Meierhof Ein Leben ohne Lachen und Weinen

Alexandra Braun mit ihrer schwerstbehinderten Tochter Antonia. Ihr Mann Alexander hat überall im Haus Komfortzonen für das Mädchen eingerichtet, unter anderem einen riesigen Laufstall, der rundherum gepolstert ist, damit sich die Zehnjährige nicht verletzt. Foto: Peggy Biczysko

Antonia leidet an einem seltenen Gendefekt. Die Zehnjährige aus Meierhof ist schwerstbehindert. Elf Wochen nach ihrer Geburt bekommt sie den ersten epileptischen Anfall.

 
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Meierhof - Antonia sitzt in ihrem Rollstuhl und zuckt mit dem Kopf, wiegt ihn hin und her und verdreht immer wieder die Augen. Ob sie etwas von dem Gespräch am Küchentisch mitbekommt? Niemand weiß es. Nicht einmal ihre so einfühlsame Mama, die ihr liebevoll übers Gesicht streicht. Die Zehnjährige kann nicht lachen, nicht weinen, nicht sprechen, nicht laufen, nicht stehen, nicht essen, nicht trinken. Das Mädchen leidet an CDKL5, einer seltenen genetischen Erkrankung.

Was ist CDKL5?

CDKL5 ist eine seltene genetische Erkrankung, ausgelöst durch Mutationen des CDKL5-Gens. Dieses Gen befindet sich auf dem X-Chromosom, weswegen die Krankheit vor allem Mädchen trifft.

Die Krankheit beginnt mit epileptischen Anfällen in den ersten Wochen oder Monaten nach der Geburt, ihnen folgt eine schwere neuronale Entwicklungsverzögerung.

Bei vielen Kindern mit CDKL5 hat man früher angenommen, sie litten unter einer Variation des Rett-Syndroms, weil es einige übereinstimmende Charakteristiken gibt. Erst 2012 wurde CDKL5 als eigene Krankheit erkannt. Es handelt sich hierbei nicht um eine vererbte Krankheit, sondern um eine sogenannte Spontan-Mutation.

Der Gendefekt hat gravierende Auswirkungen auf das Leben der ganzen Familie. Schwer therapierbar ist die Epilepsie, die bereits kurz nach der Geburt auftritt.

Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Hippotherapie oder Sehförderung können helfen, die Lebensqualität ein kleines Stück zu verbessern.

Der gemeinnützige Verein "CDKL5 Deutschland" ist 2015 von Eltern gegründet worden, deren Kinder von dem seltenen Gendefekt betroffen sind, und von Ärzten und Therapeuten, um Geld zu sammeln für die Heilung und Forschung. Unter anderem forschen Wissenschaftler der Universität Bologna an einer Protein-Ersatztherapie. Wer die Arbeit des Vereins unterstützen möchte, kann dies tun mit einer Spende an

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CDKL5 Deutschland e.V.

IBAN DE31 1005 0000 0190 4680 17

BIC BELADEBEXXX

Berliner Sparkasse

Es werden auch Spendenquittungen ausgestellt.

Nähere Infos gibt es im Internet unter der Adresse www.cdkl5-verein.de

Die Freude ist riesig, als Alexandra und Alexander Braun ihr Baby nach der Geburt in den Armen halten. Doch das Glück währt nur kurze Zeit. Das Schicksal stellt das Leben des Ehepaars aus Meierhof bei Weißenstadt von heute auf morgen völlig auf den Kopf. "Leider hatten wir nur elf Wochen Zeit zum Genießen", blickt Mama Alexandra im Gespräch mit der Frankenpost an die Schrecksekunde zurück, als sie ihr Mädchen wickelt und Antonia plötzlich mit dem Bein zu zucken beginnt. Wenig später zuckt der ganze Körper. Es ist der erste epileptische Anfall der Kleinen, dem noch unzählige folgen werden.

