Hof Der Tod naht blitzschnell auf Schienen

Von Werner Rost

Ein gefährlicher Trend zeichnet sich bei Jugendlichen ab. Sie machen auf Bahngleisen Selfies und bringen sich in Lebensgefahr. Ein dreister Fall ist aus Münchberg bekannt.

 
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Hof/Münchberg - Ein Lokführer der Privatbahn Agilis hat in der vergangenen Woche am Bahnhof Münchberg aus wenigen Metern Entfernung erlebt, wie sich zwei jugendliche Teenie-Mädchen frech über das Gleis-Betretungsverbot hinwegsetzten. Eine der beiden legte sich vor dem Zug aufs Gleis und ließ sich von ihrer Freundin fotografieren. Nachdem sich die beiden auch nicht durch die Warnhupe des Zuges davon abhalten ließen, musste der Lokführer aussteigen und die Teenager vertreiben.

Dieses verbotswidrige Betreten von Bahngleisen ist kein Einzelfall. Die Deutsche Bahn (DB) und die Bundespolizei verzeichnen einen Trend für Selfies auf Gleisen. Also für Fotos, die die Betreffenden mit Smartphones von sich und ihren Begleitern anfertigen und in sozialen Netzwerken online stellen. Inzwischen gibt es bereits die ersten Todesfälle zu beklagen. So mussten am 20. Mai 2011 in Buxheim bei Memmingen zwei Mädchen, 14 und 16 Jahre alt, derartige Selfies mit ihrem Leben bezahlen. Bei der Auswertung ihres Smartphones erkannten die Beamten der Bundespolizei, dass die beiden im Gleis posiert hatten.

Die DB und die Bundespolizei betreiben eine Informationskampagne, um speziell die Jugendlichen über die Gefahren des Zugverkehrs aufzuklären. Dabei setzt die DB unter anderem auf ein Schock-Video. Anfang Dezember hat die DB auf dem Internet-Video-Portal Youtube den 78 Sekunden langen Kurzfilm "Wir wollen, dass Du sicher ankommst - Selfies im Gleis" hochgeladen, der seitdem fast 72 000 Mal angeklickt wurde. Das Video zeigt zwei Teenie-Mädchen, die Hand in Hand auf den Schienen eines Bahngleises entlang balancieren. Als sie schließlich beginnen, Selfies mit einem Smartphone zu knipsen, wechselt die Perspektive in den Führerstand eines schnell heranfahrenden Zuges. Man erkennt die Todesangst in den Gesichtern der Teenies und schließlich das Smartphone mit einem zerbrochenen Display inmitten des Schotters. "Riskier dein Leben nicht für ein Selfie", lautet der eindringliche Appell der DB.

Die Bundespolizei warnt seit Jahren mit einer bundesweiten Plakat-Aktion in Bahnhöfen vor "Fotos im Gleisbett mit der besten Freundin". Auch im Hofer Hauptbahnhof hängt eines dieser Plakate. Auf den dazugehörigen Flyern erläutert der Sprach- und Literaturwissenschaftler Dr. Martin Voigt die Hintergründe zur Selbstdarstellung auf Facebook und anderen sozialen Medien.

Von der Bundespolizeiinspektion Selb ist Manfred Ludwig als Präventions-Beauftragter in den Schulen der Region unterwegs, um die Jugendlichen vor den Gefahren des Zugverkehrs zu warnen. "Im Rahmen unserer Präventionsarbeit besuchen wir in den Schulen vor allem die fünften Klassen", berichtet Ludwig im Gespräch mit der Frankenpost . Von dieser Jahrgangsstufe an seien besonders viele Jugendliche als Fahrschüler unterwegs. Bei den Gesprächen in den Schulen weise er auf alle Sicherheitsaspekte hin. Auf den weißen Streifen am Bahnsteigrand, den man erst nach dem Stillstand des Zuges überschreiten dürfe, und auf das sichere Einsteigen ohne Drängelei an den Türen. Und natürlich auf das generelle Gleisbetretungsverbot. Nach Ludwigs Erfahrungen ist Nordbayern kein Schwerpunkt von verbotenen Selfie-Aktionen an Bahngleisen. In den vergangenen Jahren seien mehr Fälle in Südbayern registriert worden. Wie der Präventionsbeauftragte berichtet, fahndet die Bundespolizei auch in den sozialen Netzwerken nach Selfies, die auf Bahngleisen entstanden sind, um die Urheber zu ermitteln.

