Wie es nun in der Schweiz weiter geht, ist offen. Die Alpenrepublik muss dem Urteil unbedingt Folge leisten, bei der Umsetzung gibt es aber Entscheidungsspielraum. Denkbar ist, dass die Klägerinnen erneut in ihrem Heimatland vor Gericht ziehen, nachdem der EGMR auch entschieden hat, dass ihr Recht auf ein faires Verfahren in der Schweiz verletzt wurde. In jedem Fall muss die Schweiz den Klimaseniorinnen ihre Kosten in Höhe von 80.000 Euro erstatten. Schadenersatz für die erlittenen Menschenrechtsverletzungen hatten die Frauen nicht gefordert.
Andere Klagen weniger erfolgreich: "Ein Sieg für uns alle"
Zwei andere Klimaklagen aus Frankreich und Portugal wurden vom Gerichtshof abgewiesen. Ein ehemaliger französischer Bürgermeister hatte geklagt, weil sein Heimatort am Ärmelkanal vom steigenden Meeresspiegel bedroht sei. Die Richterinnen und Richter erklärten seine Klage jedoch für unzulässig. Er wohne nicht mehr in dem Küstenort. Daher fehle ihm die sogenannte Opfereigenschaft, weil er nicht direkt oder indirekt von einer potenziellen Menschenrechtsverletzung betroffen sei.
Besonderes Augenmerk lag auch auf der Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen. Sie hatten sich nach den verheerenden Waldbränden in ihrer Heimat 2017 entschlossen, nicht nur ihr Heimatland, sondern mehr als 30 andere europäische Staaten zu verklagen - darunter Deutschland. Auch hier entschieden die Richter aber auf Unzulässigkeit: Die Teenager hätten sich zuerst in Portugal durch die Instanzen klagen müssen, bevor sie den Gerichtshof anrufen. Außerdem gebe es in der Menschenrechtskonvention keine Grundlage dafür, dass Staaten außerhalb ihres Hoheitsgebiets derart weitreichend haftbar gemacht werden können.
Die 19-jährige Klägerin Sofia Oliveira sagte, sie sei "natürlich enttäuscht". "Aber das Wichtigste ist, dass der Gerichtshof im Fall der Schweizer Frauen gesagt hat, dass die Regierungen ihre Emissionen stärker reduzieren müssen, um die Menschenrechte zu schützen. Ihr Sieg ist also auch ein Sieg für uns und ein Sieg für alle!"
Eine der größten Verfahren die Straßburg je gesehen hat
Straßburg hat wohl selten ein so großes Interesse an einem Verfahren gesehen. Welch große Bedeutung die Richter den Prozessen zuwiesen, zeigte sich bereits daran, dass alle drei Verfahren vor der Großen Kammer mit einer besonderen Priorität entschieden wurden. Schon am Morgen gab es Solidaritätsbekundungen vor dem Gebäude von Jung und Alt. Zur Urteilsverkündung reisten mehrere Hundert Menschen an, auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg war vor Ort.