Cocos Keeling Islands - Hier gibt es keine verriegelten Haustüren. Vor Einbrechern oder Dieben fürchtet sich niemand. Die gibt es nicht. Willkommen auf den Cocos Keeling Islands - einem der wohl friedlichsten Flecken auf diesem Planeten. Die 27 Inseln, von denen nur West Island und Home Island permanent bewohnt sind, liegen knapp 3000 Kilometer vom australischen Festland, zu dem sie gehören, entfernt. Mitten im Indischen Ozean. So exotisch wie der Name der Cocos Keeling Islands klingt, genauso ist es hier auch. Es fühlt sich an wie Kokos, zuweilen riecht es wie Kokos - und es sieht alles so aus wie in einem Hochglanz-Reiseprospekt. Nein, besser! Denn große Hotels gibt es hier nicht. Eigentlich steckt der Tourismus ein wenig in den Kinderschuhen. Denn das Paradies ist teuer. "Für eine Woche Cocos kriegst Du vier Wochen Bali", klärt mich Casper aus Perth auf, der für eine Woche zum Ausspannen hier ist. Perth ist der nächst erreichbare Punkt auf dem Festland. Dreieinhalb Flugstunden von Australien entfernt.

Die Wellen bestimmen auf Cocos nicht nur den Sound, sondern auch den Lebens-Rhythmus der Menschen. Zumindest eines Teils von ihnen. "Let's check the surf", lautet eine mehrmals am Tag verwendete Floskel. Wenn die Wellen gut sind, kommt für die Australier hier das Surfen noch vor der Arbeit. Die steht an zweiter Stelle, und die gehen die Insulaner in der Regel äußerst gelassen an. So schließt zum Beispiel der einzige Supermarkt auf West Island nachmittags bereits um drei Uhr. Bis dahin hat sich also jeder längst versorgt. Das stiftet allenfalls bei Touristen für Verwirrung, die sich jedoch ziemlich schnell an die Gepflogenheiten auf der Insel anpassen. Der einzige Club - ein Pub mit steuerfreiem Alkohol, großem Fernseher, Tischtennis und Billard - öffnet seine Pforten jeden Tag um fünf Uhr nachmittags und schließt um zehn Uhr. Oder dann, wenn die Gäste gewillt sind, das Trinken einzustellen. Viele Arbeiten in der Community sind gemeinnützig. Jeder macht irgendeinen Job so nebenbei, engagiert sich in der Radio-Station, im Golfclub oder im Tourist-Büro.


Tanzen bis zum Morgengrauen

Vom ersten Augenblick an zieht mich die Insel in ihren Bann, schalte ich gleich mehrere Gänge runter, um mich dem Müßiggang der 200 Bewohner auf West Island anzuschließen. Sie machen es einem nicht gerade schwer, sich hier rundherum wohlzufühlen. Das fängt schon gleich nach meiner Ankunft an. Während ich draußen vor dem Club - er ist gleich gegenüber meines Motels und das wiederum gleich neben dem Flugplatz - mit einer Bierbüchse in der Hand meinen Crew-Mitgliedern von der "Wild One" nachwinke, die weiter nach Perth fliegen, werde ich schon von den ersten Insulanern ins Visier genommen. Kurz darauf sitze ich fröhlich in deren Mitte, auch wenn ich nur die Hälfte verstehe. Denn der Aussie-Talk, den die Menschen hier kauderwelschen, ist gnadenlos. Brutalst werden Silben und Wörter verhackstückt und verschluckt, machen es einem mühevoll, dem Englisch zu folgen. Da Trinken verbindet, verstehen wir uns aber schon bald blendend. Und somit sehe ich in der ersten Nacht auf den Cocos Keeling Islands nicht einmal mein 160 Dollar teures Motelzimmer - das billigste, das hier zu kriegen ist. Denn auf Wendys Terrasse - sie ist Krankenschwester auf West Island - direkt am rauschenden Ozean, der überall präsent ist - heißt es Abtanzen zu Abba und Co. bis zum Morgengrauen. Das fängt ja gut an!


