Knapp zehn Prozent Steigerung der Bezüge innerhalb eines halben Jahres – Herr Professor von Arnim, finden Sie, dass die Abgeordneten jetzt noch mal kräftig zulangen, bevor Ihre Bezüge von 2016 an automatisch an die durchschnittliche Bruttoverdienst-Entwicklung angepasst werden?

Man begründet diese Erhöhung ja damit, dass man sich der Besoldung von Bundesrichtern angleichen wolle. Das scheint mir aber nicht Überzeugend, denn dabei vergleicht man Äpfel mit Birnen.

Wieso?

Bundestagsabgeordnete genießen eine Reihe von gewichtigen finanziellen Privilegien, die Bundesrichter nicht haben. So können Abgeordnete – rechtlich unbegrenzt – noch einen bezahlten Zweitberuf ausüben. Vor einiger Zeit hat die Otto-Brenner-Stiftung eine Analyse herausgegeben, die zeigt, in welch großem Umfang Bundestagsabgeordnete diese Möglichkeit nutzen. Zudem haben die Abgeordneten noch eine hohe Kostenpauschale von 4202 Euro pro Monat. Für viele Abgeordnete sind große Teile davon ein steuerfreier Zuverdienst, weil sie manche Kosten, für die die Pauschale vorgesehen ist, gar nicht haben, etwa, weil sie in Berlin wohnen und deswegen keine Zweitwohnung brauchen und kaum Kraftfahrzeugkosten haben. Auch das kommt für Bundesrichter nicht in Betracht.

Ein Bundesrichter hat ja auch einen ganz anderen beruflichen Werdegang, bis er diese Stellung erreicht.

Sehr richtig. Um Bundesrichter zu werden, muss man hohe Qualifikationen und eine lange berufliche Bewährung aufweisen. Bundesrichter mit Abgeordneten zu vergleichen und damit eine Diäten-Erhöhung um 830 Euro in zwei Schritten zu rechtfertigen – das scheint mir an den Haaren herbeigezogen.

Aber diese Orientierung an Bundesrichter-Bezügen steht ja seit Langem schon als angestrebte Zielmarke im Gesetz

Dieses Gesetz haben damals doch die Abgeordneten ebenfalls selbst gemacht und dabei in eigener Sache gehandelt. Auch das muss man unter dem Vorbehalt betrachten, dass hier Befangene über ihre eigenen Belange geurteilt haben.

Eine zehnprozentige Gehaltserhöhung für eine ganze Berufsgruppe, das gab es in Deutschland seit Wirtschaftswunder-Zeiten nicht. Wie schwer vermittelbar ist denn dieser Vorstoß gegenüber einer Öffentlichkeit, in der die meisten Menschen angesichts der Inflationsrate mit dem Rückgang ihres Nettoeinkommens zu kämpfen haben?

Schon wegen der nicht tragfähigen Begründung ist dieses Vorhaben nicht gerechtfertigt. Hinzu kommt das Problem der angestrebten Dynamisierung.

Nach der Erhöhung um 830 Euro sollen künftige Steigerungen angekoppelt werden an die Brutto-Einkommensentwicklung von Arbeitnehmern.

Genau. Aber: Das ist verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass der Bundestag jede einzelne Diätenerhöhung selbstständig beschließen muss, weil der Bundestag dabei in eigener Sache entscheidet. Deswegen, so die Worte des Gerichts, ist die Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle. Und genau dieser Kontrolle will sich die große Koalition jetzt entziehen. Sie will die Erhöhung automatisieren und so Kritik unmöglich machen, weil ja der Bundestag künftig gar nicht mehr darüber entscheidet.

Man will also diese immer wiederkehrende Kuh ein für alle Mal vom Eis kriegen?

Ja, man entzieht einzelne Erhöhungen so der öffentlichen Diskussion und Kontrolle und unterläuft das zwingende Verfassungsgebot.

Eine ähnliche Automatisierung ist ja schon 1995 einmal versucht worden.

