Ältere Menschen in Wunsiedel Alltag der Senioren wird immer smarter

Im Landkreis Wunsiedel kommunizieren Ärzte zuweilen per Video-Chat mit den Patienten. Foto: /dpa/Marijan Murat

Wunsiedel testet als Modellkommune digitale Lösungen für ältere Bürger. Diese können eine virtuelle Sprechstunde mit ihrem Hausarzt besuchen und einen etwas anderen Lieferservice nutzen.

 
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Wunsiedel - Vielleicht ist das Fichtelgebirge tatsächlich ein wenig das Skandinavien Bayerns. Mit ihren weiten Fichtenwäldern ähneln sich die Regionen im Aussehen. Beide sind nicht gerade dicht besiedelt. Und seit einiger Zeit gleichen sich die Fichtelgebirgler den Nordeuropäern zudem mit ihrer Affinität für Digitales an. Mit dem Smart-Cities-Projekt will der Landkreis Bits und Bytes für alle Lebensbereiche nutzen, wenn dies sinnvoll ist (wir berichteten). Jetzt ist die Stadt Wunsiedel vom Regionalmarketing-Verein Oberfranken Offensiv für ein besonderes Projekt ausgewählt worden: Senioren oder Menschen, die nicht aus dem Haus können, steht ab Herbst ein Lieferservice zur Verfügung, der im besten Fall auch Medikamente nach Hause bringt.

Bei einem Gespräch mit der Frankenpost erläuterten Matthias Fischer von Oberfranken Offensiv, Wunsiedels Bürgermeister Nicolas Lahovnik und die Leiterin des Mehrgenerationenhauses, Heike Syma, das Konzept. Grob gesagt, ist es ein Baustein, der auf die „Gesundheitsversorgung 4.1“ aufsetzt, die seit 2016 im Landkreis Realität ist. Hierbei können Senioren oder Pflegeeinrichtungen ohne Umwege digital den Haus- oder Facharzt kontaktieren oder eine virtuelle Sprechstunde besuchen. Der Lieferservice wird in Wunsiedel als weiterer digitaler Alltagshelfer das Leben der älteren Menschen erleichtern.

„Es gibt immer mehr Senioren, die alleine wohnen, aber weniger mobil sind und häufig auf ärztliche Hilfe angewiesen sind“, verdeutlicht Heike Syma die Herausforderung. Eben deshalb könne das Internet hilfreich sein. So etwa in der Telemedizin. Schon heute sind laut Matthias Fischer 56 Mediziner und 19 Pflegeeinrichtungen oberfrankenweit technisch für die Telemedizin gerüstet, mehrere davon in Wunsiedel.

Das Problem mit dem Datenschutz

Noch hakt die Idee von der digitalen Hilfe allerdings an jenen, für die sie gedacht ist: den Senioren. Das Team des Wunsiedler Mehrgenerationenhauses schult zwar seit Jahren ältere Menschen in Themen wie Computer, Internet und Smartphone. „Es gibt aber noch immer viele ältere Menschen, die die Technik schlicht nicht nutzen wollen und keinen Computer, geschweige denn einen Onlinezugang haben“, sagt Heike Syma. Umfragen unter den digitalen Verweigerern haben ergeben, dass 30 bis 40 Prozent von ihnen es sich anders überlegen würden, wenn sie ein gutes Telemedizin-Angebot nutzen könnten. „Genau das gibt es im Landkreis Wunsiedel. Jetzt wollen wir dieses Gruppe ansprechen und hoffentlich von den Vorteilen überzeugen.“

Doch wie funktioniert eine digitale Sprechstunde? „Eines vorweg: Der virtuelle Raum wird auch in Zukunft den richtigen Besuch beim Arzt nicht ersetzen“, sagt Matthias Fischer von Oberfranken offensiv. Zumindest einmal im Quartal muss der Patient in die Praxis kommen – ganz analog. „Hier erhält er dann vom Arzt die Zugangsberechtigung für die Video-Sprechstunde in Form eines Links, mit dem er sich einloggt.“ Wie Fischer und Heike Syma unisono sagen, kann der Chat unter anderem ein Zweitgespräch ersetzen. „Wenn der Arzt zum Beispiel Blut abgenommen hat, muss der Patient nicht extra einige Tage später vielleicht zwei Stunden im voll besetzten Wartezimmer sitzen, um dann innerhalb von zwei Minuten zu erfahren, dass alle Werte passen.“

