Macron hatte den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Scholz hatte einen Tag später dagegengehalten und versprochen, dass er keine deutschen Soldaten in die Ukraine schicken und die Nato sich nicht am Krieg beteiligen werde. Ende vergangener Woche trafen sich Scholz und Macron mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk in Berlin, um die Wogen zu glätten und ein Zeichen der Einigkeit auszusenden. Der Streitpunkt Bodentruppen wurde einfach ausgeklammert.
Estland wirbt für 0,25-Prozent-Ziel
Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas warb beim EU-Gipfel für ein einheitliches Ziel für Militärhilfen. Wenn jedes Land mindestens 0,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Militärhilfen zur Verfügung stellen würde, könnten die Ukrainer Russland übertrumpfen, sagte sie. Eine Einigung darauf gilt derzeit allerdings als ausgeschlossen.
Nach Zahlen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) müssten Länder wie Frankreich, Italien und Spanien ihre Ausgaben dann extrem steigern, da sie derzeit mit einer Quote von rund 0,07 Prozent deutlich unter der 0,25-Prozent-Marke liegen. Deutschland lag demnach zuletzt bei rund 0,6 Prozent.
Russisches Geld soll indirekt Ukraine aufrüsten
Den Vorschlag zur indirekten Verwendung russischer Gelder für die Ukraine hatten Borrell und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den Regierungen der EU-Staaten am Mittwoch kurz vor dem Gipfel übermittelt. Er sieht konkret vor, dass 90 Prozent der nutzbaren Zinserträge aus der Verwahrung russischer Gelder in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung geleitet werden sollten. Die restlichen 10 Prozent würden dann in den EU-Haushalt fließen und genutzt werden, um die Verteidigungsindustrie in der Ukraine selbst zu stärken.
Nach Kommissionsangaben sind rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren. Das in Brüssel ansässige Finanzinstitut Euroclear hatte zuletzt mitgeteilt, 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinseinnahmen gemacht zu haben. Wann die ersten Gelder für die Ukraine verwendet werden könnten, ist bisher unklar. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer machte deutlich, dass sein Land sich erhofft hätte, dass die Gelder nur in den Wiederaufbau der Ukraine investiert würden. Für neutrale Staaten wie Österreich müsse sichergestellt werden, dass sie sich durch ihre Zustimmung nicht an der Lieferung von Waffen und Munition beteiligten. Aus Sicht der Kommission wird dieses Problem dadurch gelöst, dass nur ein Teil des Geldes für Waffen und Munition ausgegeben werden soll.
Warnungen aus Moskau
EU-Beamte betonen zudem, dass es bei dem Projekt nur um Einnahmen geht, die Euroclear außerplanmäßig wegen der EU-Sanktionen gegen die russische Zentralbank mache. Es ist demnach vorerst keine Enteignung im eigentlichen Sinne geplant.
Als ein Grund dafür gelten rechtliche Bedenken und wahrscheinliche Vergeltungsmaßnahmen. Moskau hatte die EU bereits im vergangenen Jahr davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszieren. Denkbar wäre es beispielsweise, dass dann auch in Russland tätige Unternehmen aus EU-Ländern zwangsenteignet werden. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögenswerte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzplatz verlieren und Vermögen aus der EU abziehen.
Selenskyj forderte die EU in seiner Videoansprache indirekt auf, sich darum nicht zu scheren. Es sei angemessen, sowohl die Gewinne als auch die Vermögenswerte selbst zu nutzen, um den russischen Terror zu stoppen, sagte er. Russland müsse sich der tatsächlichen Kosten des Krieges und der Notwendigkeit eines gerechten Friedens bewusst sein. Der stellvertretende ukrainische Regierungschef Oleksandr Kubrakov hatte die von Russland verursachten Kriegsschäden zuletzt auf 500 Milliarden Euro beziffert und sich dabei auf aktuelle Zahlen der Weltbank, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen berufen.