Unerwartetes Wiedersehen vor Direction Island

Apropos teures Motelzimmer: Auf den Inseln ist alles teuer, sündhaft teuer. Für eine Packung Eier - zwölf Stück - lege ich zwölf Dollar hin, für ein Stück gesalzene Butter glatt sieben Dollar und für ein Pfund Mehl gesalzene 4,30 Dollar. Eine 300-Gramm-Packung knuspriger Flakes kostet über acht Dollar, eine Zwei-Liter-Packung Milch sieben Dollar. Die Büchse Bier im Club ist für fünf Dollar zu haben, eine Flasche Wein vergleichsweise günstig für um die 20 Dollar. Egal, ob man sie daheim oder im Lokal trinkt. Eine Pizza, die sonntags angeboten wird, kostet zwischen 25 und 30 Dollar, während ich für das Mini-Glas Nutella (220 Gramm) - manchmal übermannen einen in der Ferne die Gelüste - über fünf Dollar hinblättern muss. Busfahren ist das billigste. Für 50 Cent gelange ich zur Fähre. Und die fährt für 2,50 Dollar nach Direction Island - einer der traumhaftesten Inseln der Cocos zum Schnorcheln. Hier liegen die Segelschiffe vor Anker, so sie sich in diese abgelegene Ecke verirren.

Dass ich gleich am ersten Tag, als ich die knappe Stunde bis dorthin übersetze, wieder auf die "Wild One" treffe, hätte ich im Traum nicht gedacht. Denn Kapitän Martin hatte bis zuletzt in Erwägung gezogen, die Cocos Keeling Islands links liegen zu lassen, weil sein Visum für Australien ausläuft. Als ich sein Boot entdecke, schnorchle ich gleich rüber zu ihm, umringt von mehreren Schwarzspitz-Riffhaien, in deren Gesellschaft ich mich nicht gerade wohlfühle. Martin empfängt mich mit einem strahlenden Lächeln, als ich laut rufend an Bord klettere. Nach einer Kaffeepause und einem Sonnenbad auf "meinem" Boot bringt er mich mit dem Dingi zurück zum Strand. Zwei Tage später sehen wir uns ein letztes Mal in Direction Island, ehe er allein aufbricht, um den Indischen Ozean Richtung Mauritius zu überqueren.


Teures Internet

Pro Woche muss ich 65 Dollar für eine Internet-Verbindung abdrücken. Und das funktioniert nur im Club oder vor dem Motel. Derweil stürzt auch noch meine komplette E-Mail-Verbindung ab. Whatsapp funktioniert schon seit einigen Wochen nicht mehr. Trotzdem: Da ich mich auf der Insel sauwohl fühle, mir dieses teure Leben aber eigentlich nicht leisten kann und will, entscheide ich mich nach neun Tagen, mein teures Motel zu verlassen. Mark - von allen hier Shovel (Schaufel) genannt -, der mich gleich nach meiner Ankunft mit an den Tisch der Insel-Bewohner eingeladen hatte, bietet mir ein Schlafgemach in seinem alten Schulbus an. Den hat er eingerichtet mit spärlichem Mobiliar und lebt darin. Quasi Hand gegen Koje an Land, denn im Gegenzug helfe ich ihm auf der Clam-Farm - zusammen mit seinem Chef Johnny züchtet Mark hier Muscheln - beim Arbeiten. Darüber werde ich allerdings gesondert berichten. Duschen kann ich bei Johnny - er heißt John George Clunies-Ross und ist der letzte "König" der Inseln hier aus der Clunies-Ross-Dynastie -, der momentan auf dem australischen Festland ist.


