Marktredwitz Vom Kaff zur Hochschul-Stadt

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Deggendorf dient den Marktredwitzern als leuchtendes Beispiel für die Chancen durch eine Uni. Beim Forum unterstreicht dies Präsident Dr. Sperber eindrucksvoll.

 
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Marktredwitz - 17 000 Einwohner - Tendenz sinkend. Diesmal ist nicht von Marktredwitz die Rede. Es geht um Deggendorf im Jahr 1994. Damals ein verschlafenes Kaff, dem viele junge Menschen den Rücken kehren. Heute präsentiert sich die niederbayerische Stadt an der Donau als attraktiver Mittelpunkt für Studenten, in dem das Leben pulsiert. Was 1994 mit 90 Studenten in einem angemieteten Gebäude begonnen hat, ist zu einer knapp 5000 Studenten zählenden Universitäts-Stadt mutiert, die überregionales Renommee genießt. Für Marktredwitz ein Parade-Beispiel, sich aus dem Sumpf der Demografie zu ziehen.

Klaus Haussel, OB-Kandidat der SPD, hat beim zweiten Chancen-Forum das Thema Hochschule in den Mittelpunkt gestellt. Und damit einen Referenten, der voller Leidenschaft von seinem Deggendorf und seiner Universitäts-Stadt schwärmt: Professor Dr. Peter Sperber. Der Präsident der Hochschule Deggendorf, der seinerzeit an einige Studiengänge denkt mit einer Spitze von 1500 Studenten, wird heute regelrecht überrollt angesichts der Nachfrage nach Studienplätzen.

"Früher war der heutige Campus der Schandfleck der Stadt, heute ist es der schönste Bereich Deggendorfs." Oberbürgermeisterin Dr. Birgit Seelbinder nickt heftig und weiß, dass das Etablieren einer Hochschule in Marktredwitz eine ebensolche Signalwirkung hätte. Es seien ja nicht nur die fünf Fakultäten, die es mittlerweile gebe. "Neben den 5000 Studenten - in zwei Jahren rechnen wir mit 6000 - haben wir hier 500 Angestellte", berichtet der Professor. "Und die wollen versorgt sein." So seien nach und nach Baugewerbe, Einzelhandel, Gastronomie, Freizeitanbieter und Dienstleister wie Pilze aus dem Boden geschossen.

"Momentan haben wir wohl Niederbayerns größte Baustelle", erzählt Hochschul-Präsident Sperber, dass erneut 40 Millionen Euro in die Erweiterung der Uni fließen. "Jährlich entlassen wir 1000 Absolventen in die Wirtschaft. Unsere Unternehmen können gute Nachwuchskräfte abziehen." Und nicht nur das: Die Hochschule biete den Firmen auch die Nutzung ihrer Einrichtungen bis hin zum Computer-Tomographen gegen Gebühr.

Ein multikulturelles Flair habe Deggendorf heute ebenfalls zu bieten, erzählt der Professor. "Wir haben 400 ausländische Studenten aus der ganzen Welt, obendrein 134 Patenschulen in 52 Ländern. Da herrscht Aufbruchstimmung."

Von diesem Kuchen hätte Marktredwitz ebenfalls gern ein Stück, geben die Teilnehmer am Podium zu verstehen. Hans-Ottmar Donnert, Leiter von FOS und BOS, spricht von "400 jungen Menschen, die bei uns jedes Jahr ins Studium drängen". Ein großer Teil der Leute würde gern heimatnah studieren. "Marktredwitz würde keine überfüllten Hörsäle bieten und hätte genügend Platz für günstigen Wohnraum", bricht Donnert eine Lanze für die Ansiedlung einer Hochschule in der Großen Kreisstadt.

Oberbürgermeisterin Dr. Birgit Seelbinder, die seit Jahren nicht müde wird, die Themen Geo-Informationssysteme als Studiengang für Marktredwitz anzupreisen, ist fassungslos, als Präsident Sperber davon berichtet, dass er diesen Studiengang ganz neu in Deggendorf aufgenommen hat. "Wir reden seit fünf Jahren darüber, und nichts passiert", zeigt sich Seelbinder sehr emotional.

Thomas Regnet, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Industrie (AGI), würde eine Zusammenarbeit mit der Forschung vor der Haustür durchaus begrüßen, "wenn sie nicht in direkter Konkurrenz zu benachbarten Städten steht". Er spricht sich für einen "Ableger" bestehender Hochschulen aus.

Seelbinder nennt Deggendorf ein "Muster-Beispiel" für Marktredwitz. "Wir hätten ebensolches Potenzial", versichert sie. Mit der Landesgartenschau - in Deggendorf steht sie im nächsten Jahr an - habe man bereits internationale Kompetenz gezeigt. Daher ist nach Ansicht der Oberbürgermeisterin auch eine Zusammenarbeit mit der Universität Pilsen denkbar. Denn ansonsten wären die Prognosen für die Stadt düster. "74 Prozent der Leute, die aus Marktredwitz abwandern, sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Genau diese Altersgruppe brauchen wir für die Gesellschaft, um Leben zu gestalten und Familien zu gründen", betont Seelbinder. In einigen Jahren drohe in der Region ein Männerüberschuss, warnt sie. Wenn Frauen erst einmal weg sind, kämen sie nicht wieder, wisse sie aus Erfahrung. "Männer bringen am Wochenende wenigstens noch ihre dreckige Wäsche zur Mutter und setzen sich an den gedeckten Tisch."

Angesichts der verheerenden Aussichten, denen man gegensteuern müsse, meint Thomas Regnet von der AGI, dass die Industrie hier grundsätzlich positiv eingestellt sei, wenn es um eine Hochschule in Marktredwitz geht. "Wir würden auch eine Patenschaft übernehmen." Birgit Seelbinder greift diese Unterstützung gern auf, "denn eine Hochschule würde auch die Ansiedlung neuer Firmen nach sich ziehen".

Mit 1500 Studenten haben wir gerechnet, jetzt sind es schon fast 5000.

Professor Dr. Peter Sperber

74 Prozent der Leute, die abwandern, sind zwischen 18 und 30 Jahre alt.

Oberbürgermeisterin Birgit Seelbinder

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