Schneller Draht zum Arzt

Auch Pflegeheime im Landkreis wählen immer häufiger den virtuellen Arztkontakt, um auf kurzem Weg Fragen zu klären. „Wenn ein Pfleger zum Beispiel bei einem Bewohner einen Ausschlag feststellt, kann er diesen fotografieren und das Bild dem Arzt schicken. Dieser gibt eine erste Diagnose ab und befragt gegebenenfalls den Bewohner per Video-Chat zusätzlich“, erläutert Fischer. Dies spare Zeit und weite Fahrtwege.

Genau dies treibt Heike Syma um. Wir sind im Landkreis Wunsiedel noch ziemlich gut und flächendeckend mit Hausärzten versorgt. Nicht so gut sieht es bei den Fachärzten aus. Häufig müssen ältere Leute, die nicht mobil sind, daher sehen, wie sie in die größere Stadt zum Experten kommen. Hier ist der Arzt-Patienten-Kontakt via Smartphone oder Computer ungemein hilfreich und erleichtert das Leben.“

Die Corona-Pandemie hat die Telemedizin in den vergangenen Monaten regelrecht befeuert. Wenn Patienten in Quarantäne waren und das Haus nicht verlassen durften, bot sich der Video-Chat geradezu an.

Allerdings, und das ist in der digitalen Welt der Knackpunkt, muss das System absolut sicher vor Missbrauch sein. „Wir haben eine Software entwickelt, die alle Belange des Datenschutzes erfüllt. Die Kassenärztliche Vereinigung (KVB) hat sie zertifiziert“, sagt Fischer. Das grüne Licht der KVB erleichtert den Ärzten auch die Abrechnung der Sprechstunde. Dies war bislang nur mit viel Mühe möglich.

So viele Vorteile die Telemedizin hat, manchmal geht es schlicht darum, drei Semmeln, ein Brot und einen Kasten Wasser ins Haus zu bringen. Dazu vielleicht noch ein Shampoo und Duschgel oder die vom Arzt verschriebenen Medi-kamente. Hier kommt in Wunsie-del das Lieferdienst-Modellprojekt von Oberfranken offensiv ins Spiel. Für Heike Syma ist es das entscheidende Puzzleteil, das bislang ge-fehlt hat.

Schon lange analoger Einkaufsservice

„Wir vom Mehrgenerationenhaus kaufen seit Langem für unsere älteren Bürger ein und bringen ihnen die Waren anschließend mit dem Bür-gerbus nach Hause. Aber das funktioniert bislang rein analog. Die Senioren rufen bei uns an und geben ihren Einkaufszettel durch“, sagt Heike Syma.

Weit besser sei es jedoch, wenn die älteren Bürger zu jeder Tages- und Nachtzeit ihre Wünsche an das Team des Mehrgenerationenhauses übermitteln können. Dies erleichtere die Planungen und Organisation ungemein. Heike Syma hofft nun, dass das im Herbst startende Angebot gut angenommen werde. „Wir wollen unsere älteren Mitbürger ein gutes Leben in Wunsiedel ermöglichen.“

Am kommenden Montag bietet das Wunsiedler Mehrgenerationenhaus den Seniorinnen und Senioren eine Schulung in Telemedizin an. Das ist der Wunsiedler Beitrag zum bundesweiten Aktionstag „Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus. Miteinander – füreinander“.

Oberfranken offensiv hat Wunsiedel übriges als Modellkommune für den digitalen Einkaufsservice unter anderem wegen der vielen bereits vorhandenen Angebote für Senioren ausgewählt.

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