Hippie-Feeling wie in den 60er-Jahren

Mittlerweile lebe ich seit über drei Wochen auf Cocos Keeling Islands. Nachts in einem alten Schulbus unterm Sternenhimmel am Strand zu schlafen, hat irgendwie den Charme der 1968er und gibt mir das absolute Hippie-Feeling. Du suchst Dir den schönsten Platz auf der Insel aus - und da gibt es schon einige - und starrst vor dem Einschlafen in einen mit Sternen übersäten Himmel, während die Wellen den perfekten Schlummer-Sound liefern. Mit einem schrottreifen Fahrrad - es fährt immerhin -, das ich mir von Bootsbauer und Surfer Russell für eine Flasche Rotwein für die nächsten drei Wochen ausborge, bin ich außerdem mobil, um von einem Strand zum nächsten zu radeln. Und irgendwie zieht mich so gar nichts weiter. Donnerstag, wenn die Fähre zurück ist von Direction Island, geht es sofort weiter mit dem Programm. Denn dann ist offizielles Golfspielen für jedermann auf dem Flugplatz angesagt. Denn der hat neben seiner Lande- und Startbahn auch noch besagte sportliche Funktion, ebenso subventioniert vom australischen Staat wie so vieles andere auf den Inseln - die nagelneue Fähre - auch. Für 20 Dollar bin ich mit am Start. Zum ersten Mal im Leben spiele ich Golf. Mit der elitären Version, die ich aus meiner Heimat kenne, hat dies hier weit gar nichts zu tun. Barfuß oder in Badeschlappen schnappt sich jeder sein Golfbag. Allerdings wird vorher eine Kühltasche dick mit Eis befüllt, damit die Biere für die neun Loch - 18 wären bespielbar - auch gut kalt sind. Mit einem Bier in der Hand geht es dann von Hole zu Hole. Eine fröhliche Party, die Insulaner und Touristen gleichermaßen begeistert und verbindet.


Feurige Party endet im Hospital

Ich bin längst integriert und auf vielen Grill- und sonstigen Partys zu Hause. Der erste Griller findet gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft statt. Und so zieht sich das von Anfang an hin. Erst am letzten Wochenende fand eine riesige Party mit großem Lagerfeuer am Strand von North Park statt mit Leuten aus aller Herren Länder. Allerdings geht das Ganze mit einem schrecklichen Unfall los: Matt, der junge Lehrer, der mit einem großen Kanister Petroleum das Feuer in der tiefen Sandkuhle entfachen will, wird plötzlich zur lebenden Fackel, wirft sich in den Sand, reißt sich das T-Shirt vom Leib und stürzt ins Meer. Auch wenn er schnell reagiert, findet die Party für ihn ein jähes Ende, ehe sie so richtig beginnt. Ein Freund fährt ihn mit Verbrennungen an beiden Armen und an einem Bein ins sieben Kilometer entfernte Hospital in der Stadt, wo er sofort verbunden wird. Glück im Unglück. Am nächsten Tag, als wir ihn daheim besuchen, hat er schon wieder das Insel-Strahlen in seinem Gesicht. Allerdings fliegt Matt schon eine Woche vor Ferienbeginn nach Perth, um seine Verbrennungen in einem besser ausgestatteten Krankenhaus versorgen zu lassen. Mit dem Hospital von Cocos Keeling Islands habe ich ebenfalls schon Bekanntschaft gemacht und mich wegen einer Blasenentzündung behandeln lassen - kostenlos. Wie so viele Dienste auf dem Eiland.


"Coconut Revolution"

Zusammen mit einigen Leuten vom Segelschiff, das hier seit sieben Wochen in Direction Island vor Anker liegt, kreieren wir in der Party-Nacht den Insel-Song "Coconut Revolution", bei dem sich jeder der Reihe nach singend oder sprechend zum Sound der Gitarre vorstellt und kurz aus seinem Leben erzählt. Manche der jungen Segler sind schon seit fünf Jahren auf Reisen durch die Welt. Ich erzähle von Chap und seiner Krankheit und wie mich sein Tod aus der Bahn geworfen hat. Und dass es mir hier erstmals richtig gut geht seit der Katastrophe, die mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Grund genug für alle, dann lautstark wieder "Coconut Revolution" zu gröhlen. Dann lassen wir eine gemeinsame Flaschenpost mit all unseren E-Mail-Adressen - da hat sich gegenüber früher schon etwas geändert - in den Indischen Ozean gleiten. Mit der Mitteilung, dass wir alle auf Cocos Keeling Islands gestrandet sind. Und eigentlich keine Hilfe brauchen, um hier wieder wegzukommen. Nur drei Tage später landet unsere Flaschenpost in der Lagune von Cocos. Die Party zieht sich bis zum Morgengrauen hin - und geht dann gleich munter weiter. Wie gut, dass mein Übernachtungs-Quartier - der alte Schulbus - immer mit dabei ist. Da stellt sich nicht die Frage: "Wie komme ich nach Alkoholgenuss von A nach B?" Einfach hinlegen und den Sternenhimmel, der sich mit dem Kreuz des Südens und der Milchstraße über uns erhebt, in vollen Zügen genießen.


