Marktredwitz - "Etzt worst scho wieder auf der Hitt'n!" Wenn Marktredwitzer Kinder plötzlich "Rollerpok'l", "Potschaken" oder mit Glasmurmeln gespielt haben, wird den Eltern schnell klar, dass sie wieder dort waren, wo die Fremden sind. Eben auf der "Hitt'n", nämlich der Glashütte, wo die aus Böhmen, der Oberpfalz und aus Niederbayern eingewanderten Arbeiter ihr Quartier aufgeschlagen haben. Parallel zur Ausstellung "Mir han Hittener" im Egerland-Museum haben die Macher in unzähligen Stunden die Geschichte der Glasmacher in Marktredwitz zusammengetragen. Ein wunderbares Werk, in dem es sich zu blättern und vor allem zu lesen lohnt.

Es ist kein herkömmlicher Geschichtsband, der die Glasherstellung beleuchtet. Vielmehr nehmen den Leser die übersichtlich gegliederten Kapitel regelrecht gefangen. Und das gilt nicht nur für den Historiker, sondern auch für den Technik-Freak, dem die Drahtglasherstellung mit der Darstellung von Maschinen und Zeichnungen haarklein vermittelt wird. Auch die Architektur findet hier ihren Raum und wird anhand der 100 Jahre alten Glasschleif im Herzen von Marktredwitz in all ihren Proportionen vorgestellt.

"Natürlich kommt der Geschichtsfreund in jedem Kapitel voll auf seine Kosten", wie Stadtarchivarin Edith Kalbskopf im Gespräch mit der Frankenpost versichert. Denn die Geschichte der Marktredwitzer Glashütte der Firma Seligman Bendit & Söhne, die momentan in einer aufwendig gestalteten Ausstellung im Egerland-Museum zu sehen ist (wir berichteten), ist fester Bestandteil des Begleitbuchs.

Die Entwicklung zur Industriestadt schreitet ab Mitte des 19. Jahrhunderts voran. Und schon damals zeigt eine Statistik auf, dass 1897 bereits 2166 Menschen in der Industrie arbeiten: 1163 in der Textilindustrie und 442 - an zweiter Stelle - im Bereich "Glas, Steine, Erden". Wie sich der Arbeitsalltag der Glasmacher gestaltet, welche Berufe die Vorfahren so mancher Marktredwitzer ausüben und auch, wie man Flachglas überhaupt herstellt, wird ausführlich beschrieben.

Einen persönlichen Blick hinter die Kulissen gestattet das Kapitel über die Glasmacherfamilien, deren Nachkommen in Erzählkreisen aus dem Nähkästchen geplaudert haben, um ihren Wissensschatz der Nachwelt zu erhalten.

Einen umfassenden Einblick in das Leben auf der Hütte gibt Stadtarchivarin Edith Kalbskopf. Ein Kapitel, in dem es menschelt. Denn hier geht es um den Haushalt, die Bräuche, das Kochen und Essen und Trinken und Wohnen und um den Glauben. Und auch Vorurteile finden hier ihren Niederschlag: "Die Glasmacher san zogn wie die Zigeuner." Denn die Hittener sind eben da hingegangen, wo es in den Glashütten Arbeit gegeben hat. "Arm waren sie, aber wo manche Leut nicht mal ein Fahrrad g'habt ham, hatten die schon ein Auto", fällt der Blick neidisch auf die "Zuagroasten" - die Zugezogenen. Stets Anlass für eine Schlägerei ist es, wenn die Fremden "Rawetzer auf der Hitt'n bei der Frei" erwischen.

Ob ihrer Schmackhaftigkeit wird seinerzeit die "Hittenerkost" viel gerühmt. Typische Gerichte sind nach Recherchen von Edith Kalbskopf Dorschenkraut, Schoppala (Schupfnudeln), Bröislboad (Kartoffelplätzchen) oder Buttermilchsupp'n. Die Rezepte allerdings hat keiner aufgeschrieben. "Die haben die Frauen einfach gekonnt und nach Gefühl gekocht", erzählen die Nachkommen. Einige von ihnen haben's noch heute im Gefühl und daher ein paar Rezepte im Buch verewigt.

Die Fremden rund um die Glasschleif sind auch bekannt für ihre Geselligkeit. Die Abende vor dem Haus verbringen sie gemeinsam mit Feiern, Tanzen und Singen und nachmittags einfach mal mit einem Plauderstündchen. Legendär sind die Glasmacher-Bälle zur Faschingszeit. Auch in der Kommunalpolitik fassen die Hittener Fuß. Nachkommen aus deren Familien sitzen noch heute mit Horst Geißel und Sebastian Macht im Stadtrat.

Wo manche nicht mal ein Fahrrad g'habt ham, hatten die schon ein Auto.

Zitat aus dem Erzählkreis


Die Macher und Autoren von Ausstellung und Buch

Einige Mitwirkende an der Ausstellung sind identisch mit den Autoren des Buches "Mir han Hittener". Herausgeber ist das Stadtarchiv, die Idee stammt vom Historischen Club. Die Gestaltung oblag Marc Eichner. Autoren des 235 Seiten umfassenden Begleitbuchs zur Ausstellung sind Dr. Michael Müller, Bernhard Leutheußer, Hermann G. Meier, Alfred Waterloo, Karl Krämer, Edith Kalbskopf und Johannes Kottjé. Die zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos stammen größtenteils von den Bendit-Erben aus den USA.

Das Buch ist für 12,80 Euro erhältlich im Egerland-Museum, in der Tourist-Info sowie im Buchhandel.