Ich" heißt der Titel, "Ich Wolkenstein" - seit der Erstausgabe 1977 Dieter Kühns berühmtestes Buch. Darin malt der Autor (übrigens nicht in der Ich-Form) Wesen, Sein und Zeit des einäugigen Oswald von Wolkenstein aus, der als Rittersmann, Liederdichter, Abenteuerreisender zwischen 1377 und 1445 ein buntes Leben führte. Akribisch recherchiert Kühn, der heute vor 75 Jahren in Köln geboren wurde und im nahe gelegenen Brühl lebt, die Daseinsumstände seiner Protagonisten: Zur "Trilogie des Mittelalters" gehören ferner umfangreiche Bücher über "Neidhart aus dem Reuental" und den "Parzival des Wolfram von Eschenbach"; aber auch Josephine Baker, Clara Schumann und die Insektenmalerin Maria Sybilla Merian, Napoleon, Goethe oder Beethoven passte er in den Rahmen seines kaum überschaubaren Schaffens ein. Seine Spezialität: Kühn - der sein Studium mit einer germanistischen, nicht historischen Doktorarbeit abschloss - wagt es, Fakten durch Hinzuerfundenes plausibel zu ergänzen. Ein Spiel mit Möglichkeiten: So werden aus Geschichte lesbare Geschichten. Was nicht passt, wird passend gemacht, halten ihm denn auch manche akademische Historiker säuerlich entgegen. Andere Experten freuen sich am "Wolkenstein" als einem "großen Lehrbuch vom späten Mittelalter" (Peter Wapnewski). Kühns jüngste Veröffentlichung - vier Erzählungen, die er diesmal ausdrücklich als "Fiktionen" gelesen wünscht - geht nicht so weit wie bis ins Mittelalter zurück; diesmal reichen knapp siebzig Jahre, aber mit "Ich" beginnt der Titel auch hier: "Ich war Hitlers Schutzengel" (S.-Fischer-Verlag, gebunden, 206 Seiten, 17,95 Euro). Darin überlegt der Autor beispielsweise, welchen Weg die Welt genommen hätte, wäre der Diktator im Kriegsbeginnsjahr 1939 dem Münchner Anschlag Georg Elsers zum Opfer gefallen. Als Möglichkeit scheint auf: Reichskanzler Hermann Göring hätte kehrt gemacht zur kaiserlichen Monarchie.