Anti-Hash - Trinken ohne Sport

Mittlerweile habe ich selbst zwei Partys ausgerichtet: Anti-Hash in Johnnys Haus. Schon am dritten Tag nach meiner Ankunft war ich bei ihm zur Anti-Hash eingeladen. Und mir hat es die Fragezeichen rausgehauen. Was um alles in der Welt sollte das sein? Ausgangspunkt der Anti-Hash ist eigentlich das wöchentliche Event Hash, ausgeschrieben Hash House Harriers, was eine internationale Vereinigung von Lauf-, Sozial- und Trink-Clubs ist. Man trifft sich einmal in der Woche, um abends zu laufen und anschließend Alkohol zu trinken. Anti-Hash, wo ich auf Johnnys Terrasse eingeladen bin und wo ich später zusammen mit Mark zwei Feten ausrichte, macht sich nicht erst die Mühe, Fitness zu betreiben. Hier geht es gleich zur Sache: Jeder bringt etwas zu trinken mit, während der Gastgeber Essen auftischt - und dann wird fröhlich gefeiert. Vor allem getrunken.

Hash indes gibt es in einem weltumspannenden Netz von über 2000 Gruppen auf allen Kontinenten. In den meisten größeren Städten dieser Welt gibt es zumindest eine dieser Gruppen. Diese bestehen zumeist aus 20 bis 100 Frauen und Männern. Einige Veranstaltungen in Großstädten ziehen über gar 1000 Hasher an.
Das Hashing entstand ursprünglich im Dezember 1938 in Kuala Lumpur in Malaysia, als eine Gruppe von britischen Kolonialoffizieren und Auswanderern sich montagabends zu Läufen verabredete, um sich von dem am Wochenende angesammelten "Übermaß an Speis und Trank" zu befreien. Die Satzung der Hash House Harriers gemäß der Club-Registrierungskarte von 1950 lautete: Förderung der physischen Fitness der Mitglieder, Erholung von den Nachwehen des Alkoholkonsums des vergangenen Wochenendes, während des Laufs einen guten Durst zu generieren und diesen anschließend mit Bier zu stillen, die älteren Mitglieder davon zu überzeugen, dass sie nicht so alt sind, wie sie sich fühlen.

Nun, als sozial engagierter Mensch kann ich mich solch einer Sache definitiv nicht entziehen. Also lade ich zusammen mit meinem momentanen Bus-Hausherrn Mark auf Johnnys Terrasse ein, die mehr einer Müllhalde ähnelt denn einer gemütlichen Lounge. In diesen Fällen - wir entrümpeln schon mal fleißig - muss man sich die Umgebung ganz einfach schöntrinken. Das funktioniert bei Anti-Hash - also ohne vorherige sportliche Betätigung - ziemlich schnell. Wichtig ist eigentlich die Gesellschaft, in der man sich befindet. Und die ist dem Insel-Feeling auf Cocos Keeling Islands absolut entsprechend. Begeistert stürzen sich die Gäste - es ist ein ständiges Kommen und Gehen - auf meine Fischstücke in scharfer Cornflakes-Panade und die italienischen Antipasti, auf Marks Sausage-Rolls und auf meine Garnelen-Röllchen. Das ganze Happening, das mit Gesang und Gitarrenspiel bereichert wird, zieht sich von nachmittags bis nach Mitternacht hin. Ausdauernd sind sie schon, diese australischen Insulaner.


Mit Kopftuch auf die Nachbar-Insel

Auf Home Island leben gut doppelt so viele Menschen. Und es ist eine völlig andere Welt als auf West Island. Mit bedeckten Schultern und Knien geht man dort von Bord der Fähre. Denn hier leben die Cocos Malays, eine Ethnie, die sich im Verlauf der Geschichte auf den Inseln gebildet hat. Als erstes sticht einem die Kleidung der Menschen ins Auge. Die Frauen sind streng verhüllt, sogar die kleinen Mädchen tragen schon Kopftücher. Der strenge Glaube allerdings herrscht hier erst seit etwa 30 Jahren. Früher sollen die Cocos Malays ebenso freizügig herumgelaufen sein wie auf West Island. Die Kinder von Home Island müssen jeden Morgen mit der Fähre auf die Hauptinsel fahren, wo in der Schule sage und schreibe hundert Kinder von den beiden Inseln unterrichtet werden.

