Hofer Filmtage Hauptsache Film

Ralf Sziegoleit und
In „Zeros and Ones“ in einer Doppelrolle zu sehen: Hollywood-Star Ethan Hawke. Foto: /Internationale Hofer Filmtage/PR

Wer die Wahl hat – der kann streamen oder in ein Hofer Kino gehen. Unsere Experten haben für Sie eine Auswahl getroffen.

 
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Hof - Streamingangebote nutzen oder doch lieber direkt im Kino schauen? Die Hofer Filmtage bieten auch in diesem Jahr als Hybrid-Festival mehrere Möglichkeiten der Teilhabe. Wir empfehlen Filme, die sich – so oder so – lohnen.

„Prinzessin“

(Schweiz/Ukraine)

Schockierend. Erschütternd. Zeitweise kaum aushaltbar. Im Kino war es mucksmäuschenstill. Der erste Teil des Films „Prinzessin“ von Peter Luisi geht unter die Haut. Der stadtbekannte Säufer Josef und seine vierjährige Nichte Nina sind ein unzertrennliches Team. Sie spielen im verwilderten Garten von Josefs Elternhaus, in das seine Schwester kürzlich einzog. Doch Josef kann das Trinken nicht lassen – und so kommt es, wie es kommen muss: Als Josef das Mädchen aus Versehen verletzt, darf er es nicht mehr wiedersehen. Bis zum frühen Krebstot seiner Schwester. Doch beim Begräbnis ihrer Mutter ist Nina nicht anwesend. Sie sei, wie Josef bestürzt von Verwandten erfährt, selbst in die Drogenszene abgerutscht, säße in einem Knast in der Ukraine. Ohne zu zögern macht sich Josef auf den Weg ... Auch wenn der Film im zweiten Teil nicht mehr die unglaubliche Dichte verbreitet wie zu Beginn: Der Streifen berührt einen jeden zur Empathie fähigen Menschen – nicht zuletzt den großartigen darstellerischen Leistungen der Hauptpersonen geschuldet.

„Zeros and Ones“

(USA/Deutschland/England/Italien) Terroristen wollen angeblich den Vatikan in die Luft sprengen. Elite-Offizier J. Jericho hangelt sich von Informant zu Informant, hört jede Menge (Fake-)News. Und fragt sich, was sein im Knast sitzender radikaler Bruder mit dem Terroranschlag zu tun hat (in einer Doppelrolle: Ethan Hawke). Kult-Regisseur Abel Ferrara („Bad Lieutenant“, „Body Snatchers – Angriff der Körperfresser“) zieht hier alle Register, um den alltäglichen erdumspannenden Wahnsinn mittels Covid-Lockdown nochmals zu komprimieren. Das gelingt: Ein dystopisches Panoptikum über den chaotischen Zustand unserer Welt.

„Another Coin For The Merry-Go-

Round“ (Österreich)

Wenn im Vorspann eines Spielfilms steht „Dedicated to Daniel Johnston“, dann gibt’s schon mal Vorschusslorbeeren. Doch nicht nur der durchgeknallte US-Singer/Songwriter, dessen Shirts ein gewisser Curt Cobain mit Vorliebe trug, kommt in diesem Film zu Ehren, sondern auch die Washingtoner Punkband Fugazi und vor allem die österreichische Kultband Bulbul. Anteil daran besitzen dürfte nicht zuletzt der Wiener Sänger Voodoo Jürgens, der in dem Streifen eine tragende Rolle inne hat. Die dokumentarfilmartige Handlung ist schnell erzählt: Herumlungernde Endzwanziger haben absolut keinen Plan, was sie eigentlich vom Leben erwarten. Und doch dämmert ihnen zwischen eigener Punk-Band und Skateboarding, dass das nicht alles (gewesen) sein kann. Und, schlimmer noch: dass die Eltern nicht mehr bereit sind, sie zu sponsern. Ein modernes Sittengemälde.

