Ein furchtbares Unglück - und doch reicht es nicht heran an die Schrecken auf der sinkenden "Titanic"; nicht an das Grauen auf dem Floß der "Medusa". 1816 lief ein französischer Segler dieses Namens vor Nordwestafrika auf Grund; vornehme Passagiere und die meisten Offiziere retteten sich in die Beiboote - und verbannten 149 arme Schlucker auf ein rasch und grob gezimmertes Floß. "Wir standen darauf so dicht", erinnerte sich der Schiffsarzt später, "dass zwischen uns nicht ein Schritt Platz mehr blieb." Während dreizehn grauenvoller Tage trieben die Alleingelassenen auf den Wellen, ohne Trinkwasser und Nahrung. Verzweifelt suchten manche den Freitod im Wasser; die Starken warfen Schwächere ins Meer. Schließlich schlachteten sich die Menschen gegenseitig ab und verzehrten das Fleisch der Toten. Dann sichtete ein Schiff das Floß: Nur fünfzehn Überlebende konnte die Mannschaft retten. Den schaurigen Stoff gestaltete der Komponist Hans-Werner Henze 1968 als Oratorium, der Österreicher Franz Stefan Griebl alias Franzobel als Roman, der heuer erschien. Beide, und noch andere Bearbeiter, bezogen sich nicht zuletzt auf das weltberühmte, 35 Quadratmeter große Bild, auf dem Théodore Géricault 1819 die wenigen Davongekommenen in vermeintlich heroischen Posen darstellte - in Wahrheit sind sie kraftlos herabgesunken zu nackten Kreaturen abseits der Zivilisation. Das Kino erzählt demnächst nicht von der Todesfahrt, sondern über die Entstehung des Gemäldes: In Peter Webbers "The Meduse" steht Jesse Eisenberg als Géricault vom Herbst an vor der Kamera. Längst zeigt das Fernsehen beinah täglich aktuelle Schreckensbilder erschütternd ähnlicher Art: übervolle Boote auf dem Mittelmeer, jeder Flüchtling auf ihnen in Lebensgefahr, viele mit einer filmreif furchtbaren Geschichte.