Hier als Kind aufzuwachsen, scheint mir das größte Privileg, das man sich vorstellen kann. Wohl behüteter und mit all den wundervollen Angeboten, die Natur und Meer zu bieten haben, kann es nirgends sein. Werden die Kinder allerdings zu Teenagern, wird die Sache ziemlich eng. Denn für die Jugend gibt es kein allzu großes Angebot, es sei denn, sie frönen ausschließlich dem Wassersport. In der Regel leben dann die Eltern weiterhin auf Cocos Keeling Islands, während der Nachwuchs ins dreieinhalb Flugstunden entfernte Perth auf dem australischen Kontinent zieht, um dort die weiterführende Schule zu besuchen und die Annehmlichkeiten einer Großstadt zu genießen, wie Jugendliche sich dies eben vorstellen. Einige reiche Insulaner leisten sich ein Haus hier wie dort, um dem Winter auf dem Festland zu entfliehen.


Champagner-Frühstück unter Palmen

Die Kokosinseln bestehen aus den zwei Atollen North Keeling und South Keeling, die sich im Abstand von 25 Kilometern auf den Spitzen von etwa 5000 Meter hohen unterseeischen Vulkanen gebildet haben, die als Cocos Rise bezeichnet werden. Die Atolle haben eine Gesamtlandfläche von etwa 14 Quadratkilometern, sie sind eben, und der höchste Punkt liegt lediglich neun Meter über dem Meeresspiegel. Den erklimme ich bei einem Ausflug mit Bernadette und Andrew aus Brisbane - ich werde sie nächste Woche besuchen - sowie Volker aus Deutschland, der seit Jahren in Malaysia lebt. Zusammen mit Kylie und Ash unternehmen wir die Tour in drei motorbetriebenen Kajaks zwischen den traumhaften mit Tausenden von Kokospalmen bewachsenen Inseln und geschützten Riffs, genießen fast schon dekadent ein Champagner-Frühstück mit Lachs und anderen Leckereien unter Palmen und frönen dem Nichtstun.

Das kleinere nördliche Atoll, North Keeling, besteht aus nur einer einzigen, C-förmigen Insel mit einer Länge von etwa zwei Kilometern und 1,3 Kilometern Breite. Sie steht seit 1986 unter striktem Naturschutz und ist Teil des Pulu-Keeling-Nationalparks. Das südliche Atoll, South Keeling, besteht aus 26 Inseln, welche eine birnenförmige Lagune mit einem Durchmesser von etwa neun Kilometern und einer Tiefe von bis zu 20 Metern umschließen. Die größte Insel, West Island, ist etwa zehn Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Ich kann von Johnnys Haus quasi über die Flugpiste hinweg in die Lagune blicken - und wenn ich mich etwas strecke, auf die andere Seite der Insel.


Strategisch wichtiger Punkt im Indischen Ozean

Auf den Kokosinseln gibt zahlreiche Seevögel und entsprechend viele Vogel-Beobachter und Naturschützer, abgestellt von der Regierung. Wie so viele andere auch, die hier den äußersten Posten Australiens mit Argusaugen in Schach halten. Es ist ein strategisch wichtiger Punkt hier mitten im Indischen Ozean auf dem Weg Richtung Afrika, Asien und Europa. Rund um die Uhr patrouillieren Zollbehörden im Schichtdienst mit ihren Fahrzeugen von einem Strand zum anderen, blicken angestrengt durchs Fernglas, um immer wieder das Gleiche zu notieren: Dass keine Flüchtlinge und sonstige Eindringlinge im Anmarsch sind.
Im Pulu-Keeling-Nationalpark werden 24 Vogelarten gezählt, darunter der Rotfußtölpel mit mehr als 30.000 Brutpaaren, Bindenfregattvogel, Arielfregattvogel und die endemische Keeling-Bindenralle. Während unserer vielen Touren über die Insel entdeckt Mark einen Reier nahe des Surf-Spots und einen weiteren, möglicherweise das Weibchen dazu, beim Flugplatz. Ich halte beide mit der Kamera fest, und die Naturschützer, die hier ein durchaus annehmliches Leben führen, sind regelrecht begeistert von dieser Entdeckung. Es sollen die ersten sein, die hier je gesichtet wurden. Schön, dass ich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte. Es gibt auf den Inseln auch Suppenschildkröten und Echte Karettschildkröten, die häufig neugierig ihre Köpfe aus dem Wasser strecken, wenn die Fähre zwischen Home Island und West Island kreuzt. Nicht zu vergessen die Delfine, die die Fähre gern begleiten. Neben all dem Meeresgetier - Haie sind allgegenwärtig - gibt es Tausende von Hühnern und hühnerähnlichen Tieren, die wild am Straßenrand und überhaupt überall leben und aufgeregt davon flattern, wenn sich ein Auto oder Fahrrad nähert. Nicht zu vergessen die wirklich Millionen von Krabben, die häufig träge auf der Straße spazieren und einen zum Ausweichen zwingen. Zuweilen geht das schief.


