viele ehemalige Fußball-Profis, unter anderem vom 1. FCN, spielen am 26. Juni 2021 in Weißenstadt für ein elfjähriges Mädchen. Die Kleine leidet an einem seltenen Gen-Defekt und ist auf Hilfe angewiesen.

 
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Weißenstadt - Antonia verfolgt im Rollstuhl mit wachen Augen, was da im Wohnzimmer in Meierhof bei Weißenstadt so vor sich geht. Zumindest scheint es so. Denn eigentlich kann das Mädchen weder lachen, weinen, sprechen, laufen, stehen, essen noch trinken. Ein Kind ohne Emotionen. Die Elfjährige leidet an CDKL5, einer seltenen genetischen Erkrankung. Das hat den früheren Profi-Kicker des 1. FC Nürnberg, Jörg Dittwar, ebenso berührt wie andere Legenden, die einstmals auf dem grünen Rasen für Furore sorgten. Sie werden am 26. Juni kommenden Jahres mit dem Benefiz-Fußballspiel "Kicken, um Antonia zu helfen" ein großes Fußball-Fest in Weißenstadt steigen lassen, zu dem die Veranstalter weit über tausend Zuschauer erwarten - "so Corona es zulässt". Mit dem Erlös soll ein behindertengerechtes Bad für Antonia eingerichtet werden.

Regionale Legenden und ein Bundestrainer

Unter den regionalen Legenden sind folgende Kicker bereits gesetzt:

Heinz Fuhrmann (SpVgg Weißenstadt, FC Rehau) Heiko Layritz (VFC, 1. FC Kirchenlamitz), Stefan Zissler (SpVgg Weißenstadt), Frank Gesell (SpVgg Weißenstadt), Günther Lenk (SpVgg), Nikolai "Nik" Vates (Kickers Selb, TSV Thiersheim), Rainer Maisel (TSV Bad Berneck), Florian Ondruschka (VER Selb), Stefan Hasselbacher (FC Vorwärts Röslau) und Stefan Samy Rogler (Selb, Kirchenlamitz, Ebnath). Letzterer hat über seinen Lieblingsverein St. Pauli auch ein Trikot mit Unterschriften für die Versteigerung besorgt.

Als Trainer nimmt Robert Popp die Kicker unter seine Fittiche. Co-Trainer ist Steffen Puschmann, als Physio-Therapeut betreut Kevin Schneider die regionalen Legenden.

Jörg Dittwar aus Stadtsteinach lebt heute bei Coburg. Er ist zwischen 1987 und 1994 insgesamt 150 Mal für den Club aufgelaufen. Von 2009 bis 2017 war Dittwar Bundestrainer der Behinderten-Nationalmannschaft und spielte zweimal die WM und die EM.

Ihm oblag ein Inklusions-Grundschul-Projekt in Fürth in Zusammenarbeit mit Greuther Fürth.

Seit 2017 leitet er ein Inklusions-Schulprojekt in Bayern vom Gymnasium bis zum Förderzentrum. Seit 2016 leitet er das Projekt Fußball mit Werkstätten aus Nürnberg beim 1. FC Nürnberg.


Der Ball kam schon 1991 ins Rollen, als die Spielvereinigung Weißenstadt erstmals für einen guten Zweck kickte. Allerdings mit weit weniger Prominenz als der, die im Sommer 2021 in dem Kurort am See erwartet wird. Zu den Legenden, die bereits fest zugesagt haben, zählen neben dem Ex-Abwehrspieler Jörg Dittwar auch Thomas Brunner vom 1. FCN, Fred Klaus (1. FCN und Hamburger SV), Harald Spörl (HSV), Paralympic-Sieger Gerd Schönfelder, Dieter Eckstein (FCN, Eintracht Frankfurt), Bastian Doreth (früher Bayern München, aktuell im Team der Basketball-Bundesliga und Nationalspieler von Medi Bayreuth), Werner Dressel (SV Werder Bremen, FCN) und Christian Springer (1. FC Köln, St. Pauli). Als Team-Arzt haben die Organisatoren Dr. Stefan Pecher verpflichten können. Moderator der Veranstaltung ist Christian Höreth, Tour-Moderator von Boris Becker.

Bei mehreren Benefiz-Spielen hat die Spielvereinigung Weißenstadt, die im kommenden Jahr ihr 100. Jubiläum feiert, schon etliche tausend Euro für gute Zwecke - von der Kinder-Krebshilfe bis hin zu Sternstunden von Bayern 3 - zusammengebracht. "Wir bekommen von Sponsoren Speisen und Getränke, die wir dann an die Zuschauer verkaufen. Der Eintritt zum Benefiz-Spiel soll kostenlos sein. Und dann sammeln wir noch Spenden", erläutert Organisator Wolfgang Heß, wie das Geld für Bedürftige zusammenkommt. "30 Jahre, nachdem wir unser erstes Benefiz-Turnier ausgetragen haben, wollten wir eine einzelne Person unterstützen", erklärt er. "Meine Zwillinge sind genauso alt wie Antonia - und ich bin froh, dass sie gesund sind", unterstreicht Heß, der durch einen Bericht in der Frankenpost auf das Schicksal des Mädchens aufmerksam geworden ist. "Mit dem Benefiz-Spiel wollen wir Geld für ein neues Badezimmer für Antonia generieren und auch die seltene Krankheit bekanntmachen."