"Die Schwangerschaft ist völlig normal verlaufen, die Geburt ebenfalls", erzählt die 41-Jährige. "Und ich bin mit einem vermeintlich gesunden Kind aus der Klinik entlassen worden." Das ist knapp zehn Jahre her. Seither haben Alexandra Braun und ihr 45-jähriger Ehemann unendlich viele schlaflose Nächte und Stunden voller Sorgen und Nöte erlebt.

"Die Kinderärztin hat uns sofort in die Kinderklinik überwiesen, und seit diesem ersten epileptischen Anfall war alles anders", schildert Alexandra Braun. Fast vier Jahre lang sind die Ärzte auf der Suche nach der Diagnose. "Wir haben 15 verschiedene Medikamente ausprobiert", sagt die Mama und streichelt den Fuß von Antonia, weil der sich immer wieder selbstständig macht. Lichtblicke gibt es dennoch in der Zeit, als die Eltern verstehen lernen müssen, dass ihr Kind schwerstbehindert ist. "Antonia begann, Laute von sich zu geben, und hatte Spaß daran, sich zu hören. Ihr schönes lautes Lachen bereitete uns große Freude." Die Kleine beginnt zu essen und hält auch ihre Trinkflasche selbst. Nur das mit dem Sitzen und Krabbeln mag nicht klappen.

Dann entdecken die Eltern, dass das Mädchen Probleme mit dem Sehen hat. "Sie hat keine Spielsachen angefasst und auch nicht hingeschaut. Nur selten haben wir einen Blickkontakt zu ihr aufbauen können", sagt Angelika Braun mit traurigen Augen. Trotz Frühförderung und Therapien bilden sich schleichend die anfänglichen Fähigkeiten Antonias zurück. "Plötzlich kam kein Laut mehr, kein Lächeln huschte mehr über ihre Lippen, Essen wurde zur Tortur."

Durch Zufall stößt die Mutter im Internet auf einen Artikel über das "Atypische Rett-Syndrom". Die Symptome ähneln dem Krankheitsbild ihrer Tochter. Sie lassen Antonia auf diese Krankheit hin testen. "Im Juli 2013 haben wir die Diagnose CDKL5 bekommen", erzählt Angelika Braun. Nach vier Jahren gibt es eine Antwort auf das "Warum?".

Das hat die Situation für die Brauns nicht leichter gemacht, "aber wenigstens konnten wir uns ab da mit Betroffenen austauschen, was sehr hilfreich ist". Die Eltern - der Vater ist Schreiner und baut für das Mädchen ein riesiges Bett und einen monströsen Laufstall - wechseln sich jede Nacht ab. "Einer schläft immer bei Antonia im Bett." Und in der Regel sind das schlaflose Nächte, denn alle zwei Stunden muss das Mädchen gefüttert werden. Über eine PEG-Sonde wird die Zehnjährige künstlich ernährt. Weil die Kleine häufig erbrechen muss, achten die Eltern peinlich genau darauf, dass sie auf tausend Kalorien täglich kommt. Auch ihre Tabletten bekommt Antonia über die Sonde, ebenso die Getränke. "Beim Abführen müssen wir nachhelfen." Die epileptischen Anfälle kommen mehrmals täglich. Seit 2016 geht Antonia in die Lebenshilfeschule, "wo sie liebevoll betreut und gefördert wird", sagt ihre Mama.

Eine Chance auf Heilung gibt es nicht. Zumindest ist die Forschung längst nicht so weit. "Sie bekommt Physiotherapie, und wir gehen zum Reiten", sagt Mutter Alexandra und führt die dicke Spritze mit der Flüssigkeit in die Sonde auf Antonias Bauch ein. Das Mädchen würgt und verschluckt sich. Die Mama hält die Spuckschale bereit, die immer in Reichweite steht, und meint nachdenklich: "Ich glaube, sie kriegt mehr mit, als man denkt." Wissen tut sie es nicht, ebenso wenig, ob Antonia weiß, dass sie ihre Mutter ist. "Manchmal macht es einen super traurig", sagt sie. "Vor allem, wenn man allein ist." Alexandra Braun hält die Tränen zurück, blickt ins Gesicht ihrer Tochter und lächelt. Zurücklächeln aber, das wird Antonia niemals können.

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