Sklaverei, eigene Gesetze und eigenes Geld

Die Kokosinseln sollen 1609 von William Keeling, einem Kapitän der Britischen Ostindien-Kompanie, entdeckt worden sein. Beweise für diese These fehlen allerdings. In einem niederländischen Atlas von 1659 ist erstmals von den „Cocos Eylanden“ die Rede, 1703 nannte sie der britische Hydrograph Thornton „Keeling Islands“. Eine erste genaue Beschreibung findet sich 1753 im Buch „Zeefakkel“ des Niederländers Gerard Hulst van Keulen. Der britische Hydrograph James Horsburgh fertigte 1805 genaue Seekarten dieser Gewässer an und bezeichnete die Inseln als „Cocos-Keeling-Islands“. In den Folgejahren strandeten mehrere Schiffe vor den Inseln: 1825 die Mauritius aus Frankreich sowie 1826 die Sir Francis Nicholas Burton und 1834 die Earl of Liverpool aus Großbritannien.

1826 siedeln die Niederländer den ehemaligen britischen Commissioner von Borneo, Alexander Hare, mit seinem Gefolge und malayischen Leibeigenen auf den ihrer Kolonie Java vorgelagerten Inseln an. Er kultiviert West Island, Horsburgh Island und Direction Island, auf denen er Kokosöl produziert. 1831 verlässt Hare die Inseln und stirbt auf dem Weg nach Großbritannien. Sein Verwalter John Clunies-Ross aus Schottland - also ein Vorfahre Johnnys, in dessen Haus ich nebst Schulbus gerade Unterschlupf finde - eignet sich daraufhin die Inseln an. Auch er produziert Kokosöl, das er erfolgreich in Niederländisch-Java verkaufte. Außerdem dienen die Inseln als Zwischenstation für Walfangschiffe auf dem Weg in die Antarktis. Clunies-Ross errichtet auf den Inseln eine autoritäre Herrschaft mit eigenen Gesetzen und eigenem, nur auf seinen Inseln gültigem Geld, das erst 1978 abgeschafft wird. Eine britische Kommission sollte die Zustände auf der Insel überprüfen. Die Briten finden jedoch keinen Grund zum Eingreifen. Den Wunsch von Clunies-Ross nach britischer Herrschaft über die Insel lehnen die Briten jedoch ab. 1841 hisst er daher aufgrund seiner guten Handelsbeziehungen nach Java die niederländische Flagge, was ihm aber von der niederländischen Regierung verboten wird.
Nach dem Tod von John Clunies-Ross im Jahre 1854 übernimmt sein Sohn John George die Inseln. 1857 nimmt Großbritannien die Cocos-Inseln versehentlich offiziell in Besitz. Eigentlich sollte das Schiff der Kolonialverwaltung die Cocos-Inseln in den Andamanen besetzen. John George Clunies-Ross holt weitere Arbeitskräfte, meist Gefangene aus Java, auf die Inseln. Es kommt zu zahlreichen Aufständen und Plünderungen.