Auch die beiden Teenager, die in der vergangenen Woche auf einem Gleis am Münchberger Bahnhof posierten, müssen nun damit rechnen, Besuch von der Polizei zu bekommen. Selbst wenn sie die Fotos nicht online stellen, denn der Lokführer hat das verbotene Treiben mit seinem eigenen Handy dokumentiert.



3 Fragen an Dr. Martin Voigt, Experte für Teenie-Mädchen in Social Media

Herr Dr. Voigt, ist die lebensgefährliche Unsitte von Selfies auf Bahngleisen nur auf Deutschland beschränkt?

Nein, das ist in vielen Ländern zu beobachten, in denen Schülerinnen über ein Smartphone verfügen und in sozialen Netzwerken aktiv sind, unter anderem auch in Österreich und in der Türkei. Es handelt sich meist um Teenie-Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren.

Warum begeben sich ausgerechnet junge Mädchen auf Bahngleisen derart in Lebensgefahr?

Mädchen in dieser Altersgruppe neigen zu einer emotionalen Dramatisierung der Selbstdarstellung. Das Bahngleis mit den parallel verlaufenden Schienen ist ein Symbol für das Paar, das sich niemals trennt.

Was raten Sie Eltern und Lehrern, wie sie Mädchen von diesen lebensgefährlichen Selfies abhalten können?

Meist hilft es, auf die Vorbildfunktion gegenüber Jüngeren hinzuweisen. Wenn die kleine Schwester derartige Selfies im Netz sieht, besteht die Gefahr der Nachahmung. Hier nützt der Appell an die Verantwortung gegenüber den Jüngeren. Das Interview führte Werner Rost

Buchtipp zum Thema

"Mädchen im Netz - süß, sexy, immer online" lautet der Titel eines neu erschienenen Buches, in dem Dr. Martin Voigt erklärt, was in den online vernetzten Teenager-Cliquen los ist und warum gerade Mädchen so an ihrem Smartphone kleben. Das Buch ist im Verlag Springer Spektrum erschienen. Es kostet 14,99 Euro als Taschenbuch und 9,99 Euro als E-Book.

Im Rahmen unserer Präventionsarbeit besuchen wir in den Schulen die fünften Klassen.

Manfred Ludwig, Präventionsbeauftragter der Bundespolizei in Selb

Die rechtliche Lage

Gesetzliche Regelungen: Mit Ausnahme von offiziellen Bahnübergängen dürfen Gleisanlagen von Unbefugten nicht betreten werden. Laut Paragraf 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung dürfen nur Personen Bahnanlagen betreten, die amtlich dazu befugt sind oder - wie Lokführer, Zugbegleiter oder Rangierer - im Rahmen eines Nutzungsverhältnisses zugelassen sind.

Ordnungswidrigkeiten und Straftaten: Wer unbefugt Gleisanlagen betritt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Laut einer DB-Pressemitteilung kann dies mit einer Geldbuße von bis zu 5000 Euro geahndet werden. Wenn ein Zug wegen "Personen im Gleis" bremsen muss, liegt eine Straftat wegen "Gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr vor". Gemäß Paragraf 315 des Strafgesetzbuches drohen eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.

Schadensersatzansprüche: Darüberhinaus kann die Deutsche Bahn oder eine Privatbahn Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn ein Zug wegen "Personen im Gleis" bremsen musste und Fahrgäste dabei zu Schaden kamen.

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