Dass die nur wenige kennen, liegt daran, "dass bundesweit - und da sind sogar Schweizer dabei - nur 48 Kinder in unserem Verein registriert sind, die an diesem Gendefekt leiden", erläutert der Vater von Antonia, Alexander Braun. Zudem sei die Krankheit erst 2006 entdeckt worden. Bei Ex-Profikicker Jörg Dittwar - ein alter Freund von Wolfgang Heß - rennen die Organisatoren offene Türen ein, als sie ihn bitten, in Weißenstadt bei einem unvergesslichen Festival dabei zu sein. "Ich trainiere beim 1. FCN auch Behinderte. Und das ist wirklich eine tolle Aufgabe", betont Dittwar und zwinkert Antonia im Rollstuhl zu. Ob sie es wahrnimmt, weiß keiner. Aber für den einstigen Abwehrspieler des Clubs sind es die Gesten, die zählen.

Ebenso wie für andere Profispieler mit großen Namen, die zwar nicht nach Weißenstadt kommen, aber das Turnier mit Unikaten, die sonst keiner hat, unterstützen: "FC-Bayern-Spieler Thomas Müller hat uns ein paar Fußballschuhe mit Signatur zur Verfügung gestellt", freut sich Wolfgang Heß, der für weitere Spenden zur Versteigerung offen ist. "Wir haben auch den Fußball von dieser Saison, der am 31. Oktober im Spiel zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Bayern München (1:2) auf dem Platz rollte, mit Unterschriften bekommen", fügt Mit-Organisator Florian Mäder hinzu. "Naja, da vergessen wir mal die ,Feindschaft’ zwischen den Vereinen", meint Jörg Dittwar schmunzelnd über die Präsente. Auch Trikot-Spenden aus der dritten Liga und viele andere sportliche Unikate bereicherten die Auktion.

Damit die Veranstalter neben der Mammut-Organisation des "Festes, wie es Weißenstadt noch nicht gesehen hat", keine großen Ausgaben haben, "spielen die Legenden natürlich umsonst", klärt Ex-Profi Dittwar auf. Er ist seit 2009 ehrenamtlicher Behinderten-Trainer im Fußball, steht jeden Mittwoch mit seinen Schützlingen auf dem Platz der Clubberer: "Da kriegt man viel mit, was da abgeht." Für ihn sei der Umgang mit Behinderten ganz normal, "man muss ein Gefühl dafür haben, aber kein Mitleid". Selbst Opa von acht Enkeln, weiß er, wie wichtig es ist, dass alle gesund sind.

Die Familie Braun in Meierhof bei Weißenstadt, die er erst im Oktober durch seinen langjährigen Freund Wolfgang Heß kennengelernt hat, liege ihm sehr am Herzen. "Sie nimmt ihr Schicksal an und fragt nicht, warum es ausgerechnet sie getroffen hat, um in Lethargie zu versinken."

Wolfgang Heß ist glücklich darüber, "dass sich schon etliche Sponsoren gemeldet haben, ohne dass wir auf sie zugegangen sind". Früher wäre eine solche Aktion undenkbar oder zumindest nur mit einem riesigen Aufwand möglich gewesen. "Wir hätten Klinken putzen müssen, aber so melden sich die Menschen, weil wir auf Facebook auf das Benefiz-Spiel aufmerksam gemacht haben." Die sozialen Netzwerke seien heute von großem Vorteil.

Dass die Profi-Kicker vor und nach dem Turnier Autogramme geben, ist für Jörg Dittwar Ehrensache. "Wir sind nicht unantastbar", meint er augenzwinkernd. Das einmalige Fußballspiel ist laut Wolfgang Heß eingebettet in ein großes Sommerfest. "Es gibt eines rund um den Fußballplatz, und die Profis sind anschließend ins Kurzentrum Weißenstadt eingeladen, wo ebenfalls ein Sommerfest steigt. Die Legenden-Elf wird dort zum Abendessen erwartet."

Die Organisatoren Wolfgang Heß und Florian Mäder sind schon voller Vorfreude auf den "überragenden Tag für Weißenstadt". Und Antonia werde als Ehrengast natürlich ein Legenden-T-Shirt tragen. Der einzige Knackpunkt sei Corona, "aber das kann uns bestenfalls stören, aber nicht hindern", unterstreicht Heß.

Alexandra Braun hält sich während des euphorischen Gesprächs im Hintergrund, streicht ihrer Tochter über den Kopf. "Das ist Wahnsinn", kommentiert sie schließlich, als sie mitbekommt, was da auf sie und ihre Familie zurollt. Ihr stehen die Tränen in den Augen. Vor Freude. Ehe Jörg Dittwar und die Organisatoren das Haus der Brauns wieder verlassen, macht sich Mutter Alexandra schon wieder bereit, ihrem Mädchen die dicke Spritze mit der Flüssigkeit in die Sonde zu verabreichen. Wie alle zwei Stunden. Tag und Nacht.

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