Berufungsprozess Was muss ein Bürgermeister wissen?

Stefan Busch, Bürgermeister Selbitz. Foto: red

Seit Freitag steht der Selbitzer Bürgermeister Stefan Busch wieder vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Veruntreuen und Vorenthalten von Arbeitsentgelt vor.

 
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Um zu verstehen, worum es seit Jahren in Selbitz geht, muss man wissen, dass die beiden Mitarbeiter des Wasserwerks seit eh und je tarifgerecht für ihre Bereitschaftsdienste entlohnt werden. In der Amtszeit von Klaus Adelt (SPD) gab es dazu auch eine Dienstanweisung, wie das zu laufen hat. Sie hing aus. Im Bauhof dagegen hieß es immer sinngemäß: „Seid froh, dass ihr überhaupt etwas bekommt.“ So schilderte es am ersten Tag des Berufungsprozesses der aktuelle Vorarbeiter im Stadtbauhof. Von einer Dienstanweisung wusste kein Mitarbeiter, obwohl es sie seit 2008 gab. Das Gericht zeigte sie.

Seit Freitag steht Bürgermeister Stefan Busch (Parteifreie Wähler) erneut wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt vor Gericht. Zwischen November 2017 und April 2019 hatte die Stadt nämlich nicht nur den Mitarbeitern des Bauhofs zu wenig gezahlt, sondern auch den Sozialkassen: Die Sozialkassen erhielten gut 37.000 Euro zu wenig. An Busch ging ein Strafbefehl in Höhe von 100 Tagessätzen zu 200 Euro; damit wäre vorbestraft gewesen. Stefan Busch legte Einspruch ein. Es kam zur Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft war mit dem folgenden Freispruch des Amtsgerichtes im November 2022 nicht zufrieden. Der Richter sah damals bei Busch lediglich „Schlamperei“ in der Führung seiner Verwaltung, aber keinen Vorsatz.

Dass diese Einschätzung durchaus stimmen könnte, wurde auch am Freitagmorgen deutlich. Auf konkrete Nachfragen, wie mit Hinweisen der Kommunalen Prüfungsaufsicht umgegangen wurde, verwies Busch immer wieder an seinen Hauptamtsleiter und den Kämmerer; die seien schließlich die Fachleute. Er habe sich auf deren Expertise verlassen.

Buschs Anwalt Tobias Liebau sagte, Busch sei der politisch verantwortliche; der Anwalt machte aber keinen Hehl daraus, dass sein Mandant erneut freigesprochen werden müsse. Busch sei „Verwaltungslaie“ und müsse sich auf seine Mitarbeiter verlassen. Busch stellte sich diesmal der Richterin als „gelernte Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb“ vor.

Wenn Bürgermeister sich für Fehler immer gleich strafrechtlich verantworten müssten, so Liebau, werde es in Zukunft schwer, überhaupt noch welche zu finden, die den Job machen wollen. Außerdem habe es immer Fristverlängerungen des Landratsamtes gegeben, wenn Dinge noch nicht abgearbeitet werden konnten, weil die Personaldecke dünn war. Wenn, so Liebau, habe auch die Aufsichtsbehörde versagt.

Die Verwaltung in Selbitz habe umgehend gehandelt, als der Fehler bekannt war, und den zehn Bauhofbeschäftigten das vorenthaltene Geld nachbezahlt, mehr als 10 000 Euro pro Nase. Allerdings gab es anschließend noch eine Zahlung, weil in der Nachzahlung Fehler unterliefen, wie ein Zeuge berichtete. Für Liebau nur Nebensache: „Wir sind nicht in der Landeshauptstadt München, wo eine Verwaltung für jedes Thema einen Spezialisten hat, der sich auf eine Sache fokussieren kann.“ Allein die zügige, wenn auch nicht sehr zügige Aufarbeitung des Fehlers nach dem Hinweis des kommunalen Prüfungsverbandes spräche für Busch und sein Team. Zudem habe die Rentenkasse für die Jahre 2015 bis 2018 nichts beanstandet nach einer Betriebsprüfung. Das Schreiben dazu übergab der Bürgermeister im Gerichtssaal der Richterin.

Nach dem Auftakt am Freitag sind noch zwei weitere Verhandlungstage angesetzt. Doch schon jetzt kristallisiert sich wieder heraus, dass Busch wohl eine Kommune übernommen hat, in der manche Dinge bisweilen wie auf einem Basar verhandelt wurden. Die Frage ist, ob er manches wusste und weitergeführt hat und warum die Aufarbeitung so lange dauerte? Busch war vor seinem Wahlsieg 2014 bereits Stadtrat und Rechnungsprüfer, also doch nicht ganz so fachfremd, wie ihn sein Anwalt gerne darstellt.

Auf die Frage des Staatsanwaltes, wie die Übergabe durch seinen Amtsvorgänger lief, berichtete Busch lediglich von einer Schlüsselübergabe. Dann saß er da im Rathaus, weil den Postboten halt viele kennen.

„Was steht da so an am Anfang?“, will der Staatsanwalt wissen. „Zum Beispiel Bürgermeisterdienstbesprechungen im Landratsamt“, antwortet Busch.

Offenbar lief vieles in Selbitz so weiter, wie es war, weil der Neue zu wenig Wissen hatte und auch kaum Hilfe bekam oder nicht annahm. Auch diesen Vorwurf hört man immer wieder aus Selbitz.

Buschs Argumente ließ die Richterin nicht immer gelten. Als er darauf verwies, von Sozialabgaben noch nie etwas gehört zu haben, weil er seit seiner Ausbildung Beamter sei, kanzelte die Vorsitzende den Bürgermeister ab. Erstens sei das Allgemeinwissen und zweitens Schulstoff. „Sozialkunde, siebte Klasse, oder so.“

Dass es nur um zwei Jahre geht, liegt an der Verjährung. So berichteten zwei Zeugen davon, wie bereits im Jahr 2010 die Bezahlung für die Rufbereitschaft im Winter zur Debatte stand. Damals habe der Vorgänger des aktuellen Vorarbeiters im Bauhof das Thema aufgebracht, dann aber gleich davor gewarnt, man solle doch froh sein, die ausgehandelten Pauschalbeträge überhaupt zu bekommen. Dass damit nicht nur Lohn, sondern auch Sozialleistungen vorenthalten werden, habe niemand gewusst. In den Jahren bis 2017 kam das Thema immer mal wieder auf, wurde vom hartnäckigsten Bauhofmitarbeiter beim damaligen Personalrat – der zwischendurch neben seiner Aufgabe als Kämmerer auch noch Hauptamtsleiter war – angesprochen. Letztlich waren die meisten Mitarbeiter mit den fünf Euro pro Werktag und 30 Euro für jeden Wochenendtag in Bereitschaft zufrieden. „Das war halt so in der adeltschen Zeit“, sagte der Mann, der so wirkt, als könne er den ganzen Wind um den Fall nicht verstehen.

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