„Sugarlove“ (Deutschland)

Der Soziologieprofessor Patrick (Fritz Karl) und die Psychotherapeutin Julia (Barbara Auer) sind seit 32 Jahren ein eigentlich glückliches Paar. Leider nicht beim Sex: Die Frau braucht ihn nicht mehr, die Lust ist weg. Das Paar vereinbart daher, dass Patrick sich durch externe Dienstleitung versorgt — ohne Gefühle. Durch Talent und Raffinesse des 24-jährigen Sugarbabys Claire (Cosima Henman) mit der „outgesourcten Muschi“ gerät der „faire Deal“ jedoch vorhersehbar rasch ins Wanken. „Es entgleitet uns“, erkennt Julia, die Grund zur Eifersucht hat und den Ehemann auffordert, Schluss zu machen. Das ist, wie man sich denken kann, alles andere als einfach. Erfreulicherweise verwandelt Regisseurin Isabel Kleefeld, deren Hof-Debüt schon 16 Jahre zurückliegt, die Auflösung des Sex-Experiments in einen Thriller nach dem Muster von „Verhängnisvolle Affäre“ oder „Weiblich, ledig, jung sucht“. Auch eine Tochter und ein Enkelkind sind in die spannende Geschichte verwickelt. Dass es einen Toten gibt, hat der Zuschauer schon am Anfang erfahren. Doch um wen es sich handelt, bleibt offen bis zuletzt.

„Passion simple“ (Frankreich/Belgien)

Vielleicht ist dies das Glanzstück des Festivals. Ganz gewiss ist es ein tief berührender Film über Glück und Unglück leidenschaftlicher Liebe. Er erzählt die wahre Geschichte einer „amour fou“, einer Liebe wider alle Vernunft. Die jetzt 81-jährige französische Schriftstellerin Annie Ernaux, die in diesem Jahr als Kandidatin für den Nobelpreis galt, hat sie erlebt und aufgeschrieben, erst in einem Tagebuch, dann in einem kleinen Roman. Mit 48 Jahren war sie einem deutlich jüngeren verheirateten Russen verfallen, der im Pariser Konsulat seines Landes für die Sicherheit zuständig war. Ein Jahr lang tat sie „nichts anderes, als auf ihn zu warten“, sie unterwarf sich ihm und war völlig abgeschnitten von der Realität. „Das Einzige, was ich will, ist ihn sehen“, sagt sie, und das Schreckliche ist, dass sie nie weiß, ob es nicht das letzte Mal ist. „Sich verlieren“ heißt Ernaux‘ Tagebuch über die Obsession. Ihr Alter Ego in dem von Danielle Arbid inszenierten Film verliert sich so sehr, dass sie, die Literaturdozentin und allein erziehende Mutter eines Sohnes, krank wird und alle ihre Pflichten vergisst. Hélène heißt sie hier, ist um die dreißig und wird von Laetitia Dosch gespielt, die Handlung, die heftige Liebesszenen nicht scheut, wurde näher ins Heute verlegt. Songs von Dylan („I want you so bad“) und Cohen prägen die Atmosphäre des intimen, auch er-schreckenden Dramas, das die Schriftstellerin letztlich erkennen lässt, „wozu man fähig ist: zu allem“.

„Sargnagel“ — der Film (Österreich )

Frauen seien Experten für Abgründe, teilt die Hauptfigur zu Beginn einer Gruppe junger weiblicher Menschen mit. Als deren Opfer sind sie’s allerdings nur: Sie würden, sagte Stefanie Sargnagel, verfolgt, bespritzt und wer weiß was noch alles. Dass in ihrem eigenen Haushalt „alles verstopft“ ist, nennt die österreichische Schriftstellerin, Cartoonistin und Social-Media-Aktivistin eine Metapher für ihr Leben. Doch seit sie 2016 den Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb gewann, kommt sie groß raus. Jetzt spielt sie sich selbst in einer Produktion, die ein Spielfilm werden sollte, doch ein Pseudo-Dokumentarfilm geworden ist, sozusagen das „Making of“ einer Lebensge-schichte. Wie alles, was die als Stefanie Sprengnagel geborene Wienerin ihrem Publikum bietet, ist es schräg, lustig, gesellschaftskritisch und aggressiv. „Sie passt nicht daher“, lässt das Regie-Duo Sabine Hiemler und Gerhard Ertl einen ihre Nachbarn über sie sagen. Jan Böhmermann hingegen meint, Sargnagel sei für Österreich lebensnotwendig. Im Film werden Passagen aus ihren Büchern zitiert und Szenen aus ihrem Leben gespielt. Der Blick in Abgründe ist tief, derb und sicherlich nicht jedermanns Sache.

„Oranges sanguines“ (Frankreich)

In seinem zweiten Spielfilm versucht Jean-Christophe Meurisse mit satirischen Mitteln ein kritisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen. Das Resultat kommt als französisches Pendant zu „Sargnagel“ daher. Drei seltsame Geschichten geben den „Blutorangen“ den Saft: Für Laurence und Olivier, ein verschuldetes Rentnerpaar, wird ein Rock’n‘Roll-Wettbewerb zum Tanz in den Tod von eigener Hand. Ein des Steuerbetrugs schuldiger Minister fällt abseits seines gefakten Eheidylls einem Sexmonster zum Opfer. Und ebenjener Bösewicht hat mit einer Attacke auf ein 16-jähriges Unschuldslamm Pech: Missbräuchlich genutzte Körperteile werden in einer Mikrowelle unschädlich gemacht. „Es ist ekelhaft“, heißt es zutreffend einmal. Aber komisch ist es oft auch – und leider zuweilen geschwätzig. Am Ende des grellen Abenteuerfilms über die vermeintlich gute Gesellschaft wird überzeugend dargelegt, dass es nicht immer sinnvoll ist, die reine Wahrheit zu sa-gen. Und als Schlusspointe büßt ein gehässiger Taxifahrer mit seinem Blut.

„Im Wald“ (Deutschland)

Horror hat Tradition beim Hofer Festival, wo 1984 „Nightmare on Elm Street“ seine Weltpremiere erlebte. Jetzt kehrt der Grusel zurück. Er spielt „im Wald“ und in der Nacht. Mats (Tobias Kay), dessen Ehe gescheitert ist, will seiner 16-jährigen Tochter Mia (Jolie Joan) seine neue Freundin vorstellen. Die Autofahrt zu ihr führt durch mystische Wälder, um die sich Sagen von Hexen und ihren Opfern ranken. Bald wird es unheimlich, das Benzin läuft aus und das Handy versagt. Was zunächst nur „irgendwie komisch“ wirkt, ist rasch „nicht mehr normal“, und dann geht es um Leben und Tod. Das Zweipersonenstück weitet sich zum Drama mit sechs Figuren aus, unter denen ein an den schwarzen Mann aus „Halloween“ erinnernder Maskenträger die Hauptrolle spielt. Die Rätsel der Geschichte, die sich der Regisseur und Drehbuchautor Manuel Weiss nicht zufällig während der Corona-Quarantäne ausgedacht hat, werden nach und nach erklärbar. Aber auch als Mats und Mia ebenso wie der Zuschauer alles zu wissen glauben, hört der Schrecken nicht auf – wie das Tradition ist bei guten Filmen aus diesem Genre. „Im Wald“ ist einer davon.

Einige der hier vorgestellten Filme sind noch bis Sonntag in den Sälen der Kinos „Scala“ und „Central“ in Hof zu erleben. Alle Filme können über das Streamingportal der Hofer Filmtage bis einschließlich 7. November, angeschaut werden. Weitere Infos: www.hofer-filmtage.com

Sonderseite 55. Internationale Hofer Filmtage
Bis Sonntag gibt es rund 120 Filme, davon 69 Lang- und 51 Kurzfilme. Es werden prominente Filmschaffende und Schauspieler in Hof erwartet. Unsere Berichterstattung finden Sie auf der Sonderseite zur 55. Ausgabe der Hofer Filmtage

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