Gruppe für Abhängige Hoffnung für hoffnungslose Fälle

Alkohol, aber auch illegale Drogen bereiten Süchtigen viele Probleme – und das ein Leben lang. Selbsthilfegruppen helfen dabei, die Betroffenen dazu zu motivieren, clean zu werden und zu bleiben. Foto: dpa/Alexander Heinl

Eine neue Selbsthilfegruppe in Hof, die Narcotics Anonymous, will mit einem besonderen Ansatz genesende Drogenabhängige unterstützen. Ein Betroffener erzählt, warum ihm diese Gruppe hilft.

 
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Den ersten Rausch hatte Walter mit 14 Jahren. In der Schule lief es nicht besonders gut, also trank er mit seinen Kumpels Bier und rauchte Haschisch, um die Sorgen zu vergessen. „Ich hatte keine Chance, den Punkt zu merken, an dem ich in die Sucht abglitt,“ sagt der 67-Jährige, der seinen vollen Namen nicht nennen will. Er wurde Apotheker und eröffnete sich mit dieser Berufswahl eine Welt voller Suchtmittel. „Das war ein Riesenproblem, ich hatte immer Drogen um mich herum.“ Irgendwann merkte er, dass er ohne Drogen nicht mehr funktionierte. „Ich bin polytox, Schwerpunkt Opiate.“ Polytox ist jemand, der alles nimmt, was berauscht und betäubt. „Ich war Jahrzehnte nur ‚drauf’.“

In der ersten Phase der Krankheit glaubte Walter, er würde es alleine packen, von den Drogen loszukommen. Irgendwann kam aber die Erkenntnis, dass das nicht funktioniert: „Ich hatte Angst zu sterben und machte einen Entzug in einer Klinik.“ Es folgten Aufenthalte in 24 Kliniken, unzählige Gespräche in Motivations- und Selbsthilfegruppen. Und immer wieder Rückfälle. Aktuell ist er seit 130 Tagen clean und engagiert sich zusammen mit der Polizei in der Drogenprävention, hält Vorträge an Schulen und leitet in Bayreuth die Selbsthilfegruppe Narcotics Anonymous (NA). Jetzt soll auf Betreiben der Diakonie Hochfranken auch in Hof eine NA-Gruppe entstehen, am kommenden Mittwoch ist das erste Treffen.

Über die Gruppe

NA ist eine Organisation von genesenden Drogenabhängigen, die in den 1950er-Jahren in den USA gegründet wurde und heute weltweit aktiv ist. Sie leistet Selbsthilfe bei Problemen mit illegalen Drogen, Alkohol und Medikamenten und stützt sich auf das sogenannte Zwölf-Schritte-Programm, das auf dem Konzept der Anonymen Alkoholiker beruht. „Das ist ein spirituelles Genesungsprogramm. Es gründet auf Freiheit und Selbstbestimmtheit“, erklärt Walter. Die Grundsätze der Gemeinschaft sind in zwölf Sentenzen zusammengefasst, mit deren Hilfe die Süchtigen ihr Leben aufräumen und neu ausrichten können. „Denn in der Sucht werden alle moralischen Prinzipien über den Haufen geworfen. Es zählt nur der nächste Kick.“ Die zwölf Schritte sollen den Süchtigen anleiten, das Leben neu auszurichten.

Kritiker weisen auf den religiösen Überbau des Programms hin. Tatsächlich kommt in den Grundsätzen oft das Wort „Gott“ vor, was Walter selbst anfangs missfiel. Das Programm definiert sich aber als überkonfessionell. Mit „Gott“ sei eine Macht gemeint, erklärt Walter, die höher sei als die Sucht und als man selbst. Wie diese Macht interpretiert wird – ob als Person, als Natur oder als Selbsterhaltungstrieb, ist jedem Mitglied selbst überlassen. Es geht auch um Wiedergutmachung bei Menschen, denen man Schaden zugefügt hat.

Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu Narcotics Anonymous ist das Bestreben, mit dem Drogennehmen aufzuhören, sagt Walter. „Hauptsache, man kommt immer wieder und gibt nicht auf. Das bringt viele Leute weiter und gibt hoffnungslosen Fällen Hoffnung.“ Das Genesungstempo sei dabei individuell. Er selbst gibt sich keinen Illusionen hin: „Die Krankheit ist lebenslänglich.“ Wenn man eine Sucht entwickelt hat, stellt sich der Organismus für immer darauf ein.

Die Mitgliedschaft ist offen für alle Süchtigen, die Teilnahme ist anonym. So wird gewährleistet, dass niemand befürchten muss, wegen der Teilnahme an Meetings wegen des Konsums illegaler Drogen strafrechtlich belangt zu werden.

Sucht belastet das Umfeld

Die Sucht und die Probleme haben Walters Umfeld belastet. „Meine Familie war sozial am Ende, meine Frau war ein Wrack und sie war kurz davor, mich zu verlassen.“ Auch die Kinder hätten unter den Streitereien der Eltern und der Abwesenheit des Vaters gelitten, der dauernd in Kliniken behandelt werden musste. Wer erst einmal auf die schiefe Bahn geraten ist, kommt schwer wieder aus dem Teufelskreis zwischen Drogenrausch und Entzugserscheinungen heraus. Walter hofft dennoch, dass er anderen Betroffenen helfen kann, indem er die Botschaft der Narcotics Anonymous auch in Hof weitergibt.

Der Bedarf ist da

„Die neue Selbsthilfegruppe schließt eine Versorgungslücke“, erläutert Christiane Rothemund von der Suchtberatung der Diakonie Hochfranken. Die Zahl der Klienten sei seit Jahren gleichbleibend, das seien mehrere Hundert Menschen – Menschen, die wegen legaler oder illegaler Drogen Probleme haben, aber auch Menschen, die von stoffunabhängiger Sucht betroffen sind, etwa von Essstörungen. Zwei Drittel von ihnen seien Frauen, ein Drittel Männer. „Die Frauen tun sich schwerer, Hilfe zu holen. Dabei ist es wichtig, so früh wie möglich Unterstützung zu bekommen“, erläutert Rothemund. Die meisten Klienten kommen mit einer Alkoholproblematik, junge Leute sind eher von Cannabis oder Crystal abhängig. „Wichtig ist uns die Entstigmatisierung des Themas“, sagt Rothemund.

Die Ursachen sind vielfältig

Woran merkt man aber, dass man süchtig ist? Dafür gibt es mehrere Kriterien: Der Betroffene verliert die Kontrolle über die Menge des Konsums, er erleidet soziale Folgeschäden wie Ärger in der Familie oder Führerscheinverlust. Der Süchtige entwickelt eine Toleranz – das heißt, er braucht immer mehr vom gleichen Suchtmittel, um die gleiche Wirkung zu erzielen, und er bekommt Entzugserscheinungen.

In Gesprächen wird individuell den Ursachen auf den Grund gegangen. Oft sind es Schicksalsschläge oder ausweglose Situationen. Aber auch die Herausforderungen der Leistungsgesellschaft lassen viele Menschen zu Drogen greifen. Zusammen mit dem Berater wird die Funktion des Suchtmittels ergründet: Wird die Droge konsumiert, um Stress abzubauen? Dann können zum Beispiel Verhaltensänderungen im Alltag helfen, den Stress anders zu bewältigen: etwa mit einem Hobby, Yoga oder Spaziergängen. Die Suchtberatung vermittelt aber auch an stationäre Therapie in Kliniken.

Selbsthilfegruppen sind im Netzwerk des Suchthilfesystems eine wichtige Stütze. „Die Selbsthilfegruppen sind ein stabilisierender Faktor, ein Anker. Die Menschen wollen es schaffen, bis zum nächsten Treffen clean zu bleiben“, sagt Rothemund. Zwar gebe es in Hof bereits Selbsthilfegruppen für Suchtprobleme wie den Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe oder Almed. Diese beschäftigten sich aber hauptsächlich mit Alkoholproblematiken. In der NA sind dagegen auch illegale Drogen Thema. „Es braucht ein Netzwerk und individuelle Beratungsprozesse, um eine Sucht zu bewältigen.“

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