Starke Rechte befeuert Ausbreitung der Desinformation
Gerade das Erstarken der extremen Rechten in weiten Teilen Europas macht nach Lambertys Ansicht die Gesellschaft empfänglicher für Desinformation. Die Co-Geschäftsführerin von Cemas, das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht, erwartet solche Versuche auch aus dem Ausland wie Russland.
Das Bundesinnenministerium (BMI) sieht auch Deutschland im Fadenkreuz russischer Einflussaktivitäten, die vor allem darauf abzielten, "Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Kompetenz europäischer Institutionen zu untergraben und vorhandene Spaltungspotenziale in der Gesellschaft zu vertiefen", so eine Sprecherin. Aktuell steht die prorussische Seite "Voice of Europe" im Fokus, gegen deren Betreiber die tschechische Regierung Sanktionen verhängte. Das Portal hatte unter anderem Interviews mit den Politikern Maximilian Krah und Petr Bystron verbreitet, die Platz eins und zwei auf der AfD-Liste zur Europawahl einnehmen.
Falschbehauptungen können sich lange im Netz halten
Desinformationskampagnen sind dabei alles andere als Schnellschüsse. Sie "bereiten in der Regel über längere Zeiträume hinweg einen Nährboden", erklärt Expertin Berger - und veranschaulicht das: Bevor es zum Anzweifeln von Wahlergebnissen komme, würden gesellschaftlich kontroverse Themen wie Klimakrise, Krieg oder Genderidentitäten über Extrempositionen emotionalisiert.
So ist zum Beispiel seit Jahren in sozialen Medien die krude Falschbehauptung nicht tot zubekommen, die Grünen planten ein generelles Verbot von Hunden, Katzen und anderen Haustieren, um das Klima zu schützen. Dieser Fake waberte bereits vor der letzten Bundestagswahl 2021 durch die dunklen Echo-Räume.
Besorgniserregend ist, dass viele anfällig für Manipulationen sind. Nach einer Erhebung der Initiative D21, eines Netzwerks für die digitale Gesellschaft, kann fast ein Drittel der Befragten mit dem Begriff Desinformation wenig anfangen - oder kennt ihn gar nicht. "Dann werden Wissenslücken mit eigenen Haltungen und Ideologien gefüllt", erklärt Lamberty.
Kandidaten streuen teils selbst Falschnachrichten
Beispiele wie der Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder von Donald Trump in den USA zeigen, dass das Vertrauen in demokratische Prozesse besonders dann geschwächt wird, wenn die Kandidaten selbst Misstrauen säen. Dass Trumps Lügen über vermeintliche Wahlfälschungen konkrete Folgen haben, zeigt der gewalttätige Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Für einen solchen Schaden hat Desinformation hierzulande bislang nicht gesorgt. Dennoch geht Lamberty davon aus, dass solche Erzählungen in einzelnen Milieus "ihren Beitrag zur Radikalisierung leisten".
So haben bei vergangenen Wahlen Verschwörungsideologen und Rechtsradikale versucht, Behauptungen zu einem weitreichenden Wahlbetrug zu verbreiten - teils auch mithilfe von AfD-Politikern. Geraunt wird viel: Briefwahlunterlagen würden ungefragt an Wahlberechtigte verschickt; Wahlzettel gingen auf dem Postweg vorsätzlich verloren; in einer Ecke gelochte Wahlzettel seien ungültig. Alles gelogen. Doch die Botschaft dahinter an die Anhänger: Die Wahlen in Deutschland sind nicht vertrauenswürdig.
So kamen etwa bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai 2023 wieder einmal an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe der Manipulation durch Briefwahl auf - vor allem, weil sich der SPD-Kandidat wegen der postalisch übermittelten Stimmen gegen den AfD-Konkurrenten durchsetzte. Letzterer hatte in den Wahllokalen knapp die Nase vorn. Die Wahrheit: Dem Kreiswahlleiter wurde bei der Abstimmung keine einzige Unregelmäßigkeit angezeigt.
Dass eine solche Einflussnahme unsere Demokratie in ihren Grundfesten ins Wanken bringt, verneint Expertin Berger. Die Zersetzung unserer politischen Ordnung sei aber "kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet", sagt Lamberty. "Propaganda wirkt oft eher langfristig, schleichend - und gerade das macht es so gefährlich."
Nach Recherchen des Portals "t-online" will die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich und Polen "ein Frühwarn- und Reaktionssystem" einrichten, das einen Blick auf Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland hat. Besonders "in Zeiten, in denen ausländische Akteure versuchen, die Grundwerte der liberalen Demokratien Europas zu unterminieren", sei der europäische Zusammenhalt wichtig, zitiert "t-online" das Auswärtige Amt.