1871 endet Zwangsarbeit

Nach dem Tod seines Vaters schafft der neue Besitzer George Clunies-Ross 1871 die Zwangsarbeit ab und ersetzt die Gefangenen durch malayische Arbeiter. 1876 zerstört ein Zyklon über die Hälfte der Kokosplantagen. Clunies-Ross baut die Infrastruktur der Inseln wieder auf. 1901 errichtet die „Eastern Extension Telegraphy Company“ auf Direction Island eine Relaisstation für ihr Unterwasserkabelnetz. Ein weiterer Zyklon verwüstet 1909 die Inseln vollständig, 90 Prozent der Palmen und 95 Prozent der Häuser werden zerstört. Das ist bis heute ein Grund dafür, dass es keine Versicherung gibt, die die Häuser der Bewohner vor Naturgewalten schützt. Nach der Zerstörung seines Lebenswerkes stirbt George Clunies-Ross im Jahre 1910, und sein Sohn Sydney Clunies-Ross übernimmt die Herrschaft über die Inseln.


Das Ende der deutschen "Emden"

Auf Direction Island wird 1910 eine Funkstation errichtet. Im Ersten Weltkrieg sind Kabel- und Funkstation auf der Insel am 9. November 1914 Ziel des Angriffs eines deutschen Landungsunternehmens des Kleinen Kreuzers SMS Emden. Während dieser Attacke wird die SMS Emden vom australischen Leichten Kreuzer HMAS Sydney entdeckt und angegriffen. Die kleine deutsche Restbesatzung erwidert zwar das Feuer, und die Sydney dreht sogar ab, kehrt jedoch gleich um, als klar wird, dass die Emden nicht folgt, und feuert erneut auf die Emden, auf der es Tote gibt. Das Schiff wird in diesem Gefecht so stark beschädigt, dass es von der eigenen Besatzung auf das Riff gesetzt und aufgegeben werden muss. Das Landungskorps der Emden, das bei dem Gefecht der Kriegsschiffe zurückgeblieben war, setzt mit dem Schoner Ayesha nach Sumatra über und erreicht später unter außerordentlichen Schwierigkeiten mit dem deutschen Dampfer Choising die arabische Küste und von dort aus über Konstantinopel (Istanbul) die Heimat.

Auf dem unbewohnten Direction Island - dort liegt die Emden noch immer auf dem Grund des Meeres - gibt es ein kleines Open-Air-Museum mit vielen historischen Fotos von jenem Gefecht auf See. Und alle Namen der ums Leben gekommenen Soldaten sowie derer, die das Unglück überlebt haben, sind hier auf Tafeln verewigt. Quasi eine deutsch-australische Verbindung, denn im vergangenen Jahr zum 100. Jahrestag sind einige Nachfahren der Veteranen extra aus Deutschland nach Cocos Keeling Islands gekommen, um dieses historischen Ereignisses zu gedenken. Seltene Fotos aus jener Zeit finden sich auch im Haus von Jack und Lynn aus Perth, wo ich auf der Terrasse ein Bierchen genieße, während der alte Schulbus Solarzellen auf dem Dach verpasst bekommt.


Bewegte Geschichte während der Weltkriege

Nach dem Ersten Weltkrieg sind alle Inseln besiedelt, wie den Geschichtsbüchern zu entnehmen ist, und die Bevölkerung zählt 1940 insgesamt 1450 Menschen, deren Versorgung durch den Zweiten Weltkrieg zunehmend kritisch wird. Wegen der Lebensbedingungen auf seinen Inseln entgeht Sydney Clunies-Ross nur knapp einer Anklage durch die britische Anti-Sklaven-Liga.

Zum Schutz der Kabelstation vor den Japanern wird Küstenartillerie auf Horsburgh Island und Infanterie auf Direction-Island stationiert. Trotzdem beschießt 1942 ein japanisches Kriegsschiff die Inseln, und bis Kriegsende folgen zahlreiche Luftangriffe. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1942 meutern ceylonesische Artilleristen der Garnison auf Horsburgh Island. Ihr Führer ist der Artillerie-Unteroffizier Gratien Fernando, der seine Kameraden überzeugt, dass Asien den „Asiaten“ vorbehalten sein solle. Ihre als Kokosinseln-Meuterei bekannte Aktion wird niedergeschlagen, und drei von ihnen, darunter Fernando, werden zum Tode verurteilt. Sie sind die einzigen während des Zweiten Weltkrieges wegen Meuterei hingerichteten Soldaten des Britischen Commonwealth. Bei dem schwersten Luftangriff im August 1944 werden 27 Häuser zerstört und es gibt mehrere Tote. Sydney Clunies-Ross stirbt kurz darauf. Von März bis Mai 1945 bauen die Alliierten auf West-Island eine Landebahn. Auf den Kokosinseln werden 8300 Soldaten stationiert.

1946 wird die Landebahn geschlossen und das Militär zieht ab. Die wirtschaftliche Situation der Inseln verschlechtert sich. Sydney Clunies-Ross’ Sohn John-Cecil übernimmt die Inseln, kann die Abwanderung der Arbeiter aber trotz neuer Häuser und Elektrizität kaum stoppen. Die Landebahn wird 1952 als Zwischenstopp für den zivilen Luftverkehr wieder in Betrieb genommen. 1955 übernimmt Australien die Inseln in sein Territorium durch den Cocos (Keeling) Islands Act 1955. In den Folgejahren zerstören Zyklone die nach dem Krieg wieder aufgebauten Kokosplantagen. Erst 1968 wird die australische Regierung auf die feudalen Zustände auf den Inseln aufmerksam. Ein Regierungsmitglied fertigt nach einem Besuch 1971 einen Bericht über die Missstände auf den Inseln an. Die UNO fordert 1974 von Australien einen Bericht zu den Kokosinseln.


Das Ende der Clunies-Ross-Herrschaft

Schließlich kauft die Regierung Australiens 1978 John-Cecil Clunies-Ross den größten Teil der Inseln für 6,25 Millionen australische Dollar ab. Erstmals werden demokratische Wahlen durchgeführt und das Inselgeld von Clunies-Ross abgeschafft. Eine Schule wird gebaut und die medizinische Versorgung sichergestellt. In der Volksabstimmung von 1984 stimmt eine Mehrheit der Inselbewohner für einen Verbleib bei Australien. Die Kopraproduktion - das getrocknete Kokosfleisch, das zu Öl verarbeitet wurde - muss 1987 wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt werden. Es war die bislang größte Einnahmequelle der Inselbewohner. Die Bevölkerung hofft nun auf den Tourismus. Der ehemalige Inselbesitzer John-Cecil Clunies-Ross verkauft 1992 auch seinen letzten Grundbesitz auf den Inseln, nachdem er nach einer fehlgeschlagenen Investition in Schiffe insolvent geworden war.

John George Clunies-Ross, in dessen Haus ich zurzeit duschen kann, hat viele Jahre wohl erfolglos versucht, wieder in den Besitz des einstmals mächtigen Familienbesitzes auf Home Islands zu gelangen, das gerade zu einem Hotel umgebaut wird. Vier Zimmer des "Oceania House" (www.oceaniahousecocosisland.com) sind bereits bezugsfertig, während drumherum eine einzige Baustelle herrscht, wovon ich mir bei einem Besuch zusammen mit Volker aus Malaysia ein Bild machen kann. Viele Menschen auf Cocos Keeling Islands bestätigen, wie wohlbehütet und ohne jegliche Pflichten und Aufgaben Johnny hier aufgewachsen ist. Sein Vater empfing in den 1950er-Jahren sogar Queen Elizabeth aus England in seinem Reich.


75 Millionen Dollar Zuschuss pro Jahr

Die meisten Lebensmittel auf Cocos Keeling Islands müssen ebenso importiert werden wie andere Konsumartikel, was auch die teuren Preise hier erklärt. 1999 belaufen sich die Importe auf zwei Millionen Australische Dollar, 2002 auf elf Millionen, ihnen stehen jedoch keinerlei Exporte gegenüber. 2000 unterstützen die australische und die regionale Verwaltung ein Forschungsprojekt zur Herstellung hochwertiger Karbonfasern aus Kokosprodukten. 2000 wird die inseleigene Internet-Top-Level-Domain .cc an einen US-amerikanischen Radiosender verkauft, was eine kontinuierliche Einnahmequelle darstellt. Die bei der Volkszählung von 2006 ermittelte Arbeitslosenquote von 11,3 Prozent ist wohl viel zu niedrig angesetzt; Schätzungen gehen bis zu einer Quote von 65 Prozent aus. Einem Bericht zufolge subventioniert die australische Regierung die Cocos Keeling Islands jährlich mit 75 Millionen Dollar, damit dieser strategisch wichtige Außenpunkt des Fünften Kontinents aufrecht erhalten werden kann.