Wurst und Frikadellen aus Waschbärfleisch - was skurril klingt, hat einen Wildfleischer inzwischen zu lokaler Berühmtheit gebracht. Wie kommt man auf so eine Idee?
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Der 45-Jährige ist noch nicht lange Wildfleischer. Im Sommer 2022 hat er die EU-Zulassung für die Wildverarbeitung erhalten. Innerhalb eines Jahres ist er mit seinen Waschbärwürsten zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Sogar aus Berlin und Leipzig kommen inzwischen Kunden zu ihm ins Jerichower Land in Sachsen-Anhalt. Doch wie kam er auf diese ungewöhnliche Idee?
Nach der Gründung seines Unternehmens sei der Landkreis auf ihn aufmerksam geworden und habe ihn als Vertreter des Landkreises zur Landwirtschaftsmesse Grüne Woche nach Berlin eingeladen. „Da hat es in mir gerasselt. Willst du da jetzt mit einer Hirschsalami hin, die jeder Landkreis hat?“, erzählt Reiß. „Es musste etwas Besonderes sein.“ Eines Abends sei ihm dann die Idee gekommen: „Wir fangen ja ganz viele Waschbären, und die schmeißen wir dann einfach weg. Da habe ich beim Veterinäramt angerufen: „Mensch, darf ich auch Waschbären verarbeiten?“
Die Behörde habe Reiß erklärt, dass die Tiere auf Parasiten untersucht werden müssten, dann könne er loslegen. Als „Appetithappen“ für die Grüne Woche sei ein „Bällchen“ am besten geeignet. So landete Reiß schließlich bei der Waschbärbulette.
Auf der Grünen Woche Anfang 2023 seien die Besucher zunächst aus allen Wolken gefallen. „Wollen Sie uns verarschen?“ und „Meinen Sie das ernst?“ sei die erste Reaktion vieler gewesen. „Viele haben sich dann aber doch getraut“, erzählt Reiß. Das Feedback sei überwiegend positiv gewesen.
Nach der Grünen Woche habe er die Bällchen in sein Sortiment aufgenommen, so Reiß. Für seinen Imbisswagen hat er außerdem eine Bratwurst aus Waschbärfleisch kreiert. Inzwischen gibt es das „Waschbär-Frühstücksfleisch“ auch als Konserve im Glas für den Versand. Eine Massenproduktion sei nicht sein Ziel, sagt Reiß. Er wolle den einen oder anderen anregen, „auch seine Falle aufzustellen und diese invasive Art in den Griff zu bekommen“.
Denn die Tiere richten nach Angaben von Jägern in der Natur einen enormen Schaden an. Sie räumten Nistkästen aus, zerstörten Baumhöhlen und Bodengelege und fräßen sogar Wasserlebewesen wie junge Sumpfschildkröten, sagte ein Sprecher des Landesjagdverbandes Brandenburg. „Waschbären können wirklich alles - außer fliegen - und haben gefühlt auch immer einen Schraubenzieher dabei, um Nistkästen zu öffnen.“
Im Jagdjahr 2022/23 wurden nach Angaben des Verbandes allein in Brandenburg rund 30 000 Waschbären erlegt, fast zehn Prozent mehr als im Jagdjahr davor. Das reiche aber bei weitem nicht aus, erklärte der Verbandssprecher. Der Bestand weite sich teilweise „dramatisch“ aus.
Einige Naturschützer seien der Meinung, dass der Waschbär mittlerweile zur heimischen Tierwelt gehöre und somit das Recht auf eine friedliche Existenz habe, heißt es beim Naturschutzbund Deutschland. Meist gelinge es ohnehin nicht, durch Jagd oder Fang die Populationen zu verringern.
Warum arbeiten so wenig andere Fleischer mit Waschbärenfleisch? „Das ist wahrscheinlich aus kommerzieller Sicht für den ein oder anderen abschreckend“, sagt Reiß. Die Trichinenuntersuchung koste pro Waschbär fast 14 Euro, hinzu kämen Kosten für die Fleischbeschau und die 10 Euro, die er jedem Jäger pro erlegtem Tier zahle. „Das sind dann schon mal mehr als 25 Euro Fixkosten ohne die Arbeitszeit mit einzubeziehen.“ Demgegenüber stünden nur 1,5 bis 2,5 Kilogramm Fleisch, die er aus dem Tier gewinnen könne. „Die Gewinnmarge ist da nicht die Größte“, erklärt Reiß. Für ihn lohne es sich dennoch. „Die Kunden kommen zum Hofladen, nehmen vier Waschbärenbouletten und noch eine Hirschsalami mit.“
„Wir glauben nicht, dass sich hier ein Trend entwickelt“, heißt es bei der Fleischereiinnung in Berlin. Geschäftsführer Martin Stock sagt, er kenne die Waschbärenverarbeitung vor allem aus den USA. „Hat mich aber weder geschmacklich noch von der Konsistenz überzeugt.“
Waschbärfleisch sei sehr weich, erklärt Reiß. Eine Salami aus Waschbärenfleisch werde deshalb nicht fest, zudem sei das Fett des Tieres recht ölig. „Es ist eher eine Streichwurst.“ In seine Bouletten mengt er nach eigenen Angaben noch etwa 30 Prozent Schweinefett für eine bessere Konsistenz ein.
Lob für seine Idee erhielt Reiß vom Umweltministerium in Brandenburg. „Tiere, die jagdlich (...) erlegt werden, zu Nahrungsmitteln oder Fellprodukten zu verarbeiten oder zu verwerten ist immer sinnvoll“, sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. Eine Förderung für den Abschuss der Tiere gebe es aber dennoch nicht.