Damals räumte man wenigstens ein, dass das verfassungswidrig ist und dem Urteil der obersten Richter widerspricht. Also wollte man deswegen die Verfassung ändern. Das ist aber am Nein des Bundesrats gescheitert. Jetzt will man es ohne Verfassungsänderung machen. Damit ist dieser Automatisierung die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben – auch nach der damaligen Auffassung des Bundestags selbst. Aber das wird jetzt alles unterschlagen. Der Gesetzentwurf der großen Koalition beruft sich nun auf einen vor Jahresfrist abgelieferten Bericht einer sogenannten unabhängigen Sachverständigen-Kommission. Aber auch die Einsetzung dieser Kommission war eine Entscheidung des Bundestags in eigener Sache. Die Kommission wurde mehrheitlich mit ehemaligen Ministern, ehemaligen parlamentarischen Staatssekretären, ehemaligen Abgeordneten und anderen parteinahen Personen besetzt. Die haben einen sehr einseitigen Gefälligkeitsbericht abgeliefert, in dem – man glaubt es kaum – vielfache Verfassungswidrigkeiten einfach unter den Tisch gekehrt wurden.

Wäre denn die Koppelung an die Bruttolöhne an sich eine gute Idee, vorausgesetzt, sie müsste jedes Jahr unter den Augen der Öffentlichkeit neu beschlossen werden?

Der Bezug zu den Bruttolöhnen ist schon in sich schief.

Inwiefern?

Die Bruttolöhne enthalten ja auch die Sozialversicherungsabgaben. Denken Sie an die hohen Beiträge für die Rentenversicherung, für die Krankenversicherung. Abgeordnete leisten aber keine Beiträge zur Altersversorgung, denn sie bekommen ihre Pension ohne jeden eigenen Beitrag. Sie zahlen auch nur geringe Beiträge für die Krankenversicherung, denn sie haben im Krankheitsfall einen staatlichen Beihilfe-Anspruch. Das heißt: Große Posten, die in die Bruttolohn-Entwicklung der Arbeitnehmer einfließen, haben Abgeordnete überhaupt nicht.

Dann gilt bei den Parlamentariern also schon fast Brutto für Netto?

Na gut, man muss noch die Steuern berücksichtigen. Die haben beide gleich – wenn man von der steuerfreien Kostenpauschale und Spenden an Abgeordnete absieht, die allenfalls der sehr viel niedrigeren Schenkungssteuer unterliegen. Aber Abgaben für die Altersversorgung haben Abgeordnete überhaupt nicht und für die Krankenversicherung nur zu einem kleinen Teil. Der Bezug zur Bruttolohn-Entwicklung trifft also gar nicht.

Mit jedem Prozent Zuwachs bliebe also bei einem Bundestagsabgeordneten in den kommenden Jahren mehr im Geldbeutel hängen als beispielsweise bei einem Arbeiter im Stahlwerk?

Darauf läuft es auf Dauer hinaus. Gerade, weil ja wegen der Entwicklung der Bevölkerung in Zukunft der Anteil der Sozialversicherungsabgaben am Einkommen noch zunehmen wird – und zwar überproportional schnell. So kann in Zukunft die Koppelung an die Bruttolöhne auf einen überproportionalen Anstieg des Netto-Einkommens von Abgeordneten hinauslaufen. Das darf ja nun definitiv nicht der Sinn sein. Aber das wurde bisher öffentlich nicht thematisiert.

Bisher wird ja von den Abgeordneten immer gesagt: Dann ist es wenigstens endlich gerecht, denn wir kriegen ja keine stärkere Erhöhung als der Rest der Bevölkerung.

Ja, so kam es auch am vergangenen Freitag in der Bundestagsdebatte bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs rüber. Es hieß: „Wir hängen uns doch da an die große Mehrheit der Menschen in unserem Land, nämlich die Arbeitnehmer, an. Das ist doch alles gerechtfertigt.“ Und verschwiegen wird, dass der Index auf Dauer einen überproportionalen Anstieg der Netto-Einkommen zu bewirken droht.

Was die Pensionsansprüche anbelangt, hängt man sich aber gerade nicht an die Arbeitnehmer an.

