Das Ukraine-Tagebuch Geburtstag im Kriegsgebiet

Thomas Simmler Foto: Alexander Wunner

Tage wie diese zeigen Thomas Simmler den ganzen Wahnsinn, den viele Ukrainer irgendwie auszuhalten versuchen. Ein wenig Trost findet der Mainleuser bei einem fröhlichen Moment mit drei Frontsoldaten.

 
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Vor einigen Tagen hatte unsere Tochter Sofia Geburtstag. Sie ist jetzt elf Jahre alt. Sie haben zu Hause gefeiert. Die Nachbarskinder waren da. Es gab Geschenke sowie Sushi und Pizza. Ich habe mit ihr nur telefonieren können – im Gegensatz zum letzten Jahr, als ich noch dort gewesen bin. An so einem Geburtstag wird einem vor Augen gehalten, wie verrückt das alles ist. Wie groß die Tragödie. Dieser Krieg. Jeden Tag. Und jeden Tag die Angst um sie. All die Raketen, die in Marhanez einschlagen, dazu die Gefahr durch das Atomkraftwerk. Ich wünsche mir so sehr, dass sie aus dem Kriegsgebiet weg kommt. Zu mir in den Westen des Landes.

Hier wären sie und ihre Mutter Irina in Sicherheit. Ich habe ein Zimmer für sie reserviert. Sie müssten sich einfach nur in den Zug setzen. Aber Irina möchte nicht. Sie will ihre Eltern nicht alleinlassen, die ganze Familie, das Haus. Ich kann sie verstehen. Aber andererseits: Ist es nicht wichtiger, sich selbst endlich in Sicherheit zu bringen? Ich habe ja auch erst verstanden, was das alles für ein Wahnsinn ist, als ich aus Marhanez weg war. Erst von außen begreift man das so richtig.

Luftalarm ist jetzt überall ganz und gebe. Monatelang habe ich das in Truskawez kaum erlebt. Jetzt geht der Alarm manchmal vier Mal am Tag an. Allerdings sind das landesweite Meldungen. Wenn tatsächlich vor Ort Gefahr besteht, bekommen die Menschen auf ihr Handy ein zusätzliches Signal.

Im Kurpark habe ich jüngst drei Soldaten getroffen. Sie alle haben an der Front gekämpft, einer von ihnen in Bachmut. Die Erzählungen sind schrecklich. Auch der Zustand und die Schicksale. Sie habe alle schlimme Wunden. Einer hatte die Arme auf einem Metallgestell. Seine Mutter wohnt nur 200 Kilometer weg. Er darf aber Truskawez nicht verlassen und sie ist zu alt, um herzukommen. Nach ihrem Fronteinsatz waren sie in der Klinik. Jetzt dürfen sie sich in Truskawez eine Woche erholen. Dann geht es zurück an die Front.

Eine Woche. Man muss sich das vorstellen! Einer, ein noch sehr junger Soldat, hat verraten, dass er gern mit einem Mädchen tanzen würde im Kurpark. Er sei aber zu schüchtern, um zu fragen. Eine Touristin hat ihn ermuntert. Tatsächlich hat er dann ein Mädchen gefunden – und sie haben fröhlich getanzt miteinander. Das war auch sehr berührend.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich fast seit Anfang letzten Jahres in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Kurort Truskawez im Westen des Landes untergekommen.

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