Sehen Sie! Und das ist die Rosinen-Pickerei, die den ganzen Gesetzentwurf durchzieht. Rechnen wir doch mal durch: Ein Abgeordneter erwirbt, wenn diese Erhöhung um 830 Euro Anfang nächsten Jahres vollzogen ist, pro Jahr im Parlament einen Pensionsanspruch in Höhe von 227 Euro im Monat. Nach zehn Jahren sind das also 2270 Euro Pension monatlich. Ein Durchschnittsrentner erwirbt pro Arbeitsjahr dagegen nur einen Rentenanspruch von 28 Euro im Monat. Das heißt: Für den Abgeordneten ist sein Mandatsjahr hinsichtlich des Pensionserwerbs das Achtfache dessen wert, was ein Arbeitsjahr einem durchschnittlichen Arbeitnehmer an Rentenanspruch bringt. Diese gewaltige Diskrepanz zeigt: Bei der Altersversorgung richtet man sich eben nicht an den Arbeitnehmern aus. Die Diskrepanz lässt sich auch nicht mit höheren Aktivenbezügen erklären. Denn die Abgeordnetenentschädigung ist „nur“ dreimal so hoch wie das Durchschnittsgehalt von sozialversicherten Arbeitnehmern, nicht achtmal so hoch wie die Altersversorgung

Soll aber nicht die maximale Pensionshöhe jetzt gedeckelt werden?

Der Maximalbetrag der Pension soll ja um 2,5 Prozentpunkte, das heißt, von 67,5 auf 65 Prozent der Entschädigung gekürzt werden. Aber das kann man leicht machen, wenn man zuvor bei der Berechnungsbasis um zehn Prozent rauf geht. Die, die später „nur noch“ 65 Prozent bekommen, haben im Ergebnis trotzdem einiges mehr als bisher.

Verbaler Etikettenschwindel?

Naja, man tut halt so, als würde man etwas kürzen, obwohl man tatsächlich erhöht. Bei der ersten Lesung im Bundestag wurde von den Sprechern der Koalition auch überhaupt nicht erwähnt, dass das auch erst vom Beginn der nächsten Legislaturperiode an in Kraft treten soll. In vier Jahren erst. Die Erhöhungen will man aber sehr bald machen.

Die Deutschen ziehen nun also in Sachen Parlamentarier-Bezüge in Europa an den bisherigen Spitzenreitern, den Franzosen, vorbei. Darf man das verknüpfen mit der Bedeutung Deutschlands in Europa nach dem Motto „Wir haben das wichtigste Parlament, also zahlen wir auch am besten“?

Solche Vergleiche machen, genau genommen, wenig Sinn. Man müsste da auch einbeziehen, dass wir ein Bundesstaat sind mit Tausenden hochbezahlten Parlamentsabgeordneten selbstständiger Länder. Die gibt es ja in einem Zentralstaat wie Frankreich nicht. Wenn man schon vergleichen wollte, dann könnte man einen anderen Bundesstaat hernehmen, etwa die Schweiz. Die Parlamentarier haben dort nur einen Bruchteil der Bezüge ihrer deutschen Kollegen.

Wie beurteilen Sie die steuerfreie Kostenpauschale?

Sie ist unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsprinzips hochproblematisch. Der Abgeordnete bekommt die Pauschale, ob er nun entsprechende Aufwendungen hat oder nicht. In vielen Fällen, das sagte ich schon, läuft das auf ein steuerfreies Zusatzeinkommen hinaus. Der konkrete Pauschalbetrag, derzeit gut 4200 Euro im Monat, steht nicht mal im Gesetz. Und er ist zudem automatisiert. Auch hier entzieht der Bundestag sich der von der Verfassung geforderten öffentlichen Kontrolle.

Auch inhaltlich ist die Pauschale problematisch, oder?

In der Tat. Weil eben alle Abgeordneten über einen Kamm geschert werden. Wer beispielsweise in Bayern einen ländlichen Wahlkreis hat, der muss nun wirklich viele Kilometer dort zurücklegen. Und er braucht einen Zweitwohnsitz und ein zusätzliches Büro in Berlin. Andere, in einem städtischen Wahlkreis oder gar direkt in Berlin, haben diese Ausgaben nicht im Entferntesten. Das ist verfassungsrechtlich eigentlich gar nicht zu halten. Im Gesetzentwurf zur Diätenerhöhung und auch am Freitag in der ersten Lesung haben Abgeordnete behauptet, die Kostenpauschale sei verfassungsgerichtlich abgesegnet. Das ist aber falsch. Es gibt zwar ein Urteil des Bundesfinanzhofs und den Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts. Die haben eine Entscheidung über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kostsenpauschale aber gerade abgelehnt. Der Grund: Der Bürger, der da geklagt hatte, war nicht klagebefugt. Denn auf Bundesebene haben Bürger in Sachen Diäten kein Klagerecht.

Wie käme man dann zu einer verfassungsrichterlichen Entscheidung?

Nun, die Abgeordneten selbst haben durchaus ein Klagerecht. Mitglieder des Bundestags sind prozessual befugt, die mehrfache Verfassungswidrigkeit des Gesetzentwurfs durch einen Gang nach Karlsruhe anzugreifen. Und das sollten sie meines Erachtens auch tun. Wenn es die Oppositionsfraktionen mit ihrer Kritik an diesem Gesetzentwurf ernst meinen, dann sollten ihre Abgeordneten Klage erheben. So gäbe es – trotz der zahlenmäßig kleinen Opposition, die im Bundestag leicht überstimmt werden kann – doch noch eine effektive Kontrollinstanz – und zwar in Karlsruhe. Man muss sie nur anrufen. Denn von selbst kann das Gericht nicht tätig werden.

Man könnte das ja auch anders regeln und Aufwandsentschädigungen bis zur bisherigen Höhe gewähren, aber nur, wenn die anfallenden Kosten klar belegt sind.
Alles, was so nicht abgerufen wird, bleibt dann in der Kasse.

In Nordrhein-Westfale müssen Landtagsabgeordnete ihre Aufwendungen bereits nachweisen. Dort wurde die Entschädigung erhöht und zugleich festgelegt, dass die Abgeordneten daraus ihre Altersversorgung finanzieren müssen und auch alle ihre Aufwendungen. Diese aber können sie dann steuerlich nur absetzen, wenn sie sie im Einzelnen nachweisen. So läuft es in Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren. Das widerlegt auch den Einwand der Bundestagsabgeordneten zur Rechtfertigung der Pauschale, der lautet: Das lasse sich ja alles gar nicht konkret aufschlüsseln.

Es hieß ja immer, man könne die hellen Köpfe in Deutschland nicht in die Politik locken, weil sie in der freien Wirtschaft viel mehr verdienen. Sind 160.000 Euro pro Jahr wirklich ein zu mickriger Anreiz?

Die Behauptung, man müsse die Diäten besonders hoch ansetzen, damit man möglichst gute Leute ins Parlament bekomme, ist schon deswegen nicht überzeugend, weil ja im Wesentlichen die Parteien bestimmen, wer ins Parlament kommt, etwa dadurch, dass sie entscheiden, wer die sicheren Plätze auf den Wahllisten erhält. Der Bürger kann dann nur unter den Parteien und den von ihnen aufgestellten Kandidatenblöcken auswählen. Innerhalb der Parteien aber braucht man in aller Regel eine lange interne Ochsentour, bei der man Verbindungen schaffen und die Bataillone sammeln muss, die einen später bei der parteiinternen Aufstellung der Kandidaten unterstützen. Viel beschäftigte Leute aus der Wirtschaft, Vorstandsmitglieder, Unternehmensgeschäftsführer, haben doch normalerweise dafür gar keine Zeit. Das ist für mich das eigentliche Nadelöhr beim Zugang ins Parlament. Daran ändert auch eine Diätenerhöhung nichts, selbst wenn sie nicht 830 sondern vielleicht 2000 Euro betragen würde. Dass es – ganz anders als in umgekehrter Richtung – kaum einen Wechsel von Entscheidern von der Wirtschaft in die Politik gibt, liegt an dem innerparteilichen Auswahlprozess, hat aber auch noch einen anderen Grund: Im Parlament wären leitende Personen aus der Wirtschaft in den faktischen Fraktionszwang eingebunden. Das schreckt aber Leute ab, die in ihrer Stellung verantwortlich entscheiden und diese Entscheidung dann auch durchsetzen können. Ich bin überzeugt: Auch mit höheren Diäten bekommt man keine besseren Leute ins Parlament. Im Gegenteil: Die Prämie für die Abschottung derer, die drin sind, gegen Seiteneinsteiger von außen würde noch steigen. Das Gespräch führte Rainer Maier

Kritik an "politischer Klasse"

Grundfragen von Staat und Gesellschaft interessieren den Verfassungsrechtler Professor Dr. Hans Herbert von Arnim schon immer. Seit den 1980er-Jahren ist er vor allem als Parteienkritiker in Erscheinung getreten, der in einer Reihe populärwissenschaftlicher Publikationen eine Instrumentalisierung des Staates durch die "politische Klasse" für ihre Zwecke konstatiert und mehr direkte Demokratie in der Form von Volksbegehren und Volksentscheiden fordert. Der 74-jährige